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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Herr Lassalle und die Arbeiter.
4.

Recapituliren wir, bevor wir im Folgenden den Schluß unserer Geschichte
erzählen, in der Kürze das bisher über den Gang der Arbeiterbewegung Mit¬
getheilte. Noch jetzt sind wir der Meinung, daß dieselbe zwar immerhin der
Beachtung, keineswegs aber des Aufhebens werth war, welches von ihr gemacht
wurde, und mindestens ebensosehr wie zu der Zeit, wo wir zuerst Notiz von
der Sache nahmen, sind wir überzeugt, daß nur die eigentliche Arbeiterbewe¬
gung, die sich in den Bilduugsvercinen und andrerseits in den schulzeschen Ge¬
nossenschaften ihre Organe geschaffen hat, eine Zukunft, die lassallesche Agita¬
tion dagegen nicht entfernt Aussicht auf Verwirklichung ihrer Pläne hat und
selbst in aufgeregteren Zeiten nur momentan für den Bestand der gegenwärtigen
politischen und socialen Verhältnisse einigermaßen bedenklich werden kann.

Nicht ein tiefempfundenes Bedürfniß wie bei den Bildungsvereinen, und
nicht ein großer, aus gesunden volkswirthschaftlichen Grundsätzen hervorgewachsc-
ner Gedanke wie bei Schutzes Unternehmen, sondern die Eitelkeit einiger Ar¬
beiter war die Triebfeder der neuen Bewegung, und eitel waren die Ziele, die
sie sich steckte, eitel die Gründe, mit denen angebliche Wissenschaft später sie zu
rechtfertigen unternahm.

Die Entwickelung der Sache zerfällt, wie wir sahen, in zwei wesentlich
von einander verschiedene Perioden, die wir im Folgenden noch einmal charak¬
terisieren.

Erste Periode: In Leipzig einige noch sehr jugendliche Arbeiter, die
sich einen gewissen Grad von Bildung erworben haben, und denen die Rede
mit nicht gewöhnlicher Glätte und Flüssigkeit von den Lippen geht, Eigen¬
schaften, mit denen sie unter ihren Genossen eine Partei um sich sammeln. In
den Köpfen dieser jungen Herren, unter denen Schuhmacher Vahlteich die
Hauptrolle spielt, starkes Gähren unklarer Ideen von Uebermacht des Capitals,
Druck der Arbeitgeber auf den Arbeiter, Nothwendigkeit der Abhilfe durch
Gründung von Associationen, wozu die Besitzenden Beistand leisten müssen;


Grenzboten II. 18K3. 31
Herr Lassalle und die Arbeiter.
4.

Recapituliren wir, bevor wir im Folgenden den Schluß unserer Geschichte
erzählen, in der Kürze das bisher über den Gang der Arbeiterbewegung Mit¬
getheilte. Noch jetzt sind wir der Meinung, daß dieselbe zwar immerhin der
Beachtung, keineswegs aber des Aufhebens werth war, welches von ihr gemacht
wurde, und mindestens ebensosehr wie zu der Zeit, wo wir zuerst Notiz von
der Sache nahmen, sind wir überzeugt, daß nur die eigentliche Arbeiterbewe¬
gung, die sich in den Bilduugsvercinen und andrerseits in den schulzeschen Ge¬
nossenschaften ihre Organe geschaffen hat, eine Zukunft, die lassallesche Agita¬
tion dagegen nicht entfernt Aussicht auf Verwirklichung ihrer Pläne hat und
selbst in aufgeregteren Zeiten nur momentan für den Bestand der gegenwärtigen
politischen und socialen Verhältnisse einigermaßen bedenklich werden kann.

Nicht ein tiefempfundenes Bedürfniß wie bei den Bildungsvereinen, und
nicht ein großer, aus gesunden volkswirthschaftlichen Grundsätzen hervorgewachsc-
ner Gedanke wie bei Schutzes Unternehmen, sondern die Eitelkeit einiger Ar¬
beiter war die Triebfeder der neuen Bewegung, und eitel waren die Ziele, die
sie sich steckte, eitel die Gründe, mit denen angebliche Wissenschaft später sie zu
rechtfertigen unternahm.

Die Entwickelung der Sache zerfällt, wie wir sahen, in zwei wesentlich
von einander verschiedene Perioden, die wir im Folgenden noch einmal charak¬
terisieren.

Erste Periode: In Leipzig einige noch sehr jugendliche Arbeiter, die
sich einen gewissen Grad von Bildung erworben haben, und denen die Rede
mit nicht gewöhnlicher Glätte und Flüssigkeit von den Lippen geht, Eigen¬
schaften, mit denen sie unter ihren Genossen eine Partei um sich sammeln. In
den Köpfen dieser jungen Herren, unter denen Schuhmacher Vahlteich die
Hauptrolle spielt, starkes Gähren unklarer Ideen von Uebermacht des Capitals,
Druck der Arbeitgeber auf den Arbeiter, Nothwendigkeit der Abhilfe durch
Gründung von Associationen, wozu die Besitzenden Beistand leisten müssen;


Grenzboten II. 18K3. 31
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[0405] Herr Lassalle und die Arbeiter. 4. Recapituliren wir, bevor wir im Folgenden den Schluß unserer Geschichte erzählen, in der Kürze das bisher über den Gang der Arbeiterbewegung Mit¬ getheilte. Noch jetzt sind wir der Meinung, daß dieselbe zwar immerhin der Beachtung, keineswegs aber des Aufhebens werth war, welches von ihr gemacht wurde, und mindestens ebensosehr wie zu der Zeit, wo wir zuerst Notiz von der Sache nahmen, sind wir überzeugt, daß nur die eigentliche Arbeiterbewe¬ gung, die sich in den Bilduugsvercinen und andrerseits in den schulzeschen Ge¬ nossenschaften ihre Organe geschaffen hat, eine Zukunft, die lassallesche Agita¬ tion dagegen nicht entfernt Aussicht auf Verwirklichung ihrer Pläne hat und selbst in aufgeregteren Zeiten nur momentan für den Bestand der gegenwärtigen politischen und socialen Verhältnisse einigermaßen bedenklich werden kann. Nicht ein tiefempfundenes Bedürfniß wie bei den Bildungsvereinen, und nicht ein großer, aus gesunden volkswirthschaftlichen Grundsätzen hervorgewachsc- ner Gedanke wie bei Schutzes Unternehmen, sondern die Eitelkeit einiger Ar¬ beiter war die Triebfeder der neuen Bewegung, und eitel waren die Ziele, die sie sich steckte, eitel die Gründe, mit denen angebliche Wissenschaft später sie zu rechtfertigen unternahm. Die Entwickelung der Sache zerfällt, wie wir sahen, in zwei wesentlich von einander verschiedene Perioden, die wir im Folgenden noch einmal charak¬ terisieren. Erste Periode: In Leipzig einige noch sehr jugendliche Arbeiter, die sich einen gewissen Grad von Bildung erworben haben, und denen die Rede mit nicht gewöhnlicher Glätte und Flüssigkeit von den Lippen geht, Eigen¬ schaften, mit denen sie unter ihren Genossen eine Partei um sich sammeln. In den Köpfen dieser jungen Herren, unter denen Schuhmacher Vahlteich die Hauptrolle spielt, starkes Gähren unklarer Ideen von Uebermacht des Capitals, Druck der Arbeitgeber auf den Arbeiter, Nothwendigkeit der Abhilfe durch Gründung von Associationen, wozu die Besitzenden Beistand leisten müssen; Grenzboten II. 18K3. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/405>, abgerufen am 08.05.2024.