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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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denke. Aber wenn man ihn raußizög oder er brach' z'sammen, da stand d'
ganze G'schicht still und's wär' alles aus und nix mehr."--

Wir traten ins Freie. Ueber uns fing eine mächtige Glocke an mit weit-
dröhnendem Geläut die Mittagsstunde zu verkünden und von allen Seiten
strömten die Arbeiter aus den Thüren hervor und drängten in dunklen Sche¬
ren über die weiten, sonncnhcißen Räume innerhalb der Ringmauern ihrem
Mittagsmahle zu. Bruchstücke von Uniformen, welche sie unterschieden, ließen
mich den Aufseher, der uns vor die Thür begleitet hatte, fragen, ob die Ar¬
beiter aus lauter Soldaten beständen. "Größtentheils," antwortete er; "es
sind nur etwa 200 Civilisten unbeschäftigt." Er sprach das Wort mit einer
gewissen Verachtung aus. "Wie viele sind ihrer denn im Ganzen?" fragte ich
erstaunt. "Wenn alle anwesend sind 14--13,000 -- kommt halt fast nimmer
vor -- lüss' d' Hand Euer Gnaden."

"Glauben Sie wirklich, daß darum die Geschichte Stillstände?" -- fragte
mein Begleiter nachdenