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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Der Fortschrittsverein in Sachsen.

In Sachsen ist im Grunde jeder politische Verein, welches auch seine
Tendenz sei, ein Fvrtschrittsvercin; denn in einem Lande, welches seit dreizehn
Jahren an den deutschen Dingen nur Theil nahm, insoweit sein Organ, der
Herr v. Reuse dies that, übrigens aber als politisch todt par exesllenes mit
Recht galt, ist jede politische Bewegung ein Gewinn. Wir haben aber trotz¬
dem nicht im Sinne, unter obiger Ueberschrift den konservativen Verein zu be¬
sprechen, welcher sich neuerdings in Leipzig gebildet hat, und welcher es sich
gefallen lassen mußte, in der Augsb. Ztg. denuncirt zu werden, daß ein an¬
gesehener Mann, aufrichtiger Anhänger der Negierung, aber in manchen Rich¬
tungen einem gemäßigten Freisinn ergeben, den Zutritt nicht erlangen konnte.
Wir meinen vielmehr den Fortschrittsvcrein, so zu sagen im technischen Sinne
des Wortes, welcher soeben gegründet worden ist. Es ist ein fast stereotyper
Weg. den die Entwickelung der Dinge in den einzelnen deutschen Ländern
nimmt, der Weg. den zuerst die preußischen Abgeordneten und ihre Freunde
gewiesen haben, die Errichtung einer Fortschrittspartei für das einzelne Land
neben dem Nationalverein für das gesammte Vaterland, den seitdem mehre
süddeutsche Staaten mit Glück betreten haben, und auf dem nunmehr Sachsen
endlich gefolgt ist. Allerdings sind die Verhältnisse, aus denen die Partei¬
bildung geworden ist, nicht überall dieselben, und der Schwerpunkt ist
daher bei den Fortschrittsvereinen der einzelnen Staaten ein sehr ver¬
schiedener. In Preußen waren es hauptsächlich Gegensätze des innern Staats¬
lebens, namentlich aber der Gegensatz zum Ministerium der Altliberalen, wel¬
cher die Bildung der Fortschrittspartei hervorrief, während der nationale Ge¬
danke in der Parteibildung keinen charakteristischen Ausdruck fand; daher denn
auch hervorragende Mitglieder der Partei in der deutschen Frage einem wesent¬
lich anderen Standpunkte angehören, als die Mehrzahl. In Bayern dagegen
sind es weniger innere staatliche Fragen, welche den Trennungspunkt bilden,
vielmehr ist es fast ausschließlich die nationale Frage und im engsten Zusam¬
menhange damit die Frage des französischen Handelsvertrags. Dem erlittenen
Drucke in inneren Dingen, wie dem Gegensatze zur Regierung in der natio¬
nalen Frage zugleich danken die Fortschrittsvereine in den Staaten wie Darm¬
stadt, Würtemberg, Nassau ihre Entstehung. So mannigfaltig aber auch
diese Ursachen sein mögen, ein gemeinschaftlicher Gedanke spricht sich in der
Gründung aller dieser Vereine aus. die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit,
der allgemeinen nationalen Parteibildung für die einzelnen Staaten eine be-


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Der Fortschrittsverein in Sachsen.

