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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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auswärtigen Unterstützung des jetzigen Systems würde es sich aber sofort
herausstellen, wie schwach und hinfällig die Basis ist. auf welcher sich im Jahre
1850 der Feudalismus in Mecklenburg wieder aufgerichtet hat.




Preußens imtioimle Ausgabe und Oestreich.
i.

In einem frühern Artikel*) haben wir durchzuführen gesucht, wie Oestreich,
um einen Conflict mit Nußland zu vermeiden, auf eine active Politik im
Orient verzichtete, und wie es, von der natürlichen Richtung seiner Entwickelung
abgelenkt, seine Kräfte auf Ziele wandte, zu deren Erreichung ihm die Mit¬
wirkung, oder doch wenigstens ein freundschaftliches Gewährenlassen Rußlands
nöthig war. Dies günstige Einvernehmen mit Rußland ist längst einer Span¬
nung mit gegenseitiger Abneigung gewichen, die von beiden Seiten offen zur
Schau getragen wird. Gewiß ist die gegenwärtige Feindschaft der Natur der
Dinge entsprechender, als die alte, vorzugsweise den russischen Herrschaftsplänen
förderliche Freundschaft; doch würde man sich täuschen, wenn man in der wieder¬
gewonnenen Unabhängigkeit vom russischen Einfluß ohne Weiteres schon einen
reellen Gewinn für den Staat sehen wollte. Ganz allgemein kann man be¬
haupten, daß im Staatenverkehr die Lösung einer bestehenden Verbindung zu¬
nächst nur ein negatives Resultat gewährt, und daß ver Werth gesteigerter
Selbständigkeit ausschließlich bedingt ist von der Fähigkeit, mit sicherer Be¬
rechnung und entschlossenem Handeln den Weg aus der Jsolirung heraus zu
neuen, den eigenen Interessen wahrhaft entsprechenden Beziehungen zu finden.

Was für Oestreich gilt, gilt in dieser Beziehung auch für Preußen. Der
Zerfall der heiligen Alliance, so verderblich ihre Wirkungen auf die innere
Entwickelung der Staaten auch waren, hat doch eine große Lücke im europäi¬
schen Staatensystem hervorgebracht; die in ihr verbunden gewesenen Staaten
ringen noch heute vergeblich, sie auszufüllen. Jeder faßt die Ziele ins Auge,
welche die wiedergewonnene Ungebundenheit ihm bietet; jeder vermißt schmerzlich
das Gefühl der Sicherheit, welches das alte Band ihm gewährte. An die
Stelle sicherer Factoren, aus denen mit Nothwendigkeit die Schritte der Staats-



') Oestreich und die orientalische Frage. Ur. 19.

auswärtigen Unterstützung des jetzigen Systems würde es sich aber sofort
herausstellen, wie schwach und hinfällig die Basis ist. auf welcher sich im Jahre
1850 der Feudalismus in Mecklenburg wieder aufgerichtet hat.




Preußens imtioimle Ausgabe und Oestreich.
i.

In einem frühern Artikel*) haben wir durchzuführen gesucht, wie Oestreich,
um einen Conflict mit Nußland zu vermeiden, auf eine active Politik im
Orient verzichtete, und wie es, von der natürlichen Richtung seiner Entwickelung
abgelenkt, seine Kräfte auf Ziele wandte, zu deren Erreichung ihm die Mit¬
wirkung, oder doch wenigstens ein freundschaftliches Gewährenlassen Rußlands
nöthig war. Dies günstige Einvernehmen mit Rußland ist längst einer Span¬
nung mit gegenseitiger Abneigung gewichen, die von beiden Seiten offen zur
Schau getragen wird. Gewiß ist die gegenwärtige Feindschaft der Natur der
Dinge entsprechender, als die alte, vorzugsweise den russischen Herrschaftsplänen
förderliche Freundschaft; doch würde man sich täuschen, wenn man in der wieder¬
gewonnenen Unabhängigkeit vom russischen Einfluß ohne Weiteres schon einen
reellen Gewinn für den Staat sehen wollte. Ganz allgemein kann man be¬
haupten, daß im Staatenverkehr die Lösung einer bestehenden Verbindung zu¬
nächst nur ein negatives Resultat gewährt, und daß ver Werth gesteigerter
Selbständigkeit ausschließlich bedingt ist von der Fähigkeit, mit sicherer Be¬
rechnung und entschlossenem Handeln den Weg aus der Jsolirung heraus zu
neuen, den eigenen Interessen wahrhaft entsprechenden Beziehungen zu finden.

