Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Literatur.
Gröger, viae Dr., "Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die
Wahrheit wird euch frei machen." Predigten über Evangelicnvcrikopcn. Breslau.
Hirts Verlag, 1864.

Der Verfasser erklärt sich im Vorwort als einen Schüler der "branißschcn Philo¬
sophie", von welcher er meint, daß sie für das alte Problem der Vereinigung von
Glauben und Wissen, von Religion und Wissenschaft die richtige Lösung gefunden
habe; er behauptet, daß dieser Philosophie die Zukunft gehört. Wie man auch über
diese Prophezeihung denken mag. man wird nicht läugnen, daß Professor Braniß
einen ehrenvollen Platz unter den Vertretern jener theologischen Richtung einnimmt,
welche man, besonders im Gegensatz zum hcgclschcn Pantheismus, als speculativen
Theismus zu bezeichnen pflegt. Wie man weiß, begründet sich diese Richtung auf
der Anerkennung eines positiven Gehaltes im Christenthum, der durch Spekulation
zwar nicht gefunden, aber von ihr begriffen werden könne. Ihr Bestreben ist darauf
gerichtet, durch philosophische Kritik diesen Gehalt aus den Formeln der kirchlichen
Dogmatik zu befreien und ihn so dem Bewußtsein und den geistigen Bedürfnissen der
Gegenwart zu vermitteln. Die Predigten Grögers enthalten in allgemein faßlicher
Form die Resultate eines solchen Strebens. So sehr auch die gute Absicht derselben
und das ernsthafte Interesse, welches der Verfasser für seine Sache hat, anzuerkennen
ist, so müssen doch manche dunkle Reste der Dogmatik, an denen es in den Predigten
nicht fehlt, bedenklich erscheinen. Vor dem gewöhnlichen Kanzelpathos hat sich der
Verfasser zu hüten gewußt; dafür leiden seine'Predigten aber mit wenig Ausnahmen
an einer gewissen doctrinären Trockenheit und Sterilität des Ausdrucks. --


Wiegenklänge von August Lubrecht, Pastor zu Sudcrburg. Mit
Originalillustrationen von Emil Sachßc. Dresden, Druck und Verlag von C. C.
Mcinhold und Söhne.

Diese kleinen, der Volksdichtung ähnelnden Poesien sind von ziemlich verfehle.
denen Werthe, so daß wir fast daran zweifeln möchten, ob sie von Einem Verfasser
herrühren. Wenn dies, so haben jedenfalls gute und schwache Stunden bei ihm
abgewechselt. Neben Liebchen, welche recht unpädagogischc Vergötterungen des Kin¬
des enthalten, die auf Uebertragungen aus der Liebespocsie hinauskommen, stehen
erquickliche Tändclreimc, von denen etliche entschiedenes Lob und Popularität ver¬
dienen. Ursprünglichkeit ist nicht immer ihr Vorzug; allein dies ist bei solchen
Dichtungen gar nicht Erfordernis;, wenn sie nur den Ton der Kinderstube treffen,
und das ist sehr vielen nachzurühmen. Die Ucberredungslogik der Kindcrreime mit
ihren ergötzlichen halsbrecherischen Sprüngen findet sich oft vertreten, ebenso die
ausgelassene Lustigkeit der Schaukel- und Reiterrcime. Selbst der patriotische Zug
steht einigen der Verschen nicht übel. Sie sind Schleswig-holsteinischen Ursprungs
und da figurirt der Däne natürlich als schwarzer Mann, wozu es ihm auch gar
nicht an Zeug fehlt. -- Die beigefügten Bildchen von Sachße sind meisterhaft ge-


Literatur.
Gröger, viae Dr., „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die
Wahrheit wird euch frei machen." Predigten über Evangelicnvcrikopcn. Breslau.
Hirts Verlag, 1864.

Der Verfasser erklärt sich im Vorwort als einen Schüler der „branißschcn Philo¬
sophie", von welcher er meint, daß sie für das alte Problem der Vereinigung von
Glauben und Wissen, von Religion und Wissenschaft die richtige Lösung gefunden
habe; er behauptet, daß dieser Philosophie die Zukunft gehört. Wie man auch über
diese Prophezeihung denken mag. man wird nicht läugnen, daß Professor Braniß
einen ehrenvollen Platz unter den Vertretern jener theologischen Richtung einnimmt,
welche man, besonders im Gegensatz zum hcgclschcn Pantheismus, als speculativen
Theismus zu bezeichnen pflegt. Wie man weiß, begründet sich diese Richtung auf
der Anerkennung eines positiven Gehaltes im Christenthum, der durch Spekulation
zwar nicht gefunden, aber von ihr begriffen werden könne. Ihr Bestreben ist darauf
gerichtet, durch philosophische Kritik diesen Gehalt aus den Formeln der kirchlichen
Dogmatik zu befreien und ihn so dem Bewußtsein und den geistigen Bedürfnissen der
Gegenwart zu vermitteln. Die Predigten Grögers enthalten in allgemein faßlicher
Form die Resultate eines solchen Strebens. So sehr auch die gute Absicht derselben
und das ernsthafte Interesse, welches der Verfasser für seine Sache hat, anzuerkennen
ist, so müssen doch manche dunkle Reste der Dogmatik, an denen es in den Predigten
nicht fehlt, bedenklich erscheinen. Vor dem gewöhnlichen Kanzelpathos hat sich der
Verfasser zu hüten gewußt; dafür leiden seine'Predigten aber mit wenig Ausnahmen
an einer gewissen doctrinären Trockenheit und Sterilität des Ausdrucks. —


