Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Hannover und das Blauvuch.

Die kürzlich erschienenen englischen Blaubücher über die deutsch-dänische Frage
haben ihre Wichtigkeit als Diplomatenschreck von neuem bewährt. Diesmal
ist es Deutschland, welches die Kosten der Ernüchterung trägt, die sie hervor¬
bringen. Aber der Weise soll nicht vergessen, daß eine aufgegebene Täuschung
denselben Werth für uns hat, wie eine gefundene Wahrheit.

Den öffentlichen Kundgebungen in der Schleswig-holsteinischen Angelegen¬
heit lagen zum Theil solche Täuschungen zu Grunde. Wenigstens da war es
der Fall, wo die Demonstrationen des Volkes von der xetitio xrineiM aus¬
gingen, daß es doch die Absicht aller deutschen Regierungen sei, in dieser hoch¬
wichtigen deutschen Frage zunächst deutsch zu handeln. Indeß, wir sind an
mehren Stellen eines Andern belehrt worden. Die Wege der Diplomatie
sind höher als die Wege der Volksmeinung und es ist in alle Wege gut gethan,
sich bei den Anforderungen an die Areopage politischer Weisheit gewisser elemen¬
tarischer Voraussetzungen zu entschlagen, welche dem Maße des ordinären Unter¬
thanenverstandes entnommen sind. Gerade darum aber ist es lehrreich wahr¬
zunehmen, daß sich unter Umständen doch ein Urtheil gewinnen läßt über die
Logik und die Metaphysik der Cabinete. Diesen Fortschritt danken wir den
Blaubüchern und wir sollen sie darum nicht scheel ansehen, daß sie uns so
manches Bittere bringen. Medicinisch wird dem Gerbestoff blutreinigende Wir¬
kung zugeschrieben, vielleicht ist es politisch auch der Fall.

Unter den Bundesmächten nimmt angesichts der Schleswig-holsteinischen
Frage das Königreich Hannover eine hervorragende Stellung ein. Nicht blos
weil seine Nachbarschaft mit Holstein ihm die gegenwärtige Angelegenheit wich¬
tiger macht als andern Staaten, noch auch deshalb allein, weil es durch die
Theilnahme seiner Truppen an der Execution persönlich engagirt ist, sondern
deshalb, weil es die ernstere Discussion der Schleswig-holsteinischen Frage am
Bunde hauptsächlich angeregt hat.

Wir geben nun im Nachfolgenden eine actenmäßige Analyse ^er hannöver-
schen Politik von dem Punkte aus, der durch die Specialeingabe des hannö-
verschen Gesandten vom 23. April 1863 bezeichnet ist, um dadurch eine
Charakteristik dieser Politik zu ermöglichen.


Grenzboten II. 1864. 16
Hannover und das Blauvuch.

Die kürzlich erschienenen englischen Blaubücher über die deutsch-dänische Frage
haben ihre Wichtigkeit als Diplomatenschreck von neuem bewährt. Diesmal
ist es Deutschland, welches die Kosten der Ernüchterung trägt, die sie hervor¬
bringen. Aber der Weise soll nicht vergessen, daß eine aufgegebene Täuschung
denselben Werth für uns hat, wie eine gefundene Wahrheit.

Den öffentlichen Kundgebungen in der Schleswig-holsteinischen Angelegen¬
heit lagen zum Theil solche Täuschungen zu Grunde. Wenigstens da war es
der Fall, wo die Demonstrationen des Volkes von der xetitio xrineiM aus¬
gingen, daß es doch die Absicht aller deutschen Regierungen sei, in dieser hoch¬
wichtigen deutschen Frage zunächst deutsch zu handeln. Indeß, wir sind an
mehren Stellen eines Andern belehrt worden. Die Wege der Diplomatie
sind höher als die Wege der Volksmeinung und es ist in alle Wege gut gethan,
sich bei den Anforderungen an die Areopage politischer Weisheit gewisser elemen¬
tarischer Voraussetzungen zu entschlagen, welche dem Maße des ordinären Unter¬
thanenverstandes entnommen sind. Gerade darum aber ist es lehrreich wahr¬
zunehmen, daß sich unter Umständen doch ein Urtheil gewinnen läßt über die
Logik und die Metaphysik der Cabinete. Diesen Fortschritt danken wir den
Blaubüchern und wir sollen sie darum nicht scheel ansehen, daß sie uns so
manches Bittere bringen. Medicinisch wird dem Gerbestoff blutreinigende Wir¬
kung zugeschrieben, vielleicht ist es politisch auch der Fall.

Unter den Bundesmächten nimmt angesichts der Schleswig-holsteinischen
Frage das Königreich Hannover eine hervorragende Stellung ein. Nicht blos
weil seine Nachbarschaft mit Holstein ihm die gegenwärtige Angelegenheit wich¬
tiger macht als andern Staaten, noch auch deshalb allein, weil es durch die
Theilnahme seiner Truppen an der Execution persönlich engagirt ist, sondern
deshalb, weil es die ernstere Discussion der Schleswig-holsteinischen Frage am
Bunde hauptsächlich angeregt hat.

Wir geben nun im Nachfolgenden eine actenmäßige Analyse ^er hannöver-
schen Politik von dem Punkte aus, der durch die Specialeingabe des hannö-
verschen Gesandten vom 23. April 1863 bezeichnet ist, um dadurch eine
Charakteristik dieser Politik zu ermöglichen.


