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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Die Polen in Posen und der Aufstand.

Sie kennen wohl die Anekdote von dem deutschen Diener eines reisenden
Engländers, der in Italien von Banditen überfallen wurde. Dieser Pommer
hatte dem Attentat ganz ruhig zugesehn; als ihm aber sein Herr den passiven
Widerstand mit Schlägen lohnte, kehrte er um, verfolgte die Räuber und jagte
ihnen die Beute ab. Der Reisende fragt verwundert: "warum jetzt, wozu du
vorhin kein Herz hattest?" "Ja," spricht der Diener, "der Deutsche muß immer
erst warm werden, aber dann geht er ins Zeug."

Es scheint fast, als hätten unsere Großpolen sich in diesem Bezüge schon
bei uns Deutschen angesteckt. Sie haben eine ganze Weile gebraucht, ehe sie sich
für die Bewegung im Königreich erwärmt haben, und obenein kommt der Eiser
bis zu dieser Stunde von außen. Der Stock des Engländers heißt französische
Agitation und Druck des Nationalcomitvs. Ich stimme allerdings dem viel-
erfcchrnen Geschäftsmanne bei, der gestern an der Wirthstafel sagte: "die pol-
nischen Edelleute versichern mir fortwährend, sie begriffen die Schritte unsrer
Regierung nicht; sie wären so zufrieden, Preußen zu sein, daß sie an nichts
Arges dächten. Solche plötzliche Loyalität scheint mir höchst verdächtig." Aber
dieses Urtheil ändert doch an der Thatsache nichts, daß der Ausbruch des Aus¬
landes die Polen in unserer Provinz ebenso überrascht hat, wie uns. Ein
alter Herr, welcher demselben nachher die schwersten Opfer gebracht hat, erhielt
die erste Nachricht aus deutschem Munde und bezweifelte deren Wahrheit. Ein
anderer Edelmann, in jüngeren Jahren, z. B. 1846, Mitverschworner und nicht
Mitglied der klerikalen Partei, begrüßte die Botschaft mit den Worten: das ist
uun tmiL ?o1oiNÜL.

Allmälig kamen die Dinge in Fluß; man kann fast behaupten, daß die
gemeinsame Proclamation unsres neuen Oberpräsidenten Horn und unsres
commandirenden Generals, des Grafen v. Waldersee, die Action eröffnete.
Dieser gewiß wohlmeinende Erlaß war natürlich umsonst ergangen, aber er war
dadurch bedeutend, daß er es vorher ankündigte, die Regierung werde die


Grenzboten II. 1863. 21
Die Polen in Posen und der Aufstand.

Sie kennen wohl die Anekdote von dem deutschen Diener eines reisenden
Engländers, der in Italien von Banditen überfallen wurde. Dieser Pommer
hatte dem Attentat ganz ruhig zugesehn; als ihm aber sein Herr den passiven
Widerstand mit Schlägen lohnte, kehrte er um, verfolgte die Räuber und jagte
ihnen die Beute ab. Der Reisende fragt verwundert: „warum jetzt, wozu du
vorhin kein Herz hattest?" „Ja," spricht der Diener, „der Deutsche muß immer
erst warm werden, aber dann geht er ins Zeug."

Es scheint fast, als hätten unsere Großpolen sich in diesem Bezüge schon
bei uns Deutschen angesteckt. Sie haben eine ganze Weile gebraucht, ehe sie sich
für die Bewegung im Königreich erwärmt haben, und obenein kommt der Eiser
bis zu dieser Stunde von außen. Der Stock des Engländers heißt französische
Agitation und Druck des Nationalcomitvs. Ich stimme allerdings dem viel-
erfcchrnen Geschäftsmanne bei, der gestern an der Wirthstafel sagte: „die pol-
nischen Edelleute versichern mir fortwährend, sie begriffen die Schritte unsrer
Regierung nicht; sie wären so zufrieden, Preußen zu sein, daß sie an nichts
Arges dächten. Solche plötzliche Loyalität scheint mir höchst verdächtig." Aber
dieses Urtheil ändert doch an der Thatsache nichts, daß der Ausbruch des Aus¬
landes die Polen in unserer Provinz ebenso überrascht hat, wie uns. Ein
alter Herr, welcher demselben nachher die schwersten Opfer gebracht hat, erhielt
die erste Nachricht aus deutschem Munde und bezweifelte deren Wahrheit. Ein
anderer Edelmann, in jüngeren Jahren, z. B. 1846, Mitverschworner und nicht
Mitglied der klerikalen Partei, begrüßte die Botschaft mit den Worten: das ist
uun tmiL ?o1oiNÜL.

Allmälig kamen die Dinge in Fluß; man kann fast behaupten, daß die
gemeinsame Proclamation unsres neuen Oberpräsidenten Horn und unsres
commandirenden Generals, des Grafen v. Waldersee, die Action eröffnete.
Dieser gewiß wohlmeinende Erlaß war natürlich umsonst ergangen, aber er war
dadurch bedeutend, daß er es vorher ankündigte, die Regierung werde die


Grenzboten II. 1863. 21
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[0165] Die Polen in Posen und der Aufstand. Sie kennen wohl die Anekdote von dem deutschen Diener eines reisenden Engländers, der in Italien von Banditen überfallen wurde. Dieser Pommer hatte dem Attentat ganz ruhig zugesehn; als ihm aber sein Herr den passiven Widerstand mit Schlägen lohnte, kehrte er um, verfolgte die Räuber und jagte ihnen die Beute ab. Der Reisende fragt verwundert: „warum jetzt, wozu du vorhin kein Herz hattest?" „Ja," spricht der Diener, „der Deutsche muß immer erst warm werden, aber dann geht er ins Zeug." Es scheint fast, als hätten unsere Großpolen sich in diesem Bezüge schon bei uns Deutschen angesteckt. Sie haben eine ganze Weile gebraucht, ehe sie sich für die Bewegung im Königreich erwärmt haben, und obenein kommt der Eiser bis zu dieser Stunde von außen. Der Stock des Engländers heißt französische Agitation und Druck des Nationalcomitvs. Ich stimme allerdings dem viel- erfcchrnen Geschäftsmanne bei, der gestern an der Wirthstafel sagte: „die pol- nischen Edelleute versichern mir fortwährend, sie begriffen die Schritte unsrer Regierung nicht; sie wären so zufrieden, Preußen zu sein, daß sie an nichts Arges dächten. Solche plötzliche Loyalität scheint mir höchst verdächtig." Aber dieses Urtheil ändert doch an der Thatsache nichts, daß der Ausbruch des Aus¬ landes die Polen in unserer Provinz ebenso überrascht hat, wie uns. Ein alter Herr, welcher demselben nachher die schwersten Opfer gebracht hat, erhielt die erste Nachricht aus deutschem Munde und bezweifelte deren Wahrheit. Ein anderer Edelmann, in jüngeren Jahren, z. B. 1846, Mitverschworner und nicht Mitglied der klerikalen Partei, begrüßte die Botschaft mit den Worten: das ist uun tmiL ?o1oiNÜL. Allmälig kamen die Dinge in Fluß; man kann fast behaupten, daß die gemeinsame Proclamation unsres neuen Oberpräsidenten Horn und unsres commandirenden Generals, des Grafen v. Waldersee, die Action eröffnete. Dieser gewiß wohlmeinende Erlaß war natürlich umsonst ergangen, aber er war dadurch bedeutend, daß er es vorher ankündigte, die Regierung werde die Grenzboten II. 1863. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/165>, abgerufen am 08.05.2024.