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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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in einem Briefe die Angabe des Statthalters als unwahr bezeichnet, indem er
bereits in den ersten Tagen des April 1861 sein Certificat vom Bezirksamte
gefordert und dieses darüber an die Statthaltern berichtet habe.

Die Frage der sogenannten Glaubenseinheit hängt vorläufig in der Luft.
Die Ultramontanen wollen sich dieses Mal damit begnügen, ein allerunterthänig-
stes Bittgesuch an den Kaiser zu richten, er möge sie in der alten Einfalt er¬
halten und vor der Ansteckung durch Ketzer jeder Sorte bewahren. Amen!




Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
Schluß von 2.
Die Leute.

Haben Sie noch Geduld, mit mir eine Bauernhochzeit zu besuchen? Treten
wir wenigstens einen Moment ein. ' Die Braut ist siebzehnjährig; mündig ist
der Bräutigam auch noch nicht; er wird nach der Trauung bei seinem Schwieger¬
vater, einem Stellmacher, in Haus und Lehre treten. So gering ist er nicht,
wie der arme Teufel, der ein Mädchen heirathete, weil er ihr drei Thaler Wasch-
und Nähterlohn schuldig war, die er nun nicht zu bezahlen brauchte. Er hat
seine 40 bis 50 Thaler Geld. Deshalb hat auch der Schwiegervater 10 Thlr.
zu Fleisch für die Hochzeit hergegeben. Die dafür beschafften Braten, sowie
der Branntwein zum Schmause kommen auf ihn. Für das Uebrige sorgen die
Gäste, die trotzdem oft Tage lang bei Tanz und Lustbarkeit zusammenbleiben.
Aus den Teller, der jetzt herumgeht, wollen wir auch ein Geldstück legen.
"Für die Haube" der Braut wird gesammelt und in dieser zarten Form
das Hochzeitsgeschenk von jedem Geladenen beigesteuert. -- Da ist denn freilich
eine Bauernhochzeit in der Gegend von Unruhstadt und Karge lockender. Dort
setzt man Ihnen einen Topf zur Seite, in welchem Sie aufheben, was Sie
von den vorgelegten Speisen^ halbe Gans, ganze Pfunde Braten u. f. w. nicht
essen können. Dies Ragout nehmen Sie dann mit.

Vorgelegt und aufgehoben wird aus der Judenhochzeit auch; wenn auch
dabei ein Bogen Papier den Topf vertritt. Eine solche wünschte ich Ihnen
zeigen zu können. Der Bräutigam mit der Kappe auf dem Kopfe, den weißen
Mantel mit buntem Rande über das Sterbehemd geworfen, die Braut ganz


in einem Briefe die Angabe des Statthalters als unwahr bezeichnet, indem er
bereits in den ersten Tagen des April 1861 sein Certificat vom Bezirksamte
gefordert und dieses darüber an die Statthaltern berichtet habe.

Die Frage der sogenannten Glaubenseinheit hängt vorläufig in der Luft.
Die Ultramontanen wollen sich dieses Mal damit begnügen, ein allerunterthänig-
stes Bittgesuch an den Kaiser zu richten, er möge sie in der alten Einfalt er¬
halten und vor der Ansteckung durch Ketzer jeder Sorte bewahren. Amen!




Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen.
Schluß von 2.
Die Leute.

