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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nehmen und darum mit Nußland Verträge abzuschließen, wäre zwar an sich
nur eine sehr unnütze Stilübung; von solchen abenteuerlichen Operationen aber
gegen Andere zu sprechen, wäre nicht nur eine Verletzung der Amtsverschwiegen¬
heit, sondern auch eine Sottise.

Allerdings ist jetzt, wo der größte Staat Deutschlands eine Demüthigung
erleidet, welche die Anhänger Preußens auch unter dem gegenwärtigen Ministe¬
rium sür unmöglich gehalten hätten, durchaus nicht an der Zeit, weder in Ver-
trägen noch in der Presse über die Zukunft Warschaus zu verhandeln. Und
deshalb wird hier nur kurz als eine bescheidene Meinung ausgesprochen, daß
Warschau, welches vor 300 Jahren eine deutsche Stadt war, vor 63 Jahren
eine preußische Stadt war, in irgend einer Zukunft wieder einmal eine deutsche
Stadt sein wird. Die Deutschen aber stehen zu dem polnischen Wesen so, daß
sie kaltblütig- erwarten müssen, bis ihre Pioniere, die vordringende Pflug-
schaar. der Webstuhl und die Druckerpresse ihre geräuschlose und unwiderstehliche
Arbeit vollständig gethan haben. Wer den wilden Birnbaum Polen schütteln
will, bevor seine Früchte gereift sind, der wird sich umsonst die Sehnen der
Arme zerreißen, die gereifte Frucht fällt bei leichter Berührung in die Hand.
Es hat noch Zeit, bis es soweit kommt. Vorläufig braucht Preußen wenig¬
stens zehn friedliche Jahre, bevor die Hauptarbeit in der Provinz Posen ge¬
than ist.

Es ist keine ganz unberechtigte Annahme, daß in irgend einer Zukunft
Warschau eine dauerhafte deutsche Stadt sein wird. Ob dann der schwarze Adler
von Preußen über dem weißen Adler schwebt oder ein anderes Wappenbild,
das wird unter Anderen auch davon abhängen, wie schnell und wie gründlich in
Preußen die persönliche Negierung mit der parlamentarischen vertauscht wird.


?-


Literatur.
Vorträge und Reden kvnsthistoriscken Inhalts von Ernst Guhl.
Aus seinem Nachlasse. Berlin, Verlag von I. Guttcntag. 1863.

Zwei Vortrüge, in wclckcr der zu früh für die Kunst und Wissenschaft ver-
storbene Gelehrte seine Ansicht über die in jüngster Zeit viel besprochene Frage in
Betreff des Wesens und der Bestimmung der Kunstakademien niedergelegt hat. Fer¬
ner eine Rede über den Zusammenhang der Baukunst mit staatlicher Entwicklung,
eine andere über das Berliner Schauspielhaus, eine dritte über den großen Kur"


nehmen und darum mit Nußland Verträge abzuschließen, wäre zwar an sich
nur eine sehr unnütze Stilübung; von solchen abenteuerlichen Operationen aber
gegen Andere zu sprechen, wäre nicht nur eine Verletzung der Amtsverschwiegen¬
heit, sondern auch eine Sottise.

Allerdings ist jetzt, wo der größte Staat Deutschlands eine Demüthigung
erleidet, welche die Anhänger Preußens auch unter dem gegenwärtigen Ministe¬
rium sür unmöglich gehalten hätten, durchaus nicht an der Zeit, weder in Ver-
trägen noch in der Presse über die Zukunft Warschaus zu verhandeln. Und
deshalb wird hier nur kurz als eine bescheidene Meinung ausgesprochen, daß
Warschau, welches vor 300 Jahren eine deutsche Stadt war, vor 63 Jahren
eine preußische Stadt war, in irgend einer Zukunft wieder einmal eine deutsche
Stadt sein wird. Die Deutschen aber stehen zu dem polnischen Wesen so, daß
sie kaltblütig- erwarten müssen, bis ihre Pioniere, die vordringende Pflug-
schaar. der Webstuhl und die Druckerpresse ihre geräuschlose und unwiderstehliche
Arbeit vollständig gethan haben. Wer den wilden Birnbaum Polen schütteln
will, bevor seine Früchte gereift sind, der wird sich umsonst die Sehnen der
Arme zerreißen, die gereifte Frucht fällt bei leichter Berührung in die Hand.
Es hat noch Zeit, bis es soweit kommt. Vorläufig braucht Preußen wenig¬
stens zehn friedliche Jahre, bevor die Hauptarbeit in der Provinz Posen ge¬
than ist.

Es ist keine ganz unberechtigte Annahme, daß in irgend einer Zukunft
Warschau eine dauerhafte deutsche Stadt sein wird. Ob dann der schwarze Adler
von Preußen über dem weißen Adler schwebt oder ein anderes Wappenbild,
das wird unter Anderen auch davon abhängen, wie schnell und wie gründlich in
Preußen die persönliche Negierung mit der parlamentarischen vertauscht wird.


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Literatur.
Vorträge und Reden kvnsthistoriscken Inhalts von Ernst Guhl.
Aus seinem Nachlasse. Berlin, Verlag von I. Guttcntag. 1863.

Zwei Vortrüge, in wclckcr der zu früh für die Kunst und Wissenschaft ver-
storbene Gelehrte seine Ansicht über die in jüngster Zeit viel besprochene Frage in
Betreff des Wesens und der Bestimmung der Kunstakademien niedergelegt hat. Fer¬
ner eine Rede über den Zusammenhang der Baukunst mit staatlicher Entwicklung,
eine andere über das Berliner Schauspielhaus, eine dritte über den großen Kur»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/365>, abgerufen am 16.04.2024.