In Sachsen ist im Grunde jeder politische Verein, welches auch seine
Tendenz sei, ein Fvrtschrittsvercin; denn in einem Lande, welches seit dreizehn
Jahren an den deutschen Dingen nur Theil nahm, insoweit sein Organ, der
Herr v. Reuse dies that, übrigens aber als politisch todt par exesllenes mit
Recht galt, ist jede politische Bewegung ein Gewinn. Wir haben aber trotz¬
dem nicht im Sinne, unter obiger Ueberschrift den konservativen Verein zu be¬
sprechen, welcher sich neuerdings in Leipzig gebildet hat, und welcher es sich
gefallen lassen mußte, in der Augsb. Ztg. denuncirt zu werden, daß ein an¬
gesehener Mann, aufrichtiger Anhänger der Negierung, aber in manchen Rich¬
tungen einem gemäßigten Freisinn ergeben, den Zutritt nicht erlangen konnte.
Wir meinen vielmehr den Fortschrittsvcrein, so zu sagen im technischen Sinne
des Wortes, welcher soeben gegründet worden ist. Es ist ein fast stereotyper
Weg. den die Entwickelung der Dinge in den einzelnen deutschen Ländern
nimmt, der Weg. den zuerst die preußischen Abgeordneten und ihre Freunde
gewiesen haben, die Errichtung einer Fortschrittspartei für das einzelne Land
neben dem Nationalverein für das gesammte Vaterland, den seitdem mehre
süddeutsche Staaten mit Glück betreten haben, und auf dem nunmehr Sachsen
endlich gefolgt ist. Allerdings sind die Verhältnisse, aus denen die Partei¬
bildung geworden ist, nicht überall dieselben, und der Schwerpunkt ist
daher bei den Fortschrittsvereinen der einzelnen Staaten ein sehr ver¬
schiedener. In Preußen waren es hauptsächlich Gegensätze des innern Staats¬
lebens, namentlich aber der Gegensatz zum Ministerium der Altliberalen, wel¬
cher die Bildung der Fortschrittspartei hervorrief, während der nationale Ge¬
danke in der Parteibildung keinen charakteristischen Ausdruck fand; daher denn
auch hervorragende Mitglieder der Partei in der deutschen Frage einem wesent¬
lich anderen Standpunkte angehören, als die Mehrzahl. In Bayern dagegen
sind es weniger innere staatliche Fragen, welche den Trennungspunkt bilden,
vielmehr ist es fast ausschließlich die nationale Frage und im engsten Zusam¬
menhange damit die Frage des französischen Handelsvertrags. Dem erlittenen
Drucke in inneren Dingen, wie dem Gegensatze zur Regierung in der natio¬
nalen Frage zugleich danken die Fortschrittsvereine in den Staaten wie Darm¬
stadt, Würtemberg, Nassau ihre Entstehung. So mannigfaltig aber auch
diese Ursachen sein mögen, ein gemeinschaftlicher Gedanke spricht sich in der
Gründung aller dieser Vereine aus. die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit,
der allgemeinen nationalen Parteibildung für die einzelnen Staaten eine be-


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[0197] Der Fortschrittsverein in Sachsen. In Sachsen ist im Grunde jeder politische Verein, welches auch seine Tendenz sei, ein Fvrtschrittsvercin; denn in einem Lande, welches seit dreizehn Jahren an den deutschen Dingen nur Theil nahm, insoweit sein Organ, der Herr v. Reuse dies that, übrigens aber als politisch todt par exesllenes mit Recht galt, ist jede politische Bewegung ein Gewinn. Wir haben aber trotz¬ dem nicht im Sinne, unter obiger Ueberschrift den konservativen Verein zu be¬ sprechen, welcher sich neuerdings in Leipzig gebildet hat, und welcher es sich gefallen lassen mußte, in der Augsb. Ztg. denuncirt zu werden, daß ein an¬ gesehener Mann, aufrichtiger Anhänger der Negierung, aber in manchen Rich¬ tungen einem gemäßigten Freisinn ergeben, den Zutritt nicht erlangen konnte. Wir meinen vielmehr den Fortschrittsvcrein, so zu sagen im technischen Sinne des Wortes, welcher soeben gegründet worden ist. Es ist ein fast stereotyper Weg. den die Entwickelung der Dinge in den einzelnen deutschen Ländern nimmt, der Weg. den zuerst die preußischen Abgeordneten und ihre Freunde gewiesen haben, die Errichtung einer Fortschrittspartei für das einzelne Land neben dem Nationalverein für das gesammte Vaterland, den seitdem mehre süddeutsche Staaten mit Glück betreten haben, und auf dem nunmehr Sachsen endlich gefolgt ist. Allerdings sind die Verhältnisse, aus denen die Partei¬ bildung geworden ist, nicht überall dieselben, und der Schwerpunkt ist daher bei den Fortschrittsvereinen der einzelnen Staaten ein sehr ver¬ schiedener. In Preußen waren es hauptsächlich Gegensätze des innern Staats¬ lebens, namentlich aber der Gegensatz zum Ministerium der Altliberalen, wel¬ cher die Bildung der Fortschrittspartei hervorrief, während der nationale Ge¬ danke in der Parteibildung keinen charakteristischen Ausdruck fand; daher denn auch hervorragende Mitglieder der Partei in der deutschen Frage einem wesent¬ lich anderen Standpunkte angehören, als die Mehrzahl. In Bayern dagegen sind es weniger innere staatliche Fragen, welche den Trennungspunkt bilden, vielmehr ist es fast ausschließlich die nationale Frage und im engsten Zusam¬ menhange damit die Frage des französischen Handelsvertrags. Dem erlittenen Drucke in inneren Dingen, wie dem Gegensatze zur Regierung in der natio¬ nalen Frage zugleich danken die Fortschrittsvereine in den Staaten wie Darm¬ stadt, Würtemberg, Nassau ihre Entstehung. So mannigfaltig aber auch diese Ursachen sein mögen, ein gemeinschaftlicher Gedanke spricht sich in der Gründung aller dieser Vereine aus. die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit, der allgemeinen nationalen Parteibildung für die einzelnen Staaten eine be- Grenjbote» II, toti!j> 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/197>, abgerufen am 08.05.2024.