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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Zur Situation in Preußen.

Das zweite große Treffen, welches durch die Vertreter des Volkes gegen
das Ministerium geliefert wurde, die Verhandlung um die russische Convention,
ist beendigt. Es war ein neuer Erfolg der parlamentarischen Partei, eine
große Niederlage des Ministeriums. Die Debatte hat außer ihrer unmittelbaren
Wirkung noch ein günstiges politisches Resultat gehabt, sie hat einen Theil
der Altlibcralen dem Kriegsplan der opponirenden Majorität näher gestellt.

Die Behandlung der polnischen Frage bot einige Gefahr. Keine Partei
in Deutschland hat durch die fünfzehn Jahre seit 1848 größeren Zuwachs an
Tüchtigkeit und politischer Einsicht erworben, als die Demokratie. Die Phrase,
der Socialismus, das Weltbürgerthum sind von der großen Mehrzahl der
Leiter kräftig überwunden, eine nüchterne, mannhafte, nationale Politik wird
mit achtungswerther Taktik verfolgt. Und wenn den Deutschen nach irgend
einer Richtung ihr Herzensbedürfniß sich zu begeistern und Trophäen ihrer
Siege heimzuführen befriedigt werden könnte, so würde in kurzer Zeit die letzte
Spur jener alten pessimistischen Ausfassung unserer politischen Lage beseitigt sein,
und eine fröhliche Eintracht alle liberalen Fractionen umschließen. Wir Alle
empfinden, wie bitter unsere Hoffnungen auf eine solche Zeit getäuscht wurden,
die Summa unserer niederschlagenden Erfahrungen ist durch einige neue ver¬
mehrt, deren bittere Folgen noch unsere Nachkommen tragen werden. Mehr
als im Jahr 1848 war, so scheint es, gerade jetzt der Ungeduldige in Versu¬
chung, an der Möglichkeit einer gesetzlichen Reform deutscher Verhältnisse zu
zweifeln und die Solidarität der kämpfenden Völker gegen die Gewalthaber zu
betonen. Und der polnische Kampf konnte als ein Prüfstein betrachtet werden,
an dem sich deutlich erkennen ließ, wie viel ausländisches Kupfer dem deutschen
Gold noch beigemischt war.

Wer den Verlauf der dreitägigen Debatte unbefangen betrachtet, wird im
Ganzen nicht nur mit dem Resultat im preußischen Abgeordnetenhaus!?, auch
mit der Haltung des Volkes zufrieden sein. Allerdings sprach einer und der
andere Redner am Dönhofsplatz seine Sympathien für die polnische Sache
weitläufiger aus, als für einen deutschen Abgeordneten taktvoll war, allerdings
erklärten in wenigen deutschen Städten warmherzige Versammlungen unzufrie¬
dener Patrioten ihr inniges Mitgefühl mit der, Erhebung des polnischen Volles
gegen seine Tyrannen. Aber auch der feurigste Vertreter polnischer Freiheit re-
servirte die deutschen Rechte auf früheren polnischen Grund, und eine Volksver¬
sammlung in Leipzig, in ihrer Zusammensetzung nicht unähnlich einer früheren
welche 1848 den Polen Geld und Waffen nach Posen gesammelt hatte, befehlet
sich diesmal mit wackeren guten Wünschen für Polen und mit einer Zustim¬
mung zu den Beschlüssen des preußischen Abgeordnetenhauses. Im Ganzen


Zur Situation in Preußen.

Das zweite große Treffen, welches durch die Vertreter des Volkes gegen
das Ministerium geliefert wurde, die Verhandlung um die russische Convention,
ist beendigt. Es war ein neuer Erfolg der parlamentarischen Partei, eine
große Niederlage des Ministeriums. Die Debatte hat außer ihrer unmittelbaren
Wirkung noch ein günstiges politisches Resultat gehabt, sie hat einen Theil
der Altlibcralen dem Kriegsplan der opponirenden Majorität näher gestellt.

Die Behandlung der polnischen Frage bot einige Gefahr. Keine Partei
in Deutschland hat durch die fünfzehn Jahre seit 1848 größeren Zuwachs an
Tüchtigkeit und politischer Einsicht erworben, als die Demokratie. Die Phrase,
der Socialismus, das Weltbürgerthum sind von der großen Mehrzahl der
Leiter kräftig überwunden, eine nüchterne, mannhafte, nationale Politik wird
mit achtungswerther Taktik verfolgt. Und wenn den Deutschen nach irgend
einer Richtung ihr Herzensbedürfniß sich zu begeistern und Trophäen ihrer
Siege heimzuführen befriedigt werden könnte, so würde in kurzer Zeit die letzte
Spur jener alten pessimistischen Ausfassung unserer politischen Lage beseitigt sein,
und eine fröhliche Eintracht alle liberalen Fractionen umschließen. Wir Alle
empfinden, wie bitter unsere Hoffnungen auf eine solche Zeit getäuscht wurden,
die Summa unserer niederschlagenden Erfahrungen ist durch einige neue ver¬
mehrt, deren bittere Folgen noch unsere Nachkommen tragen werden. Mehr
als im Jahr 1848 war, so scheint es, gerade jetzt der Ungeduldige in Versu¬
chung, an der Möglichkeit einer gesetzlichen Reform deutscher Verhältnisse zu
zweifeln und die Solidarität der kämpfenden Völker gegen die Gewalthaber zu
betonen. Und der polnische Kampf konnte als ein Prüfstein betrachtet werden,
an dem sich deutlich erkennen ließ, wie viel ausländisches Kupfer dem deutschen
Gold noch beigemischt war.

