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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Das älteste Christenthum und seine Literatur.
7. Nach dem Tode Jesu.

An keinem Punkte fällt es mehr in die Augen, daß wir in den Evan¬
gelien ziemlich späte, den Thatsachen der Erzählung fernstehende Quellen haben,
als bei den Berichten von der Auferstehung Jesu. Hier ist ein Mythus, wenn
irgendwo, und zwar ein Mythus, der schon längere Zeit durch die Umbildungen
der christlichen Sage hindurchging, ehe er seine jetzige Gestalt erhielt, ein
Mythus, der, wenn wir die vier Evangelien zusammenhalten, die verschieden¬
artigsten widersprechendsten Züge angenommen hat. Denn obwohl alle Evan¬
gelien erzählen, daß Jesus leibhaftig vom Tod wieder auferweckt worden ist,
so weichen sie doch in Bezug auf die Beglaubigung dieser Thatsache durch Augen¬
zeugen, in Bezug auf Zahl, Ort, Zeit der Erscheinungen, welche den Jüngern
zu Theil wurden, in Bezug aus die Art und Dauer des Zustandes Jesu
zwischen Auferstehung und Himmelfahrt beträchtlich von einander ab. Wissen
doch von der letzteren zwei der Evangelisten gar nichts, während sie ursprünglich
ganz mit der Auferstehung selbst zusammengedacht worden zu sein scheint.
Schon der alte Reimarus hat gründlich und schlagend den Beweis geführt,
"daß die wenigen Zeugen der Auferstehung Jesu in keiner einzigen vorgegebenen
Erscheinung unter sich selbst einig sind, wann, wie vielen, wie oft, wo. aus
was für Art er erschienen, und was endlich aus ihm geworden sei"; und mit
Recht fragt er. wie doch eine ganze Religion "auf ein an sich unglaubliches
Factum gebaut werden könne, das solche Leute bezeugen, die sich unter einander
selbst widerlegen?"*)

In der That war es stets eine gewagte Behauptung, daß der feste Grund
des Christenthums eben die Thatsache der Auferstehung sei. Also an einem
äußerlichen Factum sollte es hängen, an einem wunderbaren Vorgang, den
schon unsere ältesten Quellen dergestalt erzählen, daß überall die Spuren älterer
und jüngerer Sagenbildungcn zu Tage kommen? Was das Motiv für den
Glauben der ältesten Gemeinde gewesen sein mochte, braucht nicht eben des¬
wegen noch das Motiv für unseren Glauben zu sein. Für uns ist das Christen¬
thum durch Jesus gepflanzt, es hat seinen festen Grund im Worte Jesu, und
nicht in einem Vorgange, der nach seinem Tod mit seinem Leibe sich zutrug.
Das Christenthum auf die Auferstehung gründen, heißt nicht Jesus, sondern



-) Strauß, H. S. Reimarus. S. 221.
Das älteste Christenthum und seine Literatur.
7. Nach dem Tode Jesu.

An keinem Punkte fällt es mehr in die Augen, daß wir in den Evan¬
gelien ziemlich späte, den Thatsachen der Erzählung fernstehende Quellen haben,
als bei den Berichten von der Auferstehung Jesu. Hier ist ein Mythus, wenn
irgendwo, und zwar ein Mythus, der schon längere Zeit durch die Umbildungen
der christlichen Sage hindurchging, ehe er seine jetzige Gestalt erhielt, ein
Mythus, der, wenn wir die vier Evangelien zusammenhalten, die verschieden¬
artigsten widersprechendsten Züge angenommen hat. Denn obwohl alle Evan¬
gelien erzählen, daß Jesus leibhaftig vom Tod wieder auferweckt worden ist,
so weichen sie doch in Bezug auf die Beglaubigung dieser Thatsache durch Augen¬
zeugen, in Bezug auf Zahl, Ort, Zeit der Erscheinungen, welche den Jüngern
zu Theil wurden, in Bezug aus die Art und Dauer des Zustandes Jesu
zwischen Auferstehung und Himmelfahrt beträchtlich von einander ab. Wissen
doch von der letzteren zwei der Evangelisten gar nichts, während sie ursprünglich
ganz mit der Auferstehung selbst zusammengedacht worden zu sein scheint.
Schon der alte Reimarus hat gründlich und schlagend den Beweis geführt,
„daß die wenigen Zeugen der Auferstehung Jesu in keiner einzigen vorgegebenen
Erscheinung unter sich selbst einig sind, wann, wie vielen, wie oft, wo. aus
was für Art er erschienen, und was endlich aus ihm geworden sei"; und mit
Recht fragt er. wie doch eine ganze Religion „auf ein an sich unglaubliches
Factum gebaut werden könne, das solche Leute bezeugen, die sich unter einander
selbst widerlegen?"*)

