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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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versucht. Jost ist ihm im dritten Theil seiner Geschichte des Judenthums, Stern
in der des Judenthums von Mendelssohn bis auf die Gegenwart, Kalisch in der
Schrift Berlins jüdische Reformatoren und Holdhcim in der Geschichte seiner Ge¬
meinde vorangegangen, aber alle diese Schriften haben den engern Kreis der Glau¬
bensgenossen vor Augen, während die Rittersche Geschichte, obwohl das Quellen¬
studium noch mehr hervorleuchtet, aus das Verständniß der gebildeten Welt überhaupt
berechnet ist. Von den beiden Theilen derselben ist uns der zweite der liebere. Min¬
der literarisch gehalten gibt er uns. worauf es vor Allem ankommt, S. 74--93 ein
Bild von dem Drucke, unter welchem die Juden bis 1812 standen, S. 14--20 und
wieder S. 36--52 eine Zeichnung von dem Bildungsgange der Juden zur Zeit
Mendelssohns, macht uns mit dessen vortrefflichsten Schülern wie Euchel und Wessely,
die an Geisteskraft noch über David Friedländer zu stehen scheinen, bekannt, schildert
die Mühsale und Kämpfe, mit denen Friedländers Hauptwerk, die Errichtung der
jüdischen Freischule, verbunden war. Es lohnt sich, solche Bilder an der Seele
vorüberziehen zu lassen. -- Weitaus das Wichtigste ist aber die Geschichte des Send¬
schreibens an Teller und der an dieses sich schließenden Verhandlungen, in denen
die wahrsten und bedeutendste" Worte von S est el e r nacher gesprochen worden
sind. Friedländer hatte nämlich dem Probst Teller Bedingungen gestellt, unter de¬
nen er mit seinen Freunden in den Schutz des Protestantismus treten wolle. Das
Sendschreiben wäre allerdings heute nach Form und Inhalt unmöglich, und es
würde kaum eines Schleiermachers bedürfen, um den Beweis zu führen, daß es
dem Fragenden gar nicht Ernst gewesen sein könne. Die Frage selbst aber ist eine
solche, deren wissenschaftlich ernster Erörterung sich das heutige Resormjudenthum
nicht wird entziehen können, die Frage um seine Bedeutung, das Recht seiner
Existenz, nachdem es das Ccremonialgesctz und die Erwartung eines persönlichen
Messias ausgegeben. Sicherlich wird der Verfasser mit der Beantwortung dieser
Frage sein Werk beschließen, da dem Gebäude ohne eine solche das Dach fehlen
würde. Vom christlichen Standpunkte aus finden wir den Weg zur Antwort vor¬
nehmlich in dem scharfen Gegensatze des jüdischen und christlichen resp, deutschen
Geistes, wie z. B. die Abneigung eines Friedländer- und Börne vor Goethe
gewiß nicht zufällig ist. Auch vorliegendes Werk gibt den Beweis i der Verfasser
ist mit der deutschen Literatur, mit der christlichen Philosophie vertraut, dennoch
brauchen wir nur drei Seiten zu lesen, um ein Urtheil zu haben, das dem schnur¬
stracks zuwiderläuft, welches Rabbi de silva über Uriel Acosta fällte. Von diesem
sagte jener, als er seine Schrift beurtheilte- der Verfasser ist kein Jude. Unser
Autor ist es mit jeder Faser seines Denkens und Fühlens.






Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Klbcrt in Leipzig.

Mit Ur. R4 beginnt diese Zeitschrift ein neuesQuarta,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1863.Die Verlagshandlung.____

versucht. Jost ist ihm im dritten Theil seiner Geschichte des Judenthums, Stern
in der des Judenthums von Mendelssohn bis auf die Gegenwart, Kalisch in der
Schrift Berlins jüdische Reformatoren und Holdhcim in der Geschichte seiner Ge¬
meinde vorangegangen, aber alle diese Schriften haben den engern Kreis der Glau¬
bensgenossen vor Augen, während die Rittersche Geschichte, obwohl das Quellen¬
studium noch mehr hervorleuchtet, aus das Verständniß der gebildeten Welt überhaupt
berechnet ist. Von den beiden Theilen derselben ist uns der zweite der liebere. Min¬
der literarisch gehalten gibt er uns. worauf es vor Allem ankommt, S. 74—93 ein
Bild von dem Drucke, unter welchem die Juden bis 1812 standen, S. 14—20 und
wieder S. 36—52 eine Zeichnung von dem Bildungsgange der Juden zur Zeit
Mendelssohns, macht uns mit dessen vortrefflichsten Schülern wie Euchel und Wessely,
die an Geisteskraft noch über David Friedländer zu stehen scheinen, bekannt, schildert
die Mühsale und Kämpfe, mit denen Friedländers Hauptwerk, die Errichtung der
jüdischen Freischule, verbunden war. Es lohnt sich, solche Bilder an der Seele
vorüberziehen zu lassen. — Weitaus das Wichtigste ist aber die Geschichte des Send¬
schreibens an Teller und der an dieses sich schließenden Verhandlungen, in denen
die wahrsten und bedeutendste» Worte von S est el e r nacher gesprochen worden
sind. Friedländer hatte nämlich dem Probst Teller Bedingungen gestellt, unter de¬
nen er mit seinen Freunden in den Schutz des Protestantismus treten wolle. Das
Sendschreiben wäre allerdings heute nach Form und Inhalt unmöglich, und es
würde kaum eines Schleiermachers bedürfen, um den Beweis zu führen, daß es
dem Fragenden gar nicht Ernst gewesen sein könne. Die Frage selbst aber ist eine
solche, deren wissenschaftlich ernster Erörterung sich das heutige Resormjudenthum
nicht wird entziehen können, die Frage um seine Bedeutung, das Recht seiner
Existenz, nachdem es das Ccremonialgesctz und die Erwartung eines persönlichen
Messias ausgegeben. Sicherlich wird der Verfasser mit der Beantwortung dieser
Frage sein Werk beschließen, da dem Gebäude ohne eine solche das Dach fehlen
würde. Vom christlichen Standpunkte aus finden wir den Weg zur Antwort vor¬
nehmlich in dem scharfen Gegensatze des jüdischen und christlichen resp, deutschen
Geistes, wie z. B. die Abneigung eines Friedländer- und Börne vor Goethe
gewiß nicht zufällig ist. Auch vorliegendes Werk gibt den Beweis i der Verfasser
ist mit der deutschen Literatur, mit der christlichen Philosophie vertraut, dennoch
brauchen wir nur drei Seiten zu lesen, um ein Urtheil zu haben, das dem schnur¬
stracks zuwiderläuft, welches Rabbi de silva über Uriel Acosta fällte. Von diesem
sagte jener, als er seine Schrift beurtheilte- der Verfasser ist kein Jude. Unser
Autor ist es mit jeder Faser seines Denkens und Fühlens.






Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Klbcrt in Leipzig.

Mit Ur. R4 beginnt diese Zeitschrift ein neuesQuarta,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1863.Die Verlagshandlung.____

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/532>, abgerufen am 26.04.2024.