Was für Oestreich gilt, gilt in dieser Beziehung auch für Preußen. Der
Zerfall der heiligen Alliance, so verderblich ihre Wirkungen auf die innere
Entwickelung der Staaten auch waren, hat doch eine große Lücke im europäi¬
schen Staatensystem hervorgebracht; die in ihr verbunden gewesenen Staaten
ringen noch heute vergeblich, sie auszufüllen. Jeder faßt die Ziele ins Auge,
welche die wiedergewonnene Ungebundenheit ihm bietet; jeder vermißt schmerzlich
das Gefühl der Sicherheit, welches das alte Band ihm gewährte. An die
Stelle sicherer Factoren, aus denen mit Nothwendigkeit die Schritte der Staats-



') Oestreich und die orientalische Frage. Ur. 19.
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[0353] auswärtigen Unterstützung des jetzigen Systems würde es sich aber sofort herausstellen, wie schwach und hinfällig die Basis ist. auf welcher sich im Jahre 1850 der Feudalismus in Mecklenburg wieder aufgerichtet hat. Preußens imtioimle Ausgabe und Oestreich. i. In einem frühern Artikel*) haben wir durchzuführen gesucht, wie Oestreich, um einen Conflict mit Nußland zu vermeiden, auf eine active Politik im Orient verzichtete, und wie es, von der natürlichen Richtung seiner Entwickelung abgelenkt, seine Kräfte auf Ziele wandte, zu deren Erreichung ihm die Mit¬ wirkung, oder doch wenigstens ein freundschaftliches Gewährenlassen Rußlands nöthig war. Dies günstige Einvernehmen mit Rußland ist längst einer Span¬ nung mit gegenseitiger Abneigung gewichen, die von beiden Seiten offen zur Schau getragen wird. Gewiß ist die gegenwärtige Feindschaft der Natur der Dinge entsprechender, als die alte, vorzugsweise den russischen Herrschaftsplänen förderliche Freundschaft; doch würde man sich täuschen, wenn man in der wieder¬ gewonnenen Unabhängigkeit vom russischen Einfluß ohne Weiteres schon einen reellen Gewinn für den Staat sehen wollte. Ganz allgemein kann man be¬ haupten, daß im Staatenverkehr die Lösung einer bestehenden Verbindung zu¬ nächst nur ein negatives Resultat gewährt, und daß ver Werth gesteigerter Selbständigkeit ausschließlich bedingt ist von der Fähigkeit, mit sicherer Be¬ rechnung und entschlossenem Handeln den Weg aus der Jsolirung heraus zu neuen, den eigenen Interessen wahrhaft entsprechenden Beziehungen zu finden. Was für Oestreich gilt, gilt in dieser Beziehung auch für Preußen. Der Zerfall der heiligen Alliance, so verderblich ihre Wirkungen auf die innere Entwickelung der Staaten auch waren, hat doch eine große Lücke im europäi¬ schen Staatensystem hervorgebracht; die in ihr verbunden gewesenen Staaten ringen noch heute vergeblich, sie auszufüllen. Jeder faßt die Ziele ins Auge, welche die wiedergewonnene Ungebundenheit ihm bietet; jeder vermißt schmerzlich das Gefühl der Sicherheit, welches das alte Band ihm gewährte. An die Stelle sicherer Factoren, aus denen mit Nothwendigkeit die Schritte der Staats- ') Oestreich und die orientalische Frage. Ur. 19.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/353>, abgerufen am 08.05.2024.