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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Das lanenlmrgische Annexionsgesuch.

Als wir in voriger Woche die erste Nachricht erhielten, Lauendma, habe
sich entschlossen, um Aufnahme in die preußische Monarchie zu bitten, freuten
nur uns dessen, wenn auch, wie billig, mit Maßen und ohne den Tag vor
dem Abend zu loben. Es war ein kleiner Anfang, aber es war doch ein An¬
fang. Indeß bei näherer Betrachtung des betreffenden Beschlusses der Stände
wollte uns bedünken, als ob man sich in seiner Freude noch mehr zu mäßigen
habe, und als wir uns dann die Natur und die letzte Vergangenheit des
Völkchens vergegenwärtigten, für welches die achtzehn Herren in Ratzeburg
sprachen, blieb von dem anfänglichen Wohlgefallen ein noch geringerer Nest.
Nicht Einverleibung wars, was die Ritter- und Landschaft des Herzogthums
zu erbitten beschloß, sondern eine Art Anfügung an den preußischen Staats-
körper mit Bewahrung einer weitgehenden Selbständigkeit und vor allem mit
Beibehaltung der bisherigen Verfassung und der alten feudalen Gemüthlichkeit,
die sie gewährte. Nicht Patriotismus war die Triebfeder, sondern Egoismus:
man entging einer Verbindung, welche mit schweren Steuern drohte, man
conservirte sich so möglicherweise Zustände, die in jener Verbindung sich kaum
gehalten hätten. Im Uebrigen sah sich die Sache an, wie wenn ein langer
Herr mit einem großen Regenschirm von einem kleinen ersucht wird, ihm an
den Arm fassen und mit unterschlüpfen zu dürfen.

Unter die Politiker sind die Lcmcnburger und diesem Schritt nicht gegangen.
Politik treiben, Weltgeschichte mitmachen wollen, siel ihnen bisher nicht im
Traum ein, und wo von Außen einmal die Nöthigung dazu an sie herantrat,
wiesen sie sie ab, verdrießlich über die Störung, wie Schlafende, die wegen
einer Kleinigkeit geweckt werden. Im Allgemeinen als Stille im Lande zu
bezeichnen, geberdeten sie sich, wo eine Ahnung von politischen Dingen ihnen
ausging, als Fanatiker der Nuhe. Selten begab sichs, daß der Blick über
Familie und Gemeinde hinausschweifte. Die Raupe im Krautlvpf kann nicht
viel unschuldiger an den Dingen, die das deutsche Volk seit einem halben Jahr¬
hundert bewegen, nicht viel geruhiger, harmloser und apathischer dahin vegetiren
als dieses für gewisse Staatsmänner mustergiltige Geschlecht großer und kleiner
Bauern. Man lebte, nahm ein Weib und starb. Man nährte sich, spielte
Schafkopf oder nach Befinden Lhvmbre dazu und befleißigte sich daneben der
Obliegenheiten eines getreuen Unterthans, gleichviel, ob Hinz oder Kunz das
Scepter trug. Wenn Zweifel darüber obwalten, wo heutzutage der normal-


Das lanenlmrgische Annexionsgesuch.

Als wir in voriger Woche die erste Nachricht erhielten, Lauendma, habe
sich entschlossen, um Aufnahme in die preußische Monarchie zu bitten, freuten
nur uns dessen, wenn auch, wie billig, mit Maßen und ohne den Tag vor
dem Abend zu loben. Es war ein kleiner Anfang, aber es war doch ein An¬
fang. Indeß bei näherer Betrachtung des betreffenden Beschlusses der Stände
wollte uns bedünken, als ob man sich in seiner Freude noch mehr zu mäßigen
habe, und als wir uns dann die Natur und die letzte Vergangenheit des
Völkchens vergegenwärtigten, für welches die achtzehn Herren in Ratzeburg
sprachen, blieb von dem anfänglichen Wohlgefallen ein noch geringerer Nest.
Nicht Einverleibung wars, was die Ritter- und Landschaft des Herzogthums
zu erbitten beschloß, sondern eine Art Anfügung an den preußischen Staats-
körper mit Bewahrung einer weitgehenden Selbständigkeit und vor allem mit
Beibehaltung der bisherigen Verfassung und der alten feudalen Gemüthlichkeit,
die sie gewährte. Nicht Patriotismus war die Triebfeder, sondern Egoismus:
man entging einer Verbindung, welche mit schweren Steuern drohte, man
conservirte sich so möglicherweise Zustände, die in jener Verbindung sich kaum
gehalten hätten. Im Uebrigen sah sich die Sache an, wie wenn ein langer
Herr mit einem großen Regenschirm von einem kleinen ersucht wird, ihm an
den Arm fassen und mit unterschlüpfen zu dürfen.