Wiegenklänge von August Lubrecht, Pastor zu Sudcrburg. Mit
Originalillustrationen von Emil Sachßc. Dresden, Druck und Verlag von C. C.
Mcinhold und Söhne.

Diese kleinen, der Volksdichtung ähnelnden Poesien sind von ziemlich verfehle.
denen Werthe, so daß wir fast daran zweifeln möchten, ob sie von Einem Verfasser
herrühren. Wenn dies, so haben jedenfalls gute und schwache Stunden bei ihm
abgewechselt. Neben Liebchen, welche recht unpädagogischc Vergötterungen des Kin¬
des enthalten, die auf Uebertragungen aus der Liebespocsie hinauskommen, stehen
erquickliche Tändclreimc, von denen etliche entschiedenes Lob und Popularität ver¬
dienen. Ursprünglichkeit ist nicht immer ihr Vorzug; allein dies ist bei solchen
Dichtungen gar nicht Erfordernis;, wenn sie nur den Ton der Kinderstube treffen,
und das ist sehr vielen nachzurühmen. Die Ucberredungslogik der Kindcrreime mit
ihren ergötzlichen halsbrecherischen Sprüngen findet sich oft vertreten, ebenso die
ausgelassene Lustigkeit der Schaukel- und Reiterrcime. Selbst der patriotische Zug
steht einigen der Verschen nicht übel. Sie sind Schleswig-holsteinischen Ursprungs
und da figurirt der Däne natürlich als schwarzer Mann, wozu es ihm auch gar
nicht an Zeug fehlt. — Die beigefügten Bildchen von Sachße sind meisterhaft ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190067"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Gröger, viae Dr., &#x201E;Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die<lb/>
Wahrheit wird euch frei machen." Predigten über Evangelicnvcrikopcn. Breslau.<lb/>
Hirts Verlag, 1864.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1500"> Der Verfasser erklärt sich im Vorwort als einen Schüler der &#x201E;branißschcn Philo¬<lb/>
sophie", von welcher er meint, daß sie für das alte Problem der Vereinigung von<lb/>
Glauben und Wissen, von Religion und Wissenschaft die richtige Lösung gefunden<lb/>
habe; er behauptet, daß dieser Philosophie die Zukunft gehört. Wie man auch über<lb/>
diese Prophezeihung denken mag. man wird nicht läugnen, daß Professor Braniß<lb/>
einen ehrenvollen Platz unter den Vertretern jener theologischen Richtung einnimmt,<lb/>
welche man, besonders im Gegensatz zum hcgclschcn Pantheismus, als speculativen<lb/>
Theismus zu bezeichnen pflegt. Wie man weiß, begründet sich diese Richtung auf<lb/>
der Anerkennung eines positiven Gehaltes im Christenthum, der durch Spekulation<lb/>
zwar nicht gefunden, aber von ihr begriffen werden könne. Ihr Bestreben ist darauf<lb/>
gerichtet, durch philosophische Kritik diesen Gehalt aus den Formeln der kirchlichen<lb/>
Dogmatik zu befreien und ihn so dem Bewußtsein und den geistigen Bedürfnissen der<lb/>
Gegenwart zu vermitteln. Die Predigten Grögers enthalten in allgemein faßlicher<lb/>
Form die Resultate eines solchen Strebens. So sehr auch die gute Absicht derselben<lb/>
und das ernsthafte Interesse, welches der Verfasser für seine Sache hat, anzuerkennen<lb/>
ist, so müssen doch manche dunkle Reste der Dogmatik, an denen es in den Predigten<lb/>
nicht fehlt, bedenklich erscheinen. Vor dem gewöhnlichen Kanzelpathos hat sich der<lb/>
Verfasser zu hüten gewußt; dafür leiden seine'Predigten aber mit wenig Ausnahmen<lb/>
an einer gewissen doctrinären Trockenheit und Sterilität des Ausdrucks. &#x2014;</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Wiegenklänge von August Lubrecht, Pastor zu Sudcrburg. Mit<lb/>
Originalillustrationen von Emil Sachßc. Dresden, Druck und Verlag von C. C.<lb/>
Mcinhold und Söhne.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Diese kleinen, der Volksdichtung ähnelnden Poesien sind von ziemlich verfehle.<lb/>
denen Werthe, so daß wir fast daran zweifeln möchten, ob sie von Einem Verfasser<lb/>
herrühren. Wenn dies, so haben jedenfalls gute und schwache Stunden bei ihm<lb/>
abgewechselt. Neben Liebchen, welche recht unpädagogischc Vergötterungen des Kin¬<lb/>
des enthalten, die auf Uebertragungen aus der Liebespocsie hinauskommen, stehen<lb/>
erquickliche Tändclreimc, von denen etliche entschiedenes Lob und Popularität ver¬<lb/>
dienen. Ursprünglichkeit ist nicht immer ihr Vorzug; allein dies ist bei solchen<lb/>
Dichtungen gar nicht Erfordernis;, wenn sie nur den Ton der Kinderstube treffen,<lb/>
und das ist sehr vielen nachzurühmen. Die Ucberredungslogik der Kindcrreime mit<lb/>
ihren ergötzlichen halsbrecherischen Sprüngen findet sich oft vertreten, ebenso die<lb/>
ausgelassene Lustigkeit der Schaukel- und Reiterrcime. Selbst der patriotische Zug<lb/>
steht einigen der Verschen nicht übel. Sie sind Schleswig-holsteinischen Ursprungs<lb/>
und da figurirt der Däne natürlich als schwarzer Mann, wozu es ihm auch gar<lb/>
nicht an Zeug fehlt. &#x2014; Die beigefügten Bildchen von Sachße sind meisterhaft ge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] Literatur. Gröger, viae Dr., „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen." Predigten über Evangelicnvcrikopcn. Breslau. Hirts Verlag, 1864. Der Verfasser erklärt sich im Vorwort als einen Schüler der „branißschcn Philo¬ sophie", von welcher er meint, daß sie für das alte Problem der Vereinigung von Glauben und Wissen, von Religion und Wissenschaft die richtige Lösung gefunden habe; er behauptet, daß dieser Philosophie die Zukunft gehört. Wie man auch über diese Prophezeihung denken mag. man wird nicht läugnen, daß Professor Braniß einen ehrenvollen Platz unter den Vertretern jener theologischen Richtung einnimmt, welche man, besonders im Gegensatz zum hcgclschcn Pantheismus, als speculativen Theismus zu bezeichnen pflegt. Wie man weiß, begründet sich diese Richtung auf der Anerkennung eines positiven Gehaltes im Christenthum, der durch Spekulation zwar nicht gefunden, aber von ihr begriffen werden könne. Ihr Bestreben ist darauf gerichtet, durch philosophische Kritik diesen Gehalt aus den Formeln der kirchlichen Dogmatik zu befreien und ihn so dem Bewußtsein und den geistigen Bedürfnissen der Gegenwart zu vermitteln. Die Predigten Grögers enthalten in allgemein faßlicher Form die Resultate eines solchen Strebens. So sehr auch die gute Absicht derselben und das ernsthafte Interesse, welches der Verfasser für seine Sache hat, anzuerkennen ist, so müssen doch manche dunkle Reste der Dogmatik, an denen es in den Predigten nicht fehlt, bedenklich erscheinen. Vor dem gewöhnlichen Kanzelpathos hat sich der Verfasser zu hüten gewußt; dafür leiden seine'Predigten aber mit wenig Ausnahmen an einer gewissen doctrinären Trockenheit und Sterilität des Ausdrucks. — Wiegenklänge von August Lubrecht, Pastor zu Sudcrburg. Mit Originalillustrationen von Emil Sachßc. Dresden, Druck und Verlag von C. C. Mcinhold und Söhne. Diese kleinen, der Volksdichtung ähnelnden Poesien sind von ziemlich verfehle. denen Werthe, so daß wir fast daran zweifeln möchten, ob sie von Einem Verfasser herrühren. Wenn dies, so haben jedenfalls gute und schwache Stunden bei ihm abgewechselt. Neben Liebchen, welche recht unpädagogischc Vergötterungen des Kin¬ des enthalten, die auf Uebertragungen aus der Liebespocsie hinauskommen, stehen erquickliche Tändclreimc, von denen etliche entschiedenes Lob und Popularität ver¬ dienen. Ursprünglichkeit ist nicht immer ihr Vorzug; allein dies ist bei solchen Dichtungen gar nicht Erfordernis;, wenn sie nur den Ton der Kinderstube treffen, und das ist sehr vielen nachzurühmen. Die Ucberredungslogik der Kindcrreime mit ihren ergötzlichen halsbrecherischen Sprüngen findet sich oft vertreten, ebenso die ausgelassene Lustigkeit der Schaukel- und Reiterrcime. Selbst der patriotische Zug steht einigen der Verschen nicht übel. Sie sind Schleswig-holsteinischen Ursprungs und da figurirt der Däne natürlich als schwarzer Mann, wozu es ihm auch gar nicht an Zeug fehlt. — Die beigefügten Bildchen von Sachße sind meisterhaft ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/443>, abgerufen am 05.05.2024.