Grenzboten II. 1864. 16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188690"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hannover und das Blauvuch.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Die kürzlich erschienenen englischen Blaubücher über die deutsch-dänische Frage<lb/>
haben ihre Wichtigkeit als Diplomatenschreck von neuem bewährt. Diesmal<lb/>
ist es Deutschland, welches die Kosten der Ernüchterung trägt, die sie hervor¬<lb/>
bringen. Aber der Weise soll nicht vergessen, daß eine aufgegebene Täuschung<lb/>
denselben Werth für uns hat, wie eine gefundene Wahrheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_423"> Den öffentlichen Kundgebungen in der Schleswig-holsteinischen Angelegen¬<lb/>
heit lagen zum Theil solche Täuschungen zu Grunde. Wenigstens da war es<lb/>
der Fall, wo die Demonstrationen des Volkes von der xetitio xrineiM aus¬<lb/>
gingen, daß es doch die Absicht aller deutschen Regierungen sei, in dieser hoch¬<lb/>
wichtigen deutschen Frage zunächst deutsch zu handeln. Indeß, wir sind an<lb/>
mehren Stellen eines Andern belehrt worden. Die Wege der Diplomatie<lb/>
sind höher als die Wege der Volksmeinung und es ist in alle Wege gut gethan,<lb/>
sich bei den Anforderungen an die Areopage politischer Weisheit gewisser elemen¬<lb/>
tarischer Voraussetzungen zu entschlagen, welche dem Maße des ordinären Unter¬<lb/>
thanenverstandes entnommen sind. Gerade darum aber ist es lehrreich wahr¬<lb/>
zunehmen, daß sich unter Umständen doch ein Urtheil gewinnen läßt über die<lb/>
Logik und die Metaphysik der Cabinete. Diesen Fortschritt danken wir den<lb/>
Blaubüchern und wir sollen sie darum nicht scheel ansehen, daß sie uns so<lb/>
manches Bittere bringen. Medicinisch wird dem Gerbestoff blutreinigende Wir¬<lb/>
kung zugeschrieben, vielleicht ist es politisch auch der Fall.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_424"> Unter den Bundesmächten nimmt angesichts der Schleswig-holsteinischen<lb/>
Frage das Königreich Hannover eine hervorragende Stellung ein. Nicht blos<lb/>
weil seine Nachbarschaft mit Holstein ihm die gegenwärtige Angelegenheit wich¬<lb/>
tiger macht als andern Staaten, noch auch deshalb allein, weil es durch die<lb/>
Theilnahme seiner Truppen an der Execution persönlich engagirt ist, sondern<lb/>
deshalb, weil es die ernstere Discussion der Schleswig-holsteinischen Frage am<lb/>
Bunde hauptsächlich angeregt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_425"> Wir geben nun im Nachfolgenden eine actenmäßige Analyse ^er hannöver-<lb/>
schen Politik von dem Punkte aus, der durch die Specialeingabe des hannö-<lb/>
verschen Gesandten vom 23. April 1863 bezeichnet ist, um dadurch eine<lb/>
Charakteristik dieser Politik zu ermöglichen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1864. 16</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Hannover und das Blauvuch. Die kürzlich erschienenen englischen Blaubücher über die deutsch-dänische Frage haben ihre Wichtigkeit als Diplomatenschreck von neuem bewährt. Diesmal ist es Deutschland, welches die Kosten der Ernüchterung trägt, die sie hervor¬ bringen. Aber der Weise soll nicht vergessen, daß eine aufgegebene Täuschung denselben Werth für uns hat, wie eine gefundene Wahrheit. Den öffentlichen Kundgebungen in der Schleswig-holsteinischen Angelegen¬ heit lagen zum Theil solche Täuschungen zu Grunde. Wenigstens da war es der Fall, wo die Demonstrationen des Volkes von der xetitio xrineiM aus¬ gingen, daß es doch die Absicht aller deutschen Regierungen sei, in dieser hoch¬ wichtigen deutschen Frage zunächst deutsch zu handeln. Indeß, wir sind an mehren Stellen eines Andern belehrt worden. Die Wege der Diplomatie sind höher als die Wege der Volksmeinung und es ist in alle Wege gut gethan, sich bei den Anforderungen an die Areopage politischer Weisheit gewisser elemen¬ tarischer Voraussetzungen zu entschlagen, welche dem Maße des ordinären Unter¬ thanenverstandes entnommen sind. Gerade darum aber ist es lehrreich wahr¬ zunehmen, daß sich unter Umständen doch ein Urtheil gewinnen läßt über die Logik und die Metaphysik der Cabinete. Diesen Fortschritt danken wir den Blaubüchern und wir sollen sie darum nicht scheel ansehen, daß sie uns so manches Bittere bringen. Medicinisch wird dem Gerbestoff blutreinigende Wir¬ kung zugeschrieben, vielleicht ist es politisch auch der Fall. Unter den Bundesmächten nimmt angesichts der Schleswig-holsteinischen Frage das Königreich Hannover eine hervorragende Stellung ein. Nicht blos weil seine Nachbarschaft mit Holstein ihm die gegenwärtige Angelegenheit wich¬ tiger macht als andern Staaten, noch auch deshalb allein, weil es durch die Theilnahme seiner Truppen an der Execution persönlich engagirt ist, sondern deshalb, weil es die ernstere Discussion der Schleswig-holsteinischen Frage am Bunde hauptsächlich angeregt hat. Wir geben nun im Nachfolgenden eine actenmäßige Analyse ^er hannöver- schen Politik von dem Punkte aus, der durch die Specialeingabe des hannö- verschen Gesandten vom 23. April 1863 bezeichnet ist, um dadurch eine Charakteristik dieser Politik zu ermöglichen. Grenzboten II. 1864. 16

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/129>, abgerufen am 06.05.2024.