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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Briefe nus der preußischen Provinz Posen.
s.
Der preußische Staat in seinem Verhalten zu den Polen.

Wenn wir irgend ein polnisches Blatt lesen, einen polnischen Redner
hören, gleichviel welchen, denn sie haben nur ein Lied, so begegnet uns die
Klage: in der wiener Schluhacte vom 9. und 15. Juni 1815 und in dem
Besitznahmepatent und der sie begleitenden Proclamation vom 15. Mai 1815
sei klar und bestimmt zwischen dem "Großherzogthum Posen" und der Krone
Preußen eine bloße Personalunion geschlossen. Außerdem aber seien den Polen
bestimmte Verheißungen in Bezug aus Wahrung ihrer Nationalität und Sprache,
auf ihren Zutritt zu den Siaatsämtern. auf das beständige Amt eines polni¬
schen Statthalters und auf den Schutz ihrer Religion und Kirche gegeben, und
diese Verheißungen seien unerfüllt geblieben, das Völkerrecht verletzt, das ihrige
mit Füßen getreten worden.

Diese Anklagen nöthigen mich, die Besitzcrgreifungsverhandlungcn, sowie
das Benehmen des Staats gegen die Provinz zum Gegenstände eines beson¬
dern Briefes zu machen und darin Einiges ausführlicher mitzutheilen.

Man möge über das Verfahren König Friedrich Wilhelm des Zweiten bei
der zweiten Theilung Polens so hart urtheilen, wie man kann, 1815 hatte
Friedrich Wilhelm der Dritte die Provinz Posen in gutem ehrlichen Streit
erworben; es stand das Recht der niedergeworfenen Empörung, sowie das der
Eroberung auf seiner Seite. Noch mehr: was die Polen unter Kosciusztos
Führung an öffentlicher Achtung und Theilnahme gewonnen hatten, tels hatten
sie durch die hündische Weise -- das Wort ist nicht zu start -- in der sie
sich an die Fersen Napoleons hefteten und unter seiner Führung wider edlere,
freiheitsliebende Völker kämpften, verwirkt. Nie waren sie in Europa geringer
geachtet, als damals, wo Talleyrand schrieb: die polnische Frage sei nur eine ein¬
fache Angelegenheit der Theilung und der Grenzbestimmungen, welche die dabei
tnteressirten Staaten unter sich abzumachen hätten, für Frankreich, für ganz


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Deutsche Briefe nus der preußischen Provinz Posen.
s.
Der preußische Staat in seinem Verhalten zu den Polen.

Wenn wir irgend ein polnisches Blatt lesen, einen polnischen Redner
hören, gleichviel welchen, denn sie haben nur ein Lied, so begegnet uns die
Klage: in der wiener Schluhacte vom 9. und 15. Juni 1815 und in dem
Besitznahmepatent und der sie begleitenden Proclamation vom 15. Mai 1815
sei klar und bestimmt zwischen dem „Großherzogthum Posen" und der Krone
Preußen eine bloße Personalunion geschlossen. Außerdem aber seien den Polen
bestimmte Verheißungen in Bezug aus Wahrung ihrer Nationalität und Sprache,
auf ihren Zutritt zu den Siaatsämtern. auf das beständige Amt eines polni¬
schen Statthalters und auf den Schutz ihrer Religion und Kirche gegeben, und
diese Verheißungen seien unerfüllt geblieben, das Völkerrecht verletzt, das ihrige
mit Füßen getreten worden.

Diese Anklagen nöthigen mich, die Besitzcrgreifungsverhandlungcn, sowie
das Benehmen des Staats gegen die Provinz zum Gegenstände eines beson¬
dern Briefes zu machen und darin Einiges ausführlicher mitzutheilen.

Man möge über das Verfahren König Friedrich Wilhelm des Zweiten bei
der zweiten Theilung Polens so hart urtheilen, wie man kann, 1815 hatte
Friedrich Wilhelm der Dritte die Provinz Posen in gutem ehrlichen Streit
erworben; es stand das Recht der niedergeworfenen Empörung, sowie das der
Eroberung auf seiner Seite. Noch mehr: was die Polen unter Kosciusztos
Führung an öffentlicher Achtung und Theilnahme gewonnen hatten, tels hatten
sie durch die hündische Weise — das Wort ist nicht zu start — in der sie
sich an die Fersen Napoleons hefteten und unter seiner Führung wider edlere,
freiheitsliebende Völker kämpften, verwirkt. Nie waren sie in Europa geringer
geachtet, als damals, wo Talleyrand schrieb: die polnische Frage sei nur eine ein¬
fache Angelegenheit der Theilung und der Grenzbestimmungen, welche die dabei
tnteressirten Staaten unter sich abzumachen hätten, für Frankreich, für ganz


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[0369] Deutsche Briefe nus der preußischen Provinz Posen. s. Der preußische Staat in seinem Verhalten zu den Polen. Wenn wir irgend ein polnisches Blatt lesen, einen polnischen Redner hören, gleichviel welchen, denn sie haben nur ein Lied, so begegnet uns die Klage: in der wiener Schluhacte vom 9. und 15. Juni 1815 und in dem Besitznahmepatent und der sie begleitenden Proclamation vom 15. Mai 1815 sei klar und bestimmt zwischen dem „Großherzogthum Posen" und der Krone Preußen eine bloße Personalunion geschlossen. Außerdem aber seien den Polen bestimmte Verheißungen in Bezug aus Wahrung ihrer Nationalität und Sprache, auf ihren Zutritt zu den Siaatsämtern. auf das beständige Amt eines polni¬ schen Statthalters und auf den Schutz ihrer Religion und Kirche gegeben, und diese Verheißungen seien unerfüllt geblieben, das Völkerrecht verletzt, das ihrige mit Füßen getreten worden. Diese Anklagen nöthigen mich, die Besitzcrgreifungsverhandlungcn, sowie das Benehmen des Staats gegen die Provinz zum Gegenstände eines beson¬ dern Briefes zu machen und darin Einiges ausführlicher mitzutheilen. Man möge über das Verfahren König Friedrich Wilhelm des Zweiten bei der zweiten Theilung Polens so hart urtheilen, wie man kann, 1815 hatte Friedrich Wilhelm der Dritte die Provinz Posen in gutem ehrlichen Streit erworben; es stand das Recht der niedergeworfenen Empörung, sowie das der Eroberung auf seiner Seite. Noch mehr: was die Polen unter Kosciusztos Führung an öffentlicher Achtung und Theilnahme gewonnen hatten, tels hatten sie durch die hündische Weise — das Wort ist nicht zu start — in der sie sich an die Fersen Napoleons hefteten und unter seiner Führung wider edlere, freiheitsliebende Völker kämpften, verwirkt. Nie waren sie in Europa geringer geachtet, als damals, wo Talleyrand schrieb: die polnische Frage sei nur eine ein¬ fache Angelegenheit der Theilung und der Grenzbestimmungen, welche die dabei tnteressirten Staaten unter sich abzumachen hätten, für Frankreich, für ganz Grenjlwtm 1. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/369>, abgerufen am 20.04.2024.