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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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verfaßt ist. Gleichwie vorher von dem Ursprung und Verfall der vier Welt¬
monarchien die Rede war, so handelt nun dieser zweite Prolog vom Ursprung
der drei Waldstädte. Die Erzählung scheint wohl aus Püntiners und Fründs
Verlornen Schweizerchroniken entlehnt, soweit wir dieselben durch Tschudis Aus¬
züge kennen, und lautet:

Das Volk der hunnischen Gothen zieht aus Scythien erobernd bis Rom
i. I. (5) 72 und wird 388 aus Italien vertrieben. Es zieht über den Gothard
ins Urnerland. wird unter Karl dem Großen zum Christenthum bekehrt und
zum Reiche geschlagen.

Ein zweites Volk von schwedischen Stamm kommt nach Schwyz und
Unterwalden eingewandert und verbindet sich politisch mit der ersten Waldstatt.
Diese drei beredet (ein) Graf Rudolf von Habsburg (historisch der sogenannte
Aeltere) sich in seinen Schirm zu begeben; doch sobald er (historisch der Jüngere)
Kaiser geworden ist, setzt er ihnen, statt ihrer Reichsvögte seine Landvögte.
Jetzt bricht also auch in den drei Ländern dieselbe Zeit des hoffärtigen
Negentenübermuthes an. Jedoch i. I. 1296 erledigten sich die Länder dieser Vögte
und ihres Stammes, und traten unter König Adolf ("dem Frommen") gefreit
wieder an das Reich. Doch dies verdroß Oestreich, es setzte den drei Ländern
abermals Vögte: (den Landenberg zu Samen, den Wolfenschieß zu Alzellen,
den Geßler zu Altorf und zu Küßnach). Mit letzterem schließt der Prolog:


^ctus primus.

Die Musik bläst auf; unter ihrem Schall kommt der Landvogt Grisler
selbdritt (mit seinen zwei Trabanten) zu Uri in die Landsgemeinde und eröffnet
ihr: Herzog Albrecht v. Oestreich habe ihm die Leute hier in Gehorsam- gegeben;
soferne sie ihm nicht Ranzung (Lösegeld, Fallgeld) Steuer und Zins willig
entrichten, so werde er ihnen das Leder besser beschneiden, ihnen die Näthe besser
bestreichen und sie von hinten aufnesteln. Dreierlei Bauern nehmen das Wort,
erbieten Steuerzahlung, entschuldigen sich aber mit der Gemeinde Armuth,
mit den übelzeitigen Jahrgängen und mit des Landes Rauhheit. Ein einziger
Urner stimmt diesem Ergebenheitstone allein nicht bei; es ist Wilhelm Tell,
der unter einem solchen Landvogt keinerlei Abänderung der Uebel mehr erwartet:


verfaßt ist. Gleichwie vorher von dem Ursprung und Verfall der vier Welt¬
monarchien die Rede war, so handelt nun dieser zweite Prolog vom Ursprung
der drei Waldstädte. Die Erzählung scheint wohl aus Püntiners und Fründs
Verlornen Schweizerchroniken entlehnt, soweit wir dieselben durch Tschudis Aus¬
züge kennen, und lautet:

Das Volk der hunnischen Gothen zieht aus Scythien erobernd bis Rom
i. I. (5) 72 und wird 388 aus Italien vertrieben. Es zieht über den Gothard
ins Urnerland. wird unter Karl dem Großen zum Christenthum bekehrt und
zum Reiche geschlagen.

Ein zweites Volk von schwedischen Stamm kommt nach Schwyz und
Unterwalden eingewandert und verbindet sich politisch mit der ersten Waldstatt.
Diese drei beredet (ein) Graf Rudolf von Habsburg (historisch der sogenannte
Aeltere) sich in seinen Schirm zu begeben; doch sobald er (historisch der Jüngere)
Kaiser geworden ist, setzt er ihnen, statt ihrer Reichsvögte seine Landvögte.
Jetzt bricht also auch in den drei Ländern dieselbe Zeit des hoffärtigen
Negentenübermuthes an. Jedoch i. I. 1296 erledigten sich die Länder dieser Vögte
und ihres Stammes, und traten unter König Adolf („dem Frommen") gefreit
wieder an das Reich. Doch dies verdroß Oestreich, es setzte den drei Ländern
abermals Vögte: (den Landenberg zu Samen, den Wolfenschieß zu Alzellen,
den Geßler zu Altorf und zu Küßnach). Mit letzterem schließt der Prolog:


^ctus primus.

