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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Literatur.
Odysseus' Heimkehr. Ein Heldengedicht in fünfzig Liedern, Nach
den Grundlinien der homerischen Dichtung ausgeführt nud den deutschen Frauen
gewidmet von C, Th, Grnvenhorst. Hannover, Carl Rümpler, 1865,

Bei Gelegenheit des Hinweises auf Schmidts Übersetzung der Odyssee sprachen wir
aus, baß als einzige Form der Wiedergabe Homers außer der Uebersetzung in Hexame¬
tern uns die in Prosa erscheine. Wir erhalten nnn hier eine Odyssee in deutschen
Reimversen, Der Übersetzer, der früher schon mehre Versuche veröffentlicht hat.
antike Poesie durch Assimilation an deutsche Formen uns näher zu bringen, hat
sich nicht gemüßigt erachtet, sich über dieses neue Unternehmen zu erklären, Gründe
für seine Wahl und Absicht anzudeuten. Die Sache soll, wie es scheint, selbst für
sich reden. Wir finden, grad heraus gesagt, daß das Unternehmen von der ersten
Seite ab sich als ein vollständiger Mißgriff offenbart. Die jambischen, dann und
wann mit trochüischcn wechselnden Verse der fünfzig Lieder fließen geschmeidig dahin,
aber alle Kraft des Heidenmäßigen, ja des Epischeu überhaupt ist vollständig
verloren; erschreckend trivial, nicht selten im übelsten Sinne modern tritt alles
vor uns, woran sonst die Phantasie sich voll ergötzt hat. Von Talent zeigt
sich nicht mehr als ein mäßiges Geschick, Prosa durch'Reimzeilen abzutheilen. Aber
selbst wenn die Gedichte zehnmal besser gelungen wären, sie würden nicht im Stande
sein, uus zu überrede", daß es künstlerisch gerechtfertigt sei, die Odyssee auf diese
Weise wiederzugeben. Die Form ist beim Epos so nothwendig wie bei andern Gat¬
tungen der Poesie und sie verdient die gleiche Pietät wie andere; vollends wenn
Homer in Frage kommt. Giebt uns jemand ein Bild der Erzählung in poetischer
Prosa, wie dies Ferdinand Schmidt mit Glück versucht hat, so zieht er eben nnr
einen Theil, wenn auch einen sehr wichtigen, vom Ganzen ab; wer aber
den Inhalt in eine völlig andere poetische Form prägt, die gar nichts mit
der Welt zu thun hat, in welcher Homers Gesänge leben, so ist das schlechter¬
dings verwerflich. Und wir fragen! wozu de>s ganze Benus"? Man mag be¬
haupten dürfe", daß die vvssische Übersetzung manche Unehe"beide" und Ge¬
schmacklosigkeiten um sich habe, die zum Theil auf Rechnung des in einzelnen Zügen
bemerkbaren Fortschrittes unsrer Sprache kommen, immerhi"; aber solchen Versuchen
gegenüber, wie der vorliegende ist. hat Voß i" allen Punkten recht; seine Fehler
erscheinen nicht mehr als solche, wenn sie mit diesem völlig unberechtigten Bestreben,
einem Bedürfniß von heute zu entspreche", verglichen werde". El" solches Bedürfniß
'se entweder gar nicht vorhanden, oder es ist vom Uebel, wenn es anerkannt oder
gar, wenn es befriedigt wird. Das Werk wendet sich an die Frauen. Verstehe,!
Unsre Frauen den Homer nicht so, wie er von Voß übersetzt ist. so mögen sie es
lernen; es hält nicht schwer; aber sie sind es, die ihm entgegenzukommen haben. Wer
dein großen Alten zumuthet. Handschuhe anznzieh" und sich in modisches Habit zu
stecken, damit er den Damen ohne Mühe verständlich werde, der verkennt den Homer,
steh selbst und wie wir glauben, auch die deutschen Frauen. --


Literatur.