In der That war es stets eine gewagte Behauptung, daß der feste Grund
des Christenthums eben die Thatsache der Auferstehung sei. Also an einem
äußerlichen Factum sollte es hängen, an einem wunderbaren Vorgang, den
schon unsere ältesten Quellen dergestalt erzählen, daß überall die Spuren älterer
und jüngerer Sagenbildungcn zu Tage kommen? Was das Motiv für den
Glauben der ältesten Gemeinde gewesen sein mochte, braucht nicht eben des¬
wegen noch das Motiv für unseren Glauben zu sein. Für uns ist das Christen¬
thum durch Jesus gepflanzt, es hat seinen festen Grund im Worte Jesu, und
nicht in einem Vorgange, der nach seinem Tod mit seinem Leibe sich zutrug.
Das Christenthum auf die Auferstehung gründen, heißt nicht Jesus, sondern



-) Strauß, H. S. Reimarus. S. 221.
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[0504] Das älteste Christenthum und seine Literatur. 7. Nach dem Tode Jesu. An keinem Punkte fällt es mehr in die Augen, daß wir in den Evan¬ gelien ziemlich späte, den Thatsachen der Erzählung fernstehende Quellen haben, als bei den Berichten von der Auferstehung Jesu. Hier ist ein Mythus, wenn irgendwo, und zwar ein Mythus, der schon längere Zeit durch die Umbildungen der christlichen Sage hindurchging, ehe er seine jetzige Gestalt erhielt, ein Mythus, der, wenn wir die vier Evangelien zusammenhalten, die verschieden¬ artigsten widersprechendsten Züge angenommen hat. Denn obwohl alle Evan¬ gelien erzählen, daß Jesus leibhaftig vom Tod wieder auferweckt worden ist, so weichen sie doch in Bezug auf die Beglaubigung dieser Thatsache durch Augen¬ zeugen, in Bezug auf Zahl, Ort, Zeit der Erscheinungen, welche den Jüngern zu Theil wurden, in Bezug aus die Art und Dauer des Zustandes Jesu zwischen Auferstehung und Himmelfahrt beträchtlich von einander ab. Wissen doch von der letzteren zwei der Evangelisten gar nichts, während sie ursprünglich ganz mit der Auferstehung selbst zusammengedacht worden zu sein scheint. Schon der alte Reimarus hat gründlich und schlagend den Beweis geführt, „daß die wenigen Zeugen der Auferstehung Jesu in keiner einzigen vorgegebenen Erscheinung unter sich selbst einig sind, wann, wie vielen, wie oft, wo. aus was für Art er erschienen, und was endlich aus ihm geworden sei"; und mit Recht fragt er. wie doch eine ganze Religion „auf ein an sich unglaubliches Factum gebaut werden könne, das solche Leute bezeugen, die sich unter einander selbst widerlegen?"*) In der That war es stets eine gewagte Behauptung, daß der feste Grund des Christenthums eben die Thatsache der Auferstehung sei. Also an einem äußerlichen Factum sollte es hängen, an einem wunderbaren Vorgang, den schon unsere ältesten Quellen dergestalt erzählen, daß überall die Spuren älterer und jüngerer Sagenbildungcn zu Tage kommen? Was das Motiv für den Glauben der ältesten Gemeinde gewesen sein mochte, braucht nicht eben des¬ wegen noch das Motiv für unseren Glauben zu sein. Für uns ist das Christen¬ thum durch Jesus gepflanzt, es hat seinen festen Grund im Worte Jesu, und nicht in einem Vorgange, der nach seinem Tod mit seinem Leibe sich zutrug. Das Christenthum auf die Auferstehung gründen, heißt nicht Jesus, sondern -) Strauß, H. S. Reimarus. S. 221.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/504>, abgerufen am 03.05.2024.