Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die TellenschausPiele in der Schweiz vor Schiller.
Von
E. L. Rochholz.
Bier ter Abschnitt.

Die bodmcrische Periode der schweizerischen Bühnendichtung. -- Bodmcrs vier
Schauspiele von Tell und open Schweizerbund, 1775. -- I. Ign. Zimmermann"
Trauerspiel Wilhelm Tell. 1777. -- Der Dreibund von Petri, Basel 1791. --
Johann Ludwig Ambühl; sein Lebensabriß. -- Aus seinen Jugcndlicdern. -- Seine
verschiedenen Schriften. -- Entstehungsart seines Schauspiels Wilhelm Tell 1791.
Skizze desselben. -- Rückblick auf die Persönlichkeit, das Schicksal und die poetische
Leistung sämmtlicher Tellcndicht.er von Ruoff an bis aus Schiller.

Johann Jakob Bodmer, geboren 1698 zu Greifensee, gestorben 1783 als
Professor zu Zürich, ist durch seine langdauernden Fehden mit den Leipzigern
und Berlinern und durch sein Freundesbündniß mit den Dichterjünglingen
Klopstock und Wieland berühmter geblieben, als durch seine fast zahllosen poe¬
tischen Producte. Keines derselben hat sich lebensfähig erwiesen. In allen
Gattungen und Formen hatte er sich versucht, seine epischen, dramatischen, ly¬
rischen und didaktischen Arbeiten sind zusammen vergessen. Ueber die Be¬
freiungsgeschichte und den Befreier der Schweiz allein hat er fünferlei Büh¬
nenstücke geschrieben. Alle fünf sind in demselben Jahre 1775 gedruckt, viel¬
leicht auch in derselben Zeitfrist von ihm verfertigt, lauter rohe Fabrikarbeit,
lauter eilfertige Nachahmung bekannter Originalwerke der englischen Literatur,
sämmtlich in nachlässiger Prosa geschrieben, oft nur wenige Druckseiten haltend.
Eine Analyse ihres Inhaltes mitzutheilen oder sie nach ästhetischen Grundsätzen
bemessen wollen, wäre überall unnütz. Bodmer begnügt sich mit dem histo¬
rischen Rohstoff, das Geschehene allein befriedigt ihn, nicht der Geist der Ge¬
schichte giebt ihm künstlerisch zu gestaltende Ideen ein, und insofern steht er
mit seinen übrigen Compatrivten, die sich damals poetisch an der Schweizer¬
geschichte versuchten, sogar dem Erzählungstalent des Chronisten Tschudi nach.
Das Widerwärtige dieser dramatischen Arbeiten liegt in der Gemüthskälte und
Empfindungsarmuth ihrer Autoren. Sie bringen ein von Gott für die Frei¬
heit voraus bestimmtes Volk auf die Bühne mit lauter unverwundbaren Frei¬
heitskämpfern und Siegesriesen; die Gegner sind lauter Scheusale und Skla¬
venseelen , angefüllt mit kindischer Albernheit, drachenhafter Mordgier und stin¬
kend von Gotteslästerungen. Durch dieses Heer von Bestien lassen sie die
Schweiz als ein Paradies der Menschenunschuld bekämpfen, bis der von der


32*
Die TellenschausPiele in der Schweiz vor Schiller.
Von
E. L. Rochholz.
Bier ter Abschnitt.

Die bodmcrische Periode der schweizerischen Bühnendichtung. — Bodmcrs vier
Schauspiele von Tell und open Schweizerbund, 1775. — I. Ign. Zimmermann«
Trauerspiel Wilhelm Tell. 1777. — Der Dreibund von Petri, Basel 1791. —
Johann Ludwig Ambühl; sein Lebensabriß. — Aus seinen Jugcndlicdern. — Seine
verschiedenen Schriften. — Entstehungsart seines Schauspiels Wilhelm Tell 1791.
Skizze desselben. — Rückblick auf die Persönlichkeit, das Schicksal und die poetische
Leistung sämmtlicher Tellcndicht.er von Ruoff an bis aus Schiller.