Haben Sie noch Geduld, mit mir eine Bauernhochzeit zu besuchen? Treten
wir wenigstens einen Moment ein. ' Die Braut ist siebzehnjährig; mündig ist
der Bräutigam auch noch nicht; er wird nach der Trauung bei seinem Schwieger¬
vater, einem Stellmacher, in Haus und Lehre treten. So gering ist er nicht,
wie der arme Teufel, der ein Mädchen heirathete, weil er ihr drei Thaler Wasch-
und Nähterlohn schuldig war, die er nun nicht zu bezahlen brauchte. Er hat
seine 40 bis 50 Thaler Geld. Deshalb hat auch der Schwiegervater 10 Thlr.
zu Fleisch für die Hochzeit hergegeben. Die dafür beschafften Braten, sowie
der Branntwein zum Schmause kommen auf ihn. Für das Uebrige sorgen die
Gäste, die trotzdem oft Tage lang bei Tanz und Lustbarkeit zusammenbleiben.
Aus den Teller, der jetzt herumgeht, wollen wir auch ein Geldstück legen.
„Für die Haube" der Braut wird gesammelt und in dieser zarten Form
das Hochzeitsgeschenk von jedem Geladenen beigesteuert. — Da ist denn freilich
eine Bauernhochzeit in der Gegend von Unruhstadt und Karge lockender. Dort
setzt man Ihnen einen Topf zur Seite, in welchem Sie aufheben, was Sie
von den vorgelegten Speisen^ halbe Gans, ganze Pfunde Braten u. f. w. nicht
essen können. Dies Ragout nehmen Sie dann mit.

Vorgelegt und aufgehoben wird aus der Judenhochzeit auch; wenn auch
dabei ein Bogen Papier den Topf vertritt. Eine solche wünschte ich Ihnen
zeigen zu können. Der Bräutigam mit der Kappe auf dem Kopfe, den weißen
Mantel mit buntem Rande über das Sterbehemd geworfen, die Braut ganz


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[0239] in einem Briefe die Angabe des Statthalters als unwahr bezeichnet, indem er bereits in den ersten Tagen des April 1861 sein Certificat vom Bezirksamte gefordert und dieses darüber an die Statthaltern berichtet habe. Die Frage der sogenannten Glaubenseinheit hängt vorläufig in der Luft. Die Ultramontanen wollen sich dieses Mal damit begnügen, ein allerunterthänig- stes Bittgesuch an den Kaiser zu richten, er möge sie in der alten Einfalt er¬ halten und vor der Ansteckung durch Ketzer jeder Sorte bewahren. Amen! Deutsche Briefe aus der preußischen Provinz Posen. Schluß von 2. Die Leute. Haben Sie noch Geduld, mit mir eine Bauernhochzeit zu besuchen? Treten wir wenigstens einen Moment ein. ' Die Braut ist siebzehnjährig; mündig ist der Bräutigam auch noch nicht; er wird nach der Trauung bei seinem Schwieger¬ vater, einem Stellmacher, in Haus und Lehre treten. So gering ist er nicht, wie der arme Teufel, der ein Mädchen heirathete, weil er ihr drei Thaler Wasch- und Nähterlohn schuldig war, die er nun nicht zu bezahlen brauchte. Er hat seine 40 bis 50 Thaler Geld. Deshalb hat auch der Schwiegervater 10 Thlr. zu Fleisch für die Hochzeit hergegeben. Die dafür beschafften Braten, sowie der Branntwein zum Schmause kommen auf ihn. Für das Uebrige sorgen die Gäste, die trotzdem oft Tage lang bei Tanz und Lustbarkeit zusammenbleiben. Aus den Teller, der jetzt herumgeht, wollen wir auch ein Geldstück legen. „Für die Haube" der Braut wird gesammelt und in dieser zarten Form das Hochzeitsgeschenk von jedem Geladenen beigesteuert. — Da ist denn freilich eine Bauernhochzeit in der Gegend von Unruhstadt und Karge lockender. Dort setzt man Ihnen einen Topf zur Seite, in welchem Sie aufheben, was Sie von den vorgelegten Speisen^ halbe Gans, ganze Pfunde Braten u. f. w. nicht essen können. Dies Ragout nehmen Sie dann mit. Vorgelegt und aufgehoben wird aus der Judenhochzeit auch; wenn auch dabei ein Bogen Papier den Topf vertritt. Eine solche wünschte ich Ihnen zeigen zu können. Der Bräutigam mit der Kappe auf dem Kopfe, den weißen Mantel mit buntem Rande über das Sterbehemd geworfen, die Braut ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/239>, abgerufen am 28.03.2024.