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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Careys Bedeutung für die Socialpolitik.

Im Jahre 1859 gab der Amerikaner Carey sein großes, drei starke Bände
umfassendes Werk "über die Principien der Socialwissenschaft" heraus. Von
dieser hervorragenden Schrift ist im Laufe dieses Jahres der letzte Band der
deutschen Uebersetzung erschienen. Es ist zu erwarten, daß diese Veröffentlichung
einen sehr großen Einfluß auf die Gestaltung der volkswirtschaftlichen und social-
politischen Ideen gewinnen werde. Wenn man erwägt, was die nicht viel
länger als ein Jahrzehnt in Deutschland bekannten (von Prince Smith über¬
setzten) "ökonomischen Harmonien" Bastiats bereits gewirkt haben, so kann man
die. Erfolge nicht leicht überschätzen, welche Careys Principien der Social¬
wissenschaft in Aussicht stehn. Bastiats Harmonien sind ein nur halb vollende¬
tes Werk und übrigens zur schulmäßigen Propaganda ihrer losen und äußerlich
wenig systematischen Form wegen gar nicht besonders geeignet. Dennoch bil¬
den sie jetzt den Codex, aus dessen Gesetze"? sich die ganze praktische Socialpolitik,
die sich vornehmlich in der Arbeiterbewegung wirksam zeigte, mit dem nöthigen
theoretischen Rüstzeug versehen hat. Nun sind aller Aehnlichkeit und sogar Ueber¬
einstimmung ungeachtet die Schöpfungen der erwähnten beiden Denker so grund¬
verschieden, und es ist der von großartigen welthistorischen und naturwissen¬
schaftlichen Anschauungen bewegte Carey dem reizenden und elegant dialektischen
Bastiat in vielen Hinsichten so sehr überlegen, daß man sich kaum irren kann, wenn
man erwartet, daß von seinen noch obenein für unsere Zustände besonders anzüg¬
lichen Ideen allmälig ein großer Umschwung herbeigeführt werden wird.

Es würde vermessen sein, auf wenigen Seiten die Bedeutung eines Wer¬
kes und eines Mannes würdigen zu wollen, der vielleicht bestimmt ist, un¬
mittelbar nach Adam Smith und als der zweite Vater wenn nicht der Volks-
wirthschaftslehre -- denn diese hat keine zweite Erzeugung nöthig -- so doch
der Socialwissenschaft genannt zu werden. Wir beschränken uns daher darauf,
die Hauptverdicnste, die unser Denker anerkanntermaßen um die Förderung der
eigentlichen Volkswirtschaftslehre hat, kurz hervorzuheben, und dann zu einer
gedrängten Kennzeichnung seiner bis jetzt in Deutschland noch sehr wenig bespro¬
chenen und noch weniger gewürdigten socialpolitischen Anschauungen überzugehen.


Grenzboten IV. 18K4. 6
Careys Bedeutung für die Socialpolitik.

Im Jahre 1859 gab der Amerikaner Carey sein großes, drei starke Bände
umfassendes Werk „über die Principien der Socialwissenschaft" heraus. Von
dieser hervorragenden Schrift ist im Laufe dieses Jahres der letzte Band der
deutschen Uebersetzung erschienen. Es ist zu erwarten, daß diese Veröffentlichung
einen sehr großen Einfluß auf die Gestaltung der volkswirtschaftlichen und social-
politischen Ideen gewinnen werde. Wenn man erwägt, was die nicht viel
länger als ein Jahrzehnt in Deutschland bekannten (von Prince Smith über¬
setzten) „ökonomischen Harmonien" Bastiats bereits gewirkt haben, so kann man
die. Erfolge nicht leicht überschätzen, welche Careys Principien der Social¬
wissenschaft in Aussicht stehn. Bastiats Harmonien sind ein nur halb vollende¬
tes Werk und übrigens zur schulmäßigen Propaganda ihrer losen und äußerlich
wenig systematischen Form wegen gar nicht besonders geeignet. Dennoch bil¬
den sie jetzt den Codex, aus dessen Gesetze»? sich die ganze praktische Socialpolitik,
die sich vornehmlich in der Arbeiterbewegung wirksam zeigte, mit dem nöthigen
theoretischen Rüstzeug versehen hat. Nun sind aller Aehnlichkeit und sogar Ueber¬
einstimmung ungeachtet die Schöpfungen der erwähnten beiden Denker so grund¬
verschieden, und es ist der von großartigen welthistorischen und naturwissen¬
schaftlichen Anschauungen bewegte Carey dem reizenden und elegant dialektischen
Bastiat in vielen Hinsichten so sehr überlegen, daß man sich kaum irren kann, wenn
man erwartet, daß von seinen noch obenein für unsere Zustände besonders anzüg¬
lichen Ideen allmälig ein großer Umschwung herbeigeführt werden wird.