Johann Jakob Bodmer, geboren 1698 zu Greifensee, gestorben 1783 als
Professor zu Zürich, ist durch seine langdauernden Fehden mit den Leipzigern
und Berlinern und durch sein Freundesbündniß mit den Dichterjünglingen
Klopstock und Wieland berühmter geblieben, als durch seine fast zahllosen poe¬
tischen Producte. Keines derselben hat sich lebensfähig erwiesen. In allen
Gattungen und Formen hatte er sich versucht, seine epischen, dramatischen, ly¬
rischen und didaktischen Arbeiten sind zusammen vergessen. Ueber die Be¬
freiungsgeschichte und den Befreier der Schweiz allein hat er fünferlei Büh¬
nenstücke geschrieben. Alle fünf sind in demselben Jahre 1775 gedruckt, viel¬
leicht auch in derselben Zeitfrist von ihm verfertigt, lauter rohe Fabrikarbeit,
lauter eilfertige Nachahmung bekannter Originalwerke der englischen Literatur,
sämmtlich in nachlässiger Prosa geschrieben, oft nur wenige Druckseiten haltend.
Eine Analyse ihres Inhaltes mitzutheilen oder sie nach ästhetischen Grundsätzen
bemessen wollen, wäre überall unnütz. Bodmer begnügt sich mit dem histo¬
rischen Rohstoff, das Geschehene allein befriedigt ihn, nicht der Geist der Ge¬
schichte giebt ihm künstlerisch zu gestaltende Ideen ein, und insofern steht er
mit seinen übrigen Compatrivten, die sich damals poetisch an der Schweizer¬
geschichte versuchten, sogar dem Erzählungstalent des Chronisten Tschudi nach.
Das Widerwärtige dieser dramatischen Arbeiten liegt in der Gemüthskälte und
Empfindungsarmuth ihrer Autoren. Sie bringen ein von Gott für die Frei¬
heit voraus bestimmtes Volk auf die Bühne mit lauter unverwundbaren Frei¬
heitskämpfern und Siegesriesen; die Gegner sind lauter Scheusale und Skla¬
venseelen , angefüllt mit kindischer Albernheit, drachenhafter Mordgier und stin¬
kend von Gotteslästerungen. Durch dieses Heer von Bestien lassen sie die
Schweiz als ein Paradies der Menschenunschuld bekämpfen, bis der von der