Unter die Politiker sind die Lcmcnburger und diesem Schritt nicht gegangen.
Politik treiben, Weltgeschichte mitmachen wollen, siel ihnen bisher nicht im
Traum ein, und wo von Außen einmal die Nöthigung dazu an sie herantrat,
wiesen sie sie ab, verdrießlich über die Störung, wie Schlafende, die wegen
einer Kleinigkeit geweckt werden. Im Allgemeinen als Stille im Lande zu
bezeichnen, geberdeten sie sich, wo eine Ahnung von politischen Dingen ihnen
ausging, als Fanatiker der Nuhe. Selten begab sichs, daß der Blick über
Familie und Gemeinde hinausschweifte. Die Raupe im Krautlvpf kann nicht
viel unschuldiger an den Dingen, die das deutsche Volk seit einem halben Jahr¬
hundert bewegen, nicht viel geruhiger, harmloser und apathischer dahin vegetiren
als dieses für gewisse Staatsmänner mustergiltige Geschlecht großer und kleiner
Bauern. Man lebte, nahm ein Weib und starb. Man nährte sich, spielte
Schafkopf oder nach Befinden Lhvmbre dazu und befleißigte sich daneben der
Obliegenheiten eines getreuen Unterthans, gleichviel, ob Hinz oder Kunz das
Scepter trug. Wenn Zweifel darüber obwalten, wo heutzutage der normal-


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[0232] Das lanenlmrgische Annexionsgesuch. Als wir in voriger Woche die erste Nachricht erhielten, Lauendma, habe sich entschlossen, um Aufnahme in die preußische Monarchie zu bitten, freuten nur uns dessen, wenn auch, wie billig, mit Maßen und ohne den Tag vor dem Abend zu loben. Es war ein kleiner Anfang, aber es war doch ein An¬ fang. Indeß bei näherer Betrachtung des betreffenden Beschlusses der Stände wollte uns bedünken, als ob man sich in seiner Freude noch mehr zu mäßigen habe, und als wir uns dann die Natur und die letzte Vergangenheit des Völkchens vergegenwärtigten, für welches die achtzehn Herren in Ratzeburg sprachen, blieb von dem anfänglichen Wohlgefallen ein noch geringerer Nest. Nicht Einverleibung wars, was die Ritter- und Landschaft des Herzogthums zu erbitten beschloß, sondern eine Art Anfügung an den preußischen Staats- körper mit Bewahrung einer weitgehenden Selbständigkeit und vor allem mit Beibehaltung der bisherigen Verfassung und der alten feudalen Gemüthlichkeit, die sie gewährte. Nicht Patriotismus war die Triebfeder, sondern Egoismus: man entging einer Verbindung, welche mit schweren Steuern drohte, man conservirte sich so möglicherweise Zustände, die in jener Verbindung sich kaum gehalten hätten. Im Uebrigen sah sich die Sache an, wie wenn ein langer Herr mit einem großen Regenschirm von einem kleinen ersucht wird, ihm an den Arm fassen und mit unterschlüpfen zu dürfen. Unter die Politiker sind die Lcmcnburger und diesem Schritt nicht gegangen. Politik treiben, Weltgeschichte mitmachen wollen, siel ihnen bisher nicht im Traum ein, und wo von Außen einmal die Nöthigung dazu an sie herantrat, wiesen sie sie ab, verdrießlich über die Störung, wie Schlafende, die wegen einer Kleinigkeit geweckt werden. Im Allgemeinen als Stille im Lande zu bezeichnen, geberdeten sie sich, wo eine Ahnung von politischen Dingen ihnen ausging, als Fanatiker der Nuhe. Selten begab sichs, daß der Blick über Familie und Gemeinde hinausschweifte. Die Raupe im Krautlvpf kann nicht viel unschuldiger an den Dingen, die das deutsche Volk seit einem halben Jahr¬ hundert bewegen, nicht viel geruhiger, harmloser und apathischer dahin vegetiren als dieses für gewisse Staatsmänner mustergiltige Geschlecht großer und kleiner Bauern. Man lebte, nahm ein Weib und starb. Man nährte sich, spielte Schafkopf oder nach Befinden Lhvmbre dazu und befleißigte sich daneben der Obliegenheiten eines getreuen Unterthans, gleichviel, ob Hinz oder Kunz das Scepter trug. Wenn Zweifel darüber obwalten, wo heutzutage der normal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/232>, abgerufen am 05.05.2024.