Wer den Verlauf der dreitägigen Debatte unbefangen betrachtet, wird im
Ganzen nicht nur mit dem Resultat im preußischen Abgeordnetenhaus!?, auch
mit der Haltung des Volkes zufrieden sein. Allerdings sprach einer und der
andere Redner am Dönhofsplatz seine Sympathien für die polnische Sache
weitläufiger aus, als für einen deutschen Abgeordneten taktvoll war, allerdings
erklärten in wenigen deutschen Städten warmherzige Versammlungen unzufrie¬
dener Patrioten ihr inniges Mitgefühl mit der, Erhebung des polnischen Volles
gegen seine Tyrannen. Aber auch der feurigste Vertreter polnischer Freiheit re-
servirte die deutschen Rechte auf früheren polnischen Grund, und eine Volksver¬
sammlung in Leipzig, in ihrer Zusammensetzung nicht unähnlich einer früheren
welche 1848 den Polen Geld und Waffen nach Posen gesammelt hatte, befehlet
sich diesmal mit wackeren guten Wünschen für Polen und mit einer Zustim¬
mung zu den Beschlüssen des preußischen Abgeordnetenhauses. Im Ganzen


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[0436] Zur Situation in Preußen. Das zweite große Treffen, welches durch die Vertreter des Volkes gegen das Ministerium geliefert wurde, die Verhandlung um die russische Convention, ist beendigt. Es war ein neuer Erfolg der parlamentarischen Partei, eine große Niederlage des Ministeriums. Die Debatte hat außer ihrer unmittelbaren Wirkung noch ein günstiges politisches Resultat gehabt, sie hat einen Theil der Altlibcralen dem Kriegsplan der opponirenden Majorität näher gestellt. Die Behandlung der polnischen Frage bot einige Gefahr. Keine Partei in Deutschland hat durch die fünfzehn Jahre seit 1848 größeren Zuwachs an Tüchtigkeit und politischer Einsicht erworben, als die Demokratie. Die Phrase, der Socialismus, das Weltbürgerthum sind von der großen Mehrzahl der Leiter kräftig überwunden, eine nüchterne, mannhafte, nationale Politik wird mit achtungswerther Taktik verfolgt. Und wenn den Deutschen nach irgend einer Richtung ihr Herzensbedürfniß sich zu begeistern und Trophäen ihrer Siege heimzuführen befriedigt werden könnte, so würde in kurzer Zeit die letzte Spur jener alten pessimistischen Ausfassung unserer politischen Lage beseitigt sein, und eine fröhliche Eintracht alle liberalen Fractionen umschließen. Wir Alle empfinden, wie bitter unsere Hoffnungen auf eine solche Zeit getäuscht wurden, die Summa unserer niederschlagenden Erfahrungen ist durch einige neue ver¬ mehrt, deren bittere Folgen noch unsere Nachkommen tragen werden. Mehr als im Jahr 1848 war, so scheint es, gerade jetzt der Ungeduldige in Versu¬ chung, an der Möglichkeit einer gesetzlichen Reform deutscher Verhältnisse zu zweifeln und die Solidarität der kämpfenden Völker gegen die Gewalthaber zu betonen. Und der polnische Kampf konnte als ein Prüfstein betrachtet werden, an dem sich deutlich erkennen ließ, wie viel ausländisches Kupfer dem deutschen Gold noch beigemischt war. Wer den Verlauf der dreitägigen Debatte unbefangen betrachtet, wird im Ganzen nicht nur mit dem Resultat im preußischen Abgeordnetenhaus!?, auch mit der Haltung des Volkes zufrieden sein. Allerdings sprach einer und der andere Redner am Dönhofsplatz seine Sympathien für die polnische Sache weitläufiger aus, als für einen deutschen Abgeordneten taktvoll war, allerdings erklärten in wenigen deutschen Städten warmherzige Versammlungen unzufrie¬ dener Patrioten ihr inniges Mitgefühl mit der, Erhebung des polnischen Volles gegen seine Tyrannen. Aber auch der feurigste Vertreter polnischer Freiheit re- servirte die deutschen Rechte auf früheren polnischen Grund, und eine Volksver¬ sammlung in Leipzig, in ihrer Zusammensetzung nicht unähnlich einer früheren welche 1848 den Polen Geld und Waffen nach Posen gesammelt hatte, befehlet sich diesmal mit wackeren guten Wünschen für Polen und mit einer Zustim¬ mung zu den Beschlüssen des preußischen Abgeordnetenhauses. Im Ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/436>, abgerufen am 25.04.2024.