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189354"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die TellenschausPiele in der Schweiz vor Schiller.<lb/>
Von<lb/><note type="byline"> E. L. Rochholz.</note></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Bier ter Abschnitt.</head><lb/>
            <note type="argument"> Die bodmcrische Periode der schweizerischen Bühnendichtung. &#x2014; Bodmcrs vier<lb/>
Schauspiele von Tell und open Schweizerbund, 1775. &#x2014; I. Ign. Zimmermann«<lb/>
Trauerspiel Wilhelm Tell. 1777. &#x2014; Der Dreibund von Petri, Basel 1791. &#x2014;<lb/>
Johann Ludwig Ambühl; sein Lebensabriß. &#x2014; Aus seinen Jugcndlicdern. &#x2014; Seine<lb/>
verschiedenen Schriften. &#x2014; Entstehungsart seines Schauspiels Wilhelm Tell 1791.<lb/>
Skizze desselben. &#x2014; Rückblick auf die Persönlichkeit, das Schicksal und die poetische<lb/>
Leistung sämmtlicher Tellcndicht.er von Ruoff an bis aus Schiller.</note><lb/>
            <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Johann Jakob Bodmer, geboren 1698 zu Greifensee, gestorben 1783 als<lb/>
Professor zu Zürich, ist durch seine langdauernden Fehden mit den Leipzigern<lb/>
und Berlinern und durch sein Freundesbündniß mit den Dichterjünglingen<lb/>
Klopstock und Wieland berühmter geblieben, als durch seine fast zahllosen poe¬<lb/>
tischen Producte. Keines derselben hat sich lebensfähig erwiesen. In allen<lb/>
Gattungen und Formen hatte er sich versucht, seine epischen, dramatischen, ly¬<lb/>
rischen und didaktischen Arbeiten sind zusammen vergessen. Ueber die Be¬<lb/>
freiungsgeschichte und den Befreier der Schweiz allein hat er fünferlei Büh¬<lb/>
nenstücke geschrieben. Alle fünf sind in demselben Jahre 1775 gedruckt, viel¬<lb/>
leicht auch in derselben Zeitfrist von ihm verfertigt, lauter rohe Fabrikarbeit,<lb/>
lauter eilfertige Nachahmung bekannter Originalwerke der englischen Literatur,<lb/>
sämmtlich in nachlässiger Prosa geschrieben, oft nur wenige Druckseiten haltend.<lb/>
Eine Analyse ihres Inhaltes mitzutheilen oder sie nach ästhetischen Grundsätzen<lb/>
bemessen wollen, wäre überall unnütz. Bodmer begnügt sich mit dem histo¬<lb/>
rischen Rohstoff, das Geschehene allein befriedigt ihn, nicht der Geist der Ge¬<lb/>
schichte giebt ihm künstlerisch zu gestaltende Ideen ein, und insofern steht er<lb/>
mit seinen übrigen Compatrivten, die sich damals poetisch an der Schweizer¬<lb/>
geschichte versuchten, sogar dem Erzählungstalent des Chronisten Tschudi nach.<lb/>
Das Widerwärtige dieser dramatischen Arbeiten liegt in der Gemüthskälte und<lb/>
Empfindungsarmuth ihrer Autoren. Sie bringen ein von Gott für die Frei¬<lb/>
heit voraus bestimmtes Volk auf die Bühne mit lauter unverwundbaren Frei¬<lb/>
heitskämpfern und Siegesriesen; die Gegner sind lauter Scheusale und Skla¬<lb/>
venseelen , angefüllt mit kindischer Albernheit, drachenhafter Mordgier und stin¬<lb/>
kend von Gotteslästerungen. Durch dieses Heer von Bestien lassen sie die<lb/>
Schweiz als ein Paradies der Menschenunschuld bekämpfen, bis der von der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Die TellenschausPiele in der Schweiz vor Schiller. Von E. L. Rochholz. Bier ter Abschnitt. Die bodmcrische Periode der schweizerischen Bühnendichtung. — Bodmcrs vier Schauspiele von Tell und open Schweizerbund, 1775. — I. Ign. Zimmermann« Trauerspiel Wilhelm Tell. 1777. — Der Dreibund von Petri, Basel 1791. — Johann Ludwig Ambühl; sein Lebensabriß. — Aus seinen Jugcndlicdern. — Seine verschiedenen Schriften. — Entstehungsart seines Schauspiels Wilhelm Tell 1791. Skizze desselben. — Rückblick auf die Persönlichkeit, das Schicksal und die poetische Leistung sämmtlicher Tellcndicht.er von Ruoff an bis aus Schiller. Johann Jakob Bodmer, geboren 1698 zu Greifensee, gestorben 1783 als Professor zu Zürich, ist durch seine langdauernden Fehden mit den Leipzigern und Berlinern und durch sein Freundesbündniß mit den Dichterjünglingen Klopstock und Wieland berühmter geblieben, als durch seine fast zahllosen poe¬ tischen Producte. Keines derselben hat sich lebensfähig erwiesen. In allen Gattungen und Formen hatte er sich versucht, seine epischen, dramatischen, ly¬ rischen und didaktischen Arbeiten sind zusammen vergessen. Ueber die Be¬ freiungsgeschichte und den Befreier der Schweiz allein hat er fünferlei Büh¬ nenstücke geschrieben. Alle fünf sind in demselben Jahre 1775 gedruckt, viel¬ leicht auch in derselben Zeitfrist von ihm verfertigt, lauter rohe Fabrikarbeit, lauter eilfertige Nachahmung bekannter Originalwerke der englischen Literatur, sämmtlich in nachlässiger Prosa geschrieben, oft nur wenige Druckseiten haltend. Eine Analyse ihres Inhaltes mitzutheilen oder sie nach ästhetischen Grundsätzen bemessen wollen, wäre überall unnütz. Bodmer begnügt sich mit dem histo¬ rischen Rohstoff, das Geschehene allein befriedigt ihn, nicht der Geist der Ge¬ schichte giebt ihm künstlerisch zu gestaltende Ideen ein, und insofern steht er mit seinen übrigen Compatrivten, die sich damals poetisch an der Schweizer¬ geschichte versuchten, sogar dem Erzählungstalent des Chronisten Tschudi nach. Das Widerwärtige dieser dramatischen Arbeiten liegt in der Gemüthskälte und Empfindungsarmuth ihrer Autoren. Sie bringen ein von Gott für die Frei¬ heit voraus bestimmtes Volk auf die Bühne mit lauter unverwundbaren Frei¬ heitskämpfern und Siegesriesen; die Gegner sind lauter Scheusale und Skla¬ venseelen , angefüllt mit kindischer Albernheit, drachenhafter Mordgier und stin¬ kend von Gotteslästerungen. Durch dieses Heer von Bestien lassen sie die Schweiz als ein Paradies der Menschenunschuld bekämpfen, bis der von der 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/259>, abgerufen am 03.05.2024.