Odysseus' Heimkehr. Ein Heldengedicht in fünfzig Liedern, Nach
den Grundlinien der homerischen Dichtung ausgeführt nud den deutschen Frauen
gewidmet von C, Th, Grnvenhorst. Hannover, Carl Rümpler, 1865,

Bei Gelegenheit des Hinweises auf Schmidts Übersetzung der Odyssee sprachen wir
aus, baß als einzige Form der Wiedergabe Homers außer der Uebersetzung in Hexame¬
tern uns die in Prosa erscheine. Wir erhalten nnn hier eine Odyssee in deutschen
Reimversen, Der Übersetzer, der früher schon mehre Versuche veröffentlicht hat.
antike Poesie durch Assimilation an deutsche Formen uns näher zu bringen, hat
sich nicht gemüßigt erachtet, sich über dieses neue Unternehmen zu erklären, Gründe
für seine Wahl und Absicht anzudeuten. Die Sache soll, wie es scheint, selbst für
sich reden. Wir finden, grad heraus gesagt, daß das Unternehmen von der ersten
Seite ab sich als ein vollständiger Mißgriff offenbart. Die jambischen, dann und
wann mit trochüischcn wechselnden Verse der fünfzig Lieder fließen geschmeidig dahin,
aber alle Kraft des Heidenmäßigen, ja des Epischeu überhaupt ist vollständig
verloren; erschreckend trivial, nicht selten im übelsten Sinne modern tritt alles
vor uns, woran sonst die Phantasie sich voll ergötzt hat. Von Talent zeigt
sich nicht mehr als ein mäßiges Geschick, Prosa durch'Reimzeilen abzutheilen. Aber
selbst wenn die Gedichte zehnmal besser gelungen wären, sie würden nicht im Stande
sein, uus zu überrede», daß es künstlerisch gerechtfertigt sei, die Odyssee auf diese
Weise wiederzugeben. Die Form ist beim Epos so nothwendig wie bei andern Gat¬
tungen der Poesie und sie verdient die gleiche Pietät wie andere; vollends wenn
Homer in Frage kommt. Giebt uns jemand ein Bild der Erzählung in poetischer
Prosa, wie dies Ferdinand Schmidt mit Glück versucht hat, so zieht er eben nnr
einen Theil, wenn auch einen sehr wichtigen, vom Ganzen ab; wer aber
den Inhalt in eine völlig andere poetische Form prägt, die gar nichts mit
der Welt zu thun hat, in welcher Homers Gesänge leben, so ist das schlechter¬
dings verwerflich. Und wir fragen! wozu de>s ganze Benus»? Man mag be¬
haupten dürfe», daß die vvssische Übersetzung manche Unehe»beide» und Ge¬
schmacklosigkeiten um sich habe, die zum Theil auf Rechnung des in einzelnen Zügen
bemerkbaren Fortschrittes unsrer Sprache kommen, immerhi»; aber solchen Versuchen
gegenüber, wie der vorliegende ist. hat Voß i» allen Punkten recht; seine Fehler
erscheinen nicht mehr als solche, wenn sie mit diesem völlig unberechtigten Bestreben,
einem Bedürfniß von heute zu entspreche», verglichen werde». El» solches Bedürfniß
'se entweder gar nicht vorhanden, oder es ist vom Uebel, wenn es anerkannt oder
gar, wenn es befriedigt wird. Das Werk wendet sich an die Frauen. Verstehe,!