Die Musik bläst auf; unter ihrem Schall kommt der Landvogt Grisler
selbdritt (mit seinen zwei Trabanten) zu Uri in die Landsgemeinde und eröffnet
ihr: Herzog Albrecht v. Oestreich habe ihm die Leute hier in Gehorsam- gegeben;
soferne sie ihm nicht Ranzung (Lösegeld, Fallgeld) Steuer und Zins willig
entrichten, so werde er ihnen das Leder besser beschneiden, ihnen die Näthe besser
bestreichen und sie von hinten aufnesteln. Dreierlei Bauern nehmen das Wort,
erbieten Steuerzahlung, entschuldigen sich aber mit der Gemeinde Armuth,
mit den übelzeitigen Jahrgängen und mit des Landes Rauhheit. Ein einziger
Urner stimmt diesem Ergebenheitstone allein nicht bei; es ist Wilhelm Tell,
der unter einem solchen Landvogt keinerlei Abänderung der Uebel mehr erwartet:


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[0192] verfaßt ist. Gleichwie vorher von dem Ursprung und Verfall der vier Welt¬ monarchien die Rede war, so handelt nun dieser zweite Prolog vom Ursprung der drei Waldstädte. Die Erzählung scheint wohl aus Püntiners und Fründs Verlornen Schweizerchroniken entlehnt, soweit wir dieselben durch Tschudis Aus¬ züge kennen, und lautet: Das Volk der hunnischen Gothen zieht aus Scythien erobernd bis Rom i. I. (5) 72 und wird 388 aus Italien vertrieben. Es zieht über den Gothard ins Urnerland. wird unter Karl dem Großen zum Christenthum bekehrt und zum Reiche geschlagen. Ein zweites Volk von schwedischen Stamm kommt nach Schwyz und Unterwalden eingewandert und verbindet sich politisch mit der ersten Waldstatt. Diese drei beredet (ein) Graf Rudolf von Habsburg (historisch der sogenannte Aeltere) sich in seinen Schirm zu begeben; doch sobald er (historisch der Jüngere) Kaiser geworden ist, setzt er ihnen, statt ihrer Reichsvögte seine Landvögte. Jetzt bricht also auch in den drei Ländern dieselbe Zeit des hoffärtigen Negentenübermuthes an. Jedoch i. I. 1296 erledigten sich die Länder dieser Vögte und ihres Stammes, und traten unter König Adolf („dem Frommen") gefreit wieder an das Reich. Doch dies verdroß Oestreich, es setzte den drei Ländern abermals Vögte: (den Landenberg zu Samen, den Wolfenschieß zu Alzellen, den Geßler zu Altorf und zu Küßnach). Mit letzterem schließt der Prolog: ^ctus primus. Die Musik bläst auf; unter ihrem Schall kommt der Landvogt Grisler selbdritt (mit seinen zwei Trabanten) zu Uri in die Landsgemeinde und eröffnet ihr: Herzog Albrecht v. Oestreich habe ihm die Leute hier in Gehorsam- gegeben; soferne sie ihm nicht Ranzung (Lösegeld, Fallgeld) Steuer und Zins willig entrichten, so werde er ihnen das Leder besser beschneiden, ihnen die Näthe besser bestreichen und sie von hinten aufnesteln. Dreierlei Bauern nehmen das Wort, erbieten Steuerzahlung, entschuldigen sich aber mit der Gemeinde Armuth, mit den übelzeitigen Jahrgängen und mit des Landes Rauhheit. Ein einziger Urner stimmt diesem Ergebenheitstone allein nicht bei; es ist Wilhelm Tell, der unter einem solchen Landvogt keinerlei Abänderung der Uebel mehr erwartet:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/192>, abgerufen am 03.05.2024.