Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue sächsische Entwurf einer bürgerlichen Proeeßordnung.

Die Vorlegung des Entwurfs einer neuen bürgerlichen Proceßordnung an
die sächsischen Ständekammern darf als ein Ereigniß betrachtet werden, das
auch in weiteren Kreisen Interesse erregt. Wie oft haben wir, auch von Nicht-
sachsen, namentlich Kaufleuten und Juristen, über die Unendlichfeit unserer Pro¬
cesse klagen, über die dicken Actenstöße spotten hören und leider mit nur zu
gutem Grunde. Hat man doch seit länger als 120 Jahren in Anerkennung
der Nothwendigkeit einer gründlichen Reform verschiedene Entwürfe ausarbeiten
lassen; sie hatten aber immer das Schicksal, schließlich, als hinter den Anfor¬
derungen der Zeit zurückbleibend, bei Seite gelegt zu werden und man begnügte
sich mit einzelnen Abänderungen, von den Decisionen vom 2. Juli 1746 bis
auf die Novelle vom 30. December 1861.

Die Vorlegung des Entwurfs in dem jetzigen Zeitpunkte durfte billig
Verwunderung erregen; seit längerer Zeit ist bekanntlich in Hannover eine
Commission zur Berathung eines gemeinsamen deutschen Civilproccßgesetzes aus
Vertretern mehrer deutschen Staaten, darunter auch Sachsen, zusammengetreten
und wie man hört, sind deren Arbeiten bereits in erfreulicher Weise vorgeschrit¬
ten. Man fragt sich also- warum soll nicht auf das Zustandekommen dieses
gemeinsamen Werkes gewartet werden? Es ist sogar die Ansicht laut geworden,
die Vorlegung des Entwurfs, welcher mit dem schon promulgirten bürgerlichen Ge¬
setzbuche zugleich in Kraft zu treten hätte, sei nur eine Form für die einstweilige
Zurückschiebung des letzteren, und der Antrag des Abgeordneten Schreck, ihn erst
den Advocatenkammern zur Prüfung vorzulegen, sieht einem Vertagungsantrag
täuschend ähnlich. Inzwischen mag es zweifelhaft sein, ob überhaupt und wann
jene Berathungen in Hannover zu einem glücklichen Resultate führen; sind doch
gerade einige der größeren Staaten nicht dabei betheiligt. Jedenfalls aber
durste man mit Recht erwarten, daß ein vorher für Sachsen allein eingebrachter
Entwurf im Wesentlichen allen Anforderungen entspreche, die an einen solchen
zu stellen sind; um so mehr, als die Negierung nicht für nöthig gehalten hatte,
ihn -- wie sonst zu geschehen pflegt -- vor der Vorlegung an die Stände
durch Veröffentlichung der Kritik der Wissenschaft anheimzugeben.

Die erwähnte Commission ist in Hannover zusammengetreten, weil der
hannöversche Proceß, als der nach dem Urtheil des deutschen Juristentags vor-


Grenzbottn I. 1864. 67
Der neue sächsische Entwurf einer bürgerlichen Proeeßordnung.

Die Vorlegung des Entwurfs einer neuen bürgerlichen Proceßordnung an
die sächsischen Ständekammern darf als ein Ereigniß betrachtet werden, das
auch in weiteren Kreisen Interesse erregt. Wie oft haben wir, auch von Nicht-
sachsen, namentlich Kaufleuten und Juristen, über die Unendlichfeit unserer Pro¬
cesse klagen, über die dicken Actenstöße spotten hören und leider mit nur zu
gutem Grunde. Hat man doch seit länger als 120 Jahren in Anerkennung
der Nothwendigkeit einer gründlichen Reform verschiedene Entwürfe ausarbeiten
lassen; sie hatten aber immer das Schicksal, schließlich, als hinter den Anfor¬
derungen der Zeit zurückbleibend, bei Seite gelegt zu werden und man begnügte
sich mit einzelnen Abänderungen, von den Decisionen vom 2. Juli 1746 bis
auf die Novelle vom 30. December 1861.