Unsre Frauen den Homer nicht so, wie er von Voß übersetzt ist. so mögen sie es
lernen; es hält nicht schwer; aber sie sind es, die ihm entgegenzukommen haben. Wer
dein großen Alten zumuthet. Handschuhe anznzieh» und sich in modisches Habit zu
stecken, damit er den Damen ohne Mühe verständlich werde, der verkennt den Homer,
steh selbst und wie wir glauben, auch die deutschen Frauen. —


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[0127] Literatur. Odysseus' Heimkehr. Ein Heldengedicht in fünfzig Liedern, Nach den Grundlinien der homerischen Dichtung ausgeführt nud den deutschen Frauen gewidmet von C, Th, Grnvenhorst. Hannover, Carl Rümpler, 1865, Bei Gelegenheit des Hinweises auf Schmidts Übersetzung der Odyssee sprachen wir aus, baß als einzige Form der Wiedergabe Homers außer der Uebersetzung in Hexame¬ tern uns die in Prosa erscheine. Wir erhalten nnn hier eine Odyssee in deutschen Reimversen, Der Übersetzer, der früher schon mehre Versuche veröffentlicht hat. antike Poesie durch Assimilation an deutsche Formen uns näher zu bringen, hat sich nicht gemüßigt erachtet, sich über dieses neue Unternehmen zu erklären, Gründe für seine Wahl und Absicht anzudeuten. Die Sache soll, wie es scheint, selbst für sich reden. Wir finden, grad heraus gesagt, daß das Unternehmen von der ersten Seite ab sich als ein vollständiger Mißgriff offenbart. Die jambischen, dann und wann mit trochüischcn wechselnden Verse der fünfzig Lieder fließen geschmeidig dahin, aber alle Kraft des Heidenmäßigen, ja des Epischeu überhaupt ist vollständig verloren; erschreckend trivial, nicht selten im übelsten Sinne modern tritt alles vor uns, woran sonst die Phantasie sich voll ergötzt hat. Von Talent zeigt sich nicht mehr als ein mäßiges Geschick, Prosa durch'Reimzeilen abzutheilen. Aber selbst wenn die Gedichte zehnmal besser gelungen wären, sie würden nicht im Stande sein, uus zu überrede», daß es künstlerisch gerechtfertigt sei, die Odyssee auf diese Weise wiederzugeben. Die Form ist beim Epos so nothwendig wie bei andern Gat¬ tungen der Poesie und sie verdient die gleiche Pietät wie andere; vollends wenn Homer in Frage kommt. Giebt uns jemand ein Bild der Erzählung in poetischer Prosa, wie dies Ferdinand Schmidt mit Glück versucht hat, so zieht er eben nnr einen Theil, wenn auch einen sehr wichtigen, vom Ganzen ab; wer aber den Inhalt in eine völlig andere poetische Form prägt, die gar nichts mit der Welt zu thun hat, in welcher Homers Gesänge leben, so ist das schlechter¬ dings verwerflich. Und wir fragen! wozu de>s ganze Benus»? Man mag be¬ haupten dürfe», daß die vvssische Übersetzung manche Unehe»beide» und Ge¬ schmacklosigkeiten um sich habe, die zum Theil auf Rechnung des in einzelnen Zügen bemerkbaren Fortschrittes unsrer Sprache kommen, immerhi»; aber solchen Versuchen gegenüber, wie der vorliegende ist. hat Voß i» allen Punkten recht; seine Fehler erscheinen nicht mehr als solche, wenn sie mit diesem völlig unberechtigten Bestreben, einem Bedürfniß von heute zu entspreche», verglichen werde». El» solches Bedürfniß 'se entweder gar nicht vorhanden, oder es ist vom Uebel, wenn es anerkannt oder gar, wenn es befriedigt wird. Das Werk wendet sich an die Frauen. Verstehe,! Unsre Frauen den Homer nicht so, wie er von Voß übersetzt ist. so mögen sie es lernen; es hält nicht schwer; aber sie sind es, die ihm entgegenzukommen haben. Wer dein großen Alten zumuthet. Handschuhe anznzieh» und sich in modisches Habit zu stecken, damit er den Damen ohne Mühe verständlich werde, der verkennt den Homer, steh selbst und wie wir glauben, auch die deutschen Frauen. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/127>, abgerufen am 29.04.2024.