Es würde vermessen sein, auf wenigen Seiten die Bedeutung eines Wer¬
kes und eines Mannes würdigen zu wollen, der vielleicht bestimmt ist, un¬
mittelbar nach Adam Smith und als der zweite Vater wenn nicht der Volks-
wirthschaftslehre — denn diese hat keine zweite Erzeugung nöthig — so doch
der Socialwissenschaft genannt zu werden. Wir beschränken uns daher darauf,
die Hauptverdicnste, die unser Denker anerkanntermaßen um die Förderung der
eigentlichen Volkswirtschaftslehre hat, kurz hervorzuheben, und dann zu einer
gedrängten Kennzeichnung seiner bis jetzt in Deutschland noch sehr wenig bespro¬
chenen und noch weniger gewürdigten socialpolitischen Anschauungen überzugehen.


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[0045] Careys Bedeutung für die Socialpolitik. Im Jahre 1859 gab der Amerikaner Carey sein großes, drei starke Bände umfassendes Werk „über die Principien der Socialwissenschaft" heraus. Von dieser hervorragenden Schrift ist im Laufe dieses Jahres der letzte Band der deutschen Uebersetzung erschienen. Es ist zu erwarten, daß diese Veröffentlichung einen sehr großen Einfluß auf die Gestaltung der volkswirtschaftlichen und social- politischen Ideen gewinnen werde. Wenn man erwägt, was die nicht viel länger als ein Jahrzehnt in Deutschland bekannten (von Prince Smith über¬ setzten) „ökonomischen Harmonien" Bastiats bereits gewirkt haben, so kann man die. Erfolge nicht leicht überschätzen, welche Careys Principien der Social¬ wissenschaft in Aussicht stehn. Bastiats Harmonien sind ein nur halb vollende¬ tes Werk und übrigens zur schulmäßigen Propaganda ihrer losen und äußerlich wenig systematischen Form wegen gar nicht besonders geeignet. Dennoch bil¬ den sie jetzt den Codex, aus dessen Gesetze»? sich die ganze praktische Socialpolitik, die sich vornehmlich in der Arbeiterbewegung wirksam zeigte, mit dem nöthigen theoretischen Rüstzeug versehen hat. Nun sind aller Aehnlichkeit und sogar Ueber¬ einstimmung ungeachtet die Schöpfungen der erwähnten beiden Denker so grund¬ verschieden, und es ist der von großartigen welthistorischen und naturwissen¬ schaftlichen Anschauungen bewegte Carey dem reizenden und elegant dialektischen Bastiat in vielen Hinsichten so sehr überlegen, daß man sich kaum irren kann, wenn man erwartet, daß von seinen noch obenein für unsere Zustände besonders anzüg¬ lichen Ideen allmälig ein großer Umschwung herbeigeführt werden wird. Es würde vermessen sein, auf wenigen Seiten die Bedeutung eines Wer¬ kes und eines Mannes würdigen zu wollen, der vielleicht bestimmt ist, un¬ mittelbar nach Adam Smith und als der zweite Vater wenn nicht der Volks- wirthschaftslehre — denn diese hat keine zweite Erzeugung nöthig — so doch der Socialwissenschaft genannt zu werden. Wir beschränken uns daher darauf, die Hauptverdicnste, die unser Denker anerkanntermaßen um die Förderung der eigentlichen Volkswirtschaftslehre hat, kurz hervorzuheben, und dann zu einer gedrängten Kennzeichnung seiner bis jetzt in Deutschland noch sehr wenig bespro¬ chenen und noch weniger gewürdigten socialpolitischen Anschauungen überzugehen. Grenzboten IV. 18K4. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/45>, abgerufen am 05.05.2024.