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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Die Grenze zwischen Alterthum und Mittclnlter.

Das Thema, auf welches wir die Aufmerksamkeit des Lesers dieser Blätter
lenken möchten, hat nur eine praktische, keine theoretische Bedeutung. Die Ge¬
schichte selbst, in der jedes Ereignis; mit dem vorhergehenden und folgenden in
ursächlichen Zusammenhange steht, macht keinen Abschnitt; nur Zeiten großer
Umwälzungen und Zeiten stetiger Entwickelung lassen sich unterscheiden. Darauf
also muß es ankommen, zwischen diesen beiden die richtigen Marksteine zu
finden. Eine Periodenabtheilung, die allen Gesichtspunkten gleichmäßig gerecht
würde, kann es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen, kaum geben,
und ich möchte daher auf eine richtige Periodenabthcilung nicht so großen
Werth legen, als es wohl manchmal geschieht; andrerseits aber ist der Schade,
den eine entschieden falsche stiften kann, nicht gering anzuschlagen. Als war¬
nendes Beispiel führe ich die in unseren Handbüchern übliche Datirung des
römischen Kaiserreichs von der Schlacht bei Aelina statt von der bei Pharsalus
an, die den Thatsachen ebensosehr wie der Ausfassung urtheilssähiger Ge¬
währsmänner des Alterthums widerspricht. Ihr allein verdankt man die falsche
Beurtheilung des Horaz, von dessen Gedichten viele -- und nicht die schlechte¬
sten -- vor das Jahr 31 fallen, und der sich's nun bei seiner der Monarchie
günstigen Weltanschauung oft genug hat gefallen lassen müssen als höfischer
Schmeichler zu gelten. Der denkende Primaner verwindet allmälig diese Vor¬
urtheile; bei wie Vielen aber bleiben nicht solche Jugendeindrücke?

Man hat sich dahin geeinigt, die Grenze zwischen mittlerer und neuerer
Geschichte in die Mitte des Jahrtausends zu setzen, in welchem wir leben. Die
kleine Schwankung, ob 1492, ob 1517, trägt nichts aus. Die Grenze ist
darum so glücklich gewählt, weil die beiden in diese Jahre fallenden Ereignisse
zugleich die letzten Glieder einer Kette von Thaten sind, die seit dem vierzehnten
Jahrhundert auf geistigem und staatlichem Gebiete den Untergang des Alten und
das Werdx.l des Neuen eingeleitet hatten, zugleich aber auch die Genesis zweier
Mächte bezeichnen, die unmittelbar nach ihrer Entstehung in Kampf mit ein¬
ander gerathen sollten, und deren Kampf für die neue Geschichte zum eigentlich
bestimmenden geworden ist, ja in veränderter Gestalt in die Gegenwart hinein¬
ragt und seines Abschlusses noch harrt. Die Entdeckung Amerikas begründet
die spanische, mittelbar die habsburgische Weltmacht; die Reformation aber eröff¬
net die von Norddeutschland ausgehende Regeneration des germanischen Wesens.

Das Zweckmäßige jener Abtheilung ist denn auch verdienter Maßen all-


Die Grenze zwischen Alterthum und Mittclnlter.

Das Thema, auf welches wir die Aufmerksamkeit des Lesers dieser Blätter
lenken möchten, hat nur eine praktische, keine theoretische Bedeutung. Die Ge¬
schichte selbst, in der jedes Ereignis; mit dem vorhergehenden und folgenden in
ursächlichen Zusammenhange steht, macht keinen Abschnitt; nur Zeiten großer
Umwälzungen und Zeiten stetiger Entwickelung lassen sich unterscheiden. Darauf
also muß es ankommen, zwischen diesen beiden die richtigen Marksteine zu
finden. Eine Periodenabtheilung, die allen Gesichtspunkten gleichmäßig gerecht
würde, kann es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen, kaum geben,
und ich möchte daher auf eine richtige Periodenabthcilung nicht so großen
Werth legen, als es wohl manchmal geschieht; andrerseits aber ist der Schade,
den eine entschieden falsche stiften kann, nicht gering anzuschlagen. Als war¬
nendes Beispiel führe ich die in unseren Handbüchern übliche Datirung des
römischen Kaiserreichs von der Schlacht bei Aelina statt von der bei Pharsalus
an, die den Thatsachen ebensosehr wie der Ausfassung urtheilssähiger Ge¬
währsmänner des Alterthums widerspricht. Ihr allein verdankt man die falsche
Beurtheilung des Horaz, von dessen Gedichten viele — und nicht die schlechte¬
sten — vor das Jahr 31 fallen, und der sich's nun bei seiner der Monarchie
günstigen Weltanschauung oft genug hat gefallen lassen müssen als höfischer
Schmeichler zu gelten. Der denkende Primaner verwindet allmälig diese Vor¬
urtheile; bei wie Vielen aber bleiben nicht solche Jugendeindrücke?

Man hat sich dahin geeinigt, die Grenze zwischen mittlerer und neuerer
Geschichte in die Mitte des Jahrtausends zu setzen, in welchem wir leben. Die
kleine Schwankung, ob 1492, ob 1517, trägt nichts aus. Die Grenze ist
darum so glücklich gewählt, weil die beiden in diese Jahre fallenden Ereignisse
zugleich die letzten Glieder einer Kette von Thaten sind, die seit dem vierzehnten
Jahrhundert auf geistigem und staatlichem Gebiete den Untergang des Alten und
das Werdx.l des Neuen eingeleitet hatten, zugleich aber auch die Genesis zweier
Mächte bezeichnen, die unmittelbar nach ihrer Entstehung in Kampf mit ein¬
ander gerathen sollten, und deren Kampf für die neue Geschichte zum eigentlich
bestimmenden geworden ist, ja in veränderter Gestalt in die Gegenwart hinein¬
ragt und seines Abschlusses noch harrt. Die Entdeckung Amerikas begründet
die spanische, mittelbar die habsburgische Weltmacht; die Reformation aber eröff¬
net die von Norddeutschland ausgehende Regeneration des germanischen Wesens.

Das Zweckmäßige jener Abtheilung ist denn auch verdienter Maßen all-


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[0338] Die Grenze zwischen Alterthum und Mittclnlter. Das Thema, auf welches wir die Aufmerksamkeit des Lesers dieser Blätter lenken möchten, hat nur eine praktische, keine theoretische Bedeutung. Die Ge¬ schichte selbst, in der jedes Ereignis; mit dem vorhergehenden und folgenden in ursächlichen Zusammenhange steht, macht keinen Abschnitt; nur Zeiten großer Umwälzungen und Zeiten stetiger Entwickelung lassen sich unterscheiden. Darauf also muß es ankommen, zwischen diesen beiden die richtigen Marksteine zu finden. Eine Periodenabtheilung, die allen Gesichtspunkten gleichmäßig gerecht würde, kann es aus Gründen, die in der Sache selbst liegen, kaum geben, und ich möchte daher auf eine richtige Periodenabthcilung nicht so großen Werth legen, als es wohl manchmal geschieht; andrerseits aber ist der Schade, den eine entschieden falsche stiften kann, nicht gering anzuschlagen. Als war¬ nendes Beispiel führe ich die in unseren Handbüchern übliche Datirung des römischen Kaiserreichs von der Schlacht bei Aelina statt von der bei Pharsalus an, die den Thatsachen ebensosehr wie der Ausfassung urtheilssähiger Ge¬ währsmänner des Alterthums widerspricht. Ihr allein verdankt man die falsche Beurtheilung des Horaz, von dessen Gedichten viele — und nicht die schlechte¬ sten — vor das Jahr 31 fallen, und der sich's nun bei seiner der Monarchie günstigen Weltanschauung oft genug hat gefallen lassen müssen als höfischer Schmeichler zu gelten. Der denkende Primaner verwindet allmälig diese Vor¬ urtheile; bei wie Vielen aber bleiben nicht solche Jugendeindrücke? Man hat sich dahin geeinigt, die Grenze zwischen mittlerer und neuerer Geschichte in die Mitte des Jahrtausends zu setzen, in welchem wir leben. Die kleine Schwankung, ob 1492, ob 1517, trägt nichts aus. Die Grenze ist darum so glücklich gewählt, weil die beiden in diese Jahre fallenden Ereignisse zugleich die letzten Glieder einer Kette von Thaten sind, die seit dem vierzehnten Jahrhundert auf geistigem und staatlichem Gebiete den Untergang des Alten und das Werdx.l des Neuen eingeleitet hatten, zugleich aber auch die Genesis zweier Mächte bezeichnen, die unmittelbar nach ihrer Entstehung in Kampf mit ein¬ ander gerathen sollten, und deren Kampf für die neue Geschichte zum eigentlich bestimmenden geworden ist, ja in veränderter Gestalt in die Gegenwart hinein¬ ragt und seines Abschlusses noch harrt. Die Entdeckung Amerikas begründet die spanische, mittelbar die habsburgische Weltmacht; die Reformation aber eröff¬ net die von Norddeutschland ausgehende Regeneration des germanischen Wesens. Das Zweckmäßige jener Abtheilung ist denn auch verdienter Maßen all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/338>, abgerufen am 26.04.2024.