Die Vorlegung des Entwurfs in dem jetzigen Zeitpunkte durfte billig
Verwunderung erregen; seit längerer Zeit ist bekanntlich in Hannover eine
Commission zur Berathung eines gemeinsamen deutschen Civilproccßgesetzes aus
Vertretern mehrer deutschen Staaten, darunter auch Sachsen, zusammengetreten
und wie man hört, sind deren Arbeiten bereits in erfreulicher Weise vorgeschrit¬
ten. Man fragt sich also- warum soll nicht auf das Zustandekommen dieses
gemeinsamen Werkes gewartet werden? Es ist sogar die Ansicht laut geworden,
die Vorlegung des Entwurfs, welcher mit dem schon promulgirten bürgerlichen Ge¬
setzbuche zugleich in Kraft zu treten hätte, sei nur eine Form für die einstweilige
Zurückschiebung des letzteren, und der Antrag des Abgeordneten Schreck, ihn erst
den Advocatenkammern zur Prüfung vorzulegen, sieht einem Vertagungsantrag
täuschend ähnlich. Inzwischen mag es zweifelhaft sein, ob überhaupt und wann
jene Berathungen in Hannover zu einem glücklichen Resultate führen; sind doch
gerade einige der größeren Staaten nicht dabei betheiligt. Jedenfalls aber
durste man mit Recht erwarten, daß ein vorher für Sachsen allein eingebrachter
Entwurf im Wesentlichen allen Anforderungen entspreche, die an einen solchen
zu stellen sind; um so mehr, als die Negierung nicht für nöthig gehalten hatte,
ihn — wie sonst zu geschehen pflegt — vor der Vorlegung an die Stände
durch Veröffentlichung der Kritik der Wissenschaft anheimzugeben.

Die erwähnte Commission ist in Hannover zusammengetreten, weil der
hannöversche Proceß, als der nach dem Urtheil des deutschen Juristentags vor-


Grenzbottn I. 1864. 67
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116921"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der neue sächsische Entwurf einer bürgerlichen Proeeßordnung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1415"> Die Vorlegung des Entwurfs einer neuen bürgerlichen Proceßordnung an<lb/>
die sächsischen Ständekammern darf als ein Ereigniß betrachtet werden, das<lb/>
auch in weiteren Kreisen Interesse erregt. Wie oft haben wir, auch von Nicht-<lb/>
sachsen, namentlich Kaufleuten und Juristen, über die Unendlichfeit unserer Pro¬<lb/>
cesse klagen, über die dicken Actenstöße spotten hören und leider mit nur zu<lb/>
gutem Grunde. Hat man doch seit länger als 120 Jahren in Anerkennung<lb/>
der Nothwendigkeit einer gründlichen Reform verschiedene Entwürfe ausarbeiten<lb/>
lassen; sie hatten aber immer das Schicksal, schließlich, als hinter den Anfor¬<lb/>
derungen der Zeit zurückbleibend, bei Seite gelegt zu werden und man begnügte<lb/>
sich mit einzelnen Abänderungen, von den Decisionen vom 2. Juli 1746 bis<lb/>
auf die Novelle vom 30. December 1861.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1416"> Die Vorlegung des Entwurfs in dem jetzigen Zeitpunkte durfte billig<lb/>
Verwunderung erregen; seit längerer Zeit ist bekanntlich in Hannover eine<lb/>
Commission zur Berathung eines gemeinsamen deutschen Civilproccßgesetzes aus<lb/>
Vertretern mehrer deutschen Staaten, darunter auch Sachsen, zusammengetreten<lb/>
und wie man hört, sind deren Arbeiten bereits in erfreulicher Weise vorgeschrit¬<lb/>
ten. Man fragt sich also- warum soll nicht auf das Zustandekommen dieses<lb/>
gemeinsamen Werkes gewartet werden? Es ist sogar die Ansicht laut geworden,<lb/>
die Vorlegung des Entwurfs, welcher mit dem schon promulgirten bürgerlichen Ge¬<lb/>
setzbuche zugleich in Kraft zu treten hätte, sei nur eine Form für die einstweilige<lb/>
Zurückschiebung des letzteren, und der Antrag des Abgeordneten Schreck, ihn erst<lb/>
den Advocatenkammern zur Prüfung vorzulegen, sieht einem Vertagungsantrag<lb/>
täuschend ähnlich. Inzwischen mag es zweifelhaft sein, ob überhaupt und wann<lb/>
jene Berathungen in Hannover zu einem glücklichen Resultate führen; sind doch<lb/>
gerade einige der größeren Staaten nicht dabei betheiligt. Jedenfalls aber<lb/>
durste man mit Recht erwarten, daß ein vorher für Sachsen allein eingebrachter<lb/>
Entwurf im Wesentlichen allen Anforderungen entspreche, die an einen solchen<lb/>
zu stellen sind; um so mehr, als die Negierung nicht für nöthig gehalten hatte,<lb/>
ihn &#x2014; wie sonst zu geschehen pflegt &#x2014; vor der Vorlegung an die Stände<lb/>
durch Veröffentlichung der Kritik der Wissenschaft anheimzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1417" next="#ID_1418"> Die erwähnte Commission ist in Hannover zusammengetreten, weil der<lb/>
hannöversche Proceß, als der nach dem Urtheil des deutschen Juristentags vor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbottn I. 1864. 67</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0455] Der neue sächsische Entwurf einer bürgerlichen Proeeßordnung. Die Vorlegung des Entwurfs einer neuen bürgerlichen Proceßordnung an die sächsischen Ständekammern darf als ein Ereigniß betrachtet werden, das auch in weiteren Kreisen Interesse erregt. Wie oft haben wir, auch von Nicht- sachsen, namentlich Kaufleuten und Juristen, über die Unendlichfeit unserer Pro¬ cesse klagen, über die dicken Actenstöße spotten hören und leider mit nur zu gutem Grunde. Hat man doch seit länger als 120 Jahren in Anerkennung der Nothwendigkeit einer gründlichen Reform verschiedene Entwürfe ausarbeiten lassen; sie hatten aber immer das Schicksal, schließlich, als hinter den Anfor¬ derungen der Zeit zurückbleibend, bei Seite gelegt zu werden und man begnügte sich mit einzelnen Abänderungen, von den Decisionen vom 2. Juli 1746 bis auf die Novelle vom 30. December 1861. Die Vorlegung des Entwurfs in dem jetzigen Zeitpunkte durfte billig Verwunderung erregen; seit längerer Zeit ist bekanntlich in Hannover eine Commission zur Berathung eines gemeinsamen deutschen Civilproccßgesetzes aus Vertretern mehrer deutschen Staaten, darunter auch Sachsen, zusammengetreten und wie man hört, sind deren Arbeiten bereits in erfreulicher Weise vorgeschrit¬ ten. Man fragt sich also- warum soll nicht auf das Zustandekommen dieses gemeinsamen Werkes gewartet werden? Es ist sogar die Ansicht laut geworden, die Vorlegung des Entwurfs, welcher mit dem schon promulgirten bürgerlichen Ge¬ setzbuche zugleich in Kraft zu treten hätte, sei nur eine Form für die einstweilige Zurückschiebung des letzteren, und der Antrag des Abgeordneten Schreck, ihn erst den Advocatenkammern zur Prüfung vorzulegen, sieht einem Vertagungsantrag täuschend ähnlich. Inzwischen mag es zweifelhaft sein, ob überhaupt und wann jene Berathungen in Hannover zu einem glücklichen Resultate führen; sind doch gerade einige der größeren Staaten nicht dabei betheiligt. Jedenfalls aber durste man mit Recht erwarten, daß ein vorher für Sachsen allein eingebrachter Entwurf im Wesentlichen allen Anforderungen entspreche, die an einen solchen zu stellen sind; um so mehr, als die Negierung nicht für nöthig gehalten hatte, ihn — wie sonst zu geschehen pflegt — vor der Vorlegung an die Stände durch Veröffentlichung der Kritik der Wissenschaft anheimzugeben. Die erwähnte Commission ist in Hannover zusammengetreten, weil der hannöversche Proceß, als der nach dem Urtheil des deutschen Juristentags vor- Grenzbottn I. 1864. 67

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/455
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/455>, abgerufen am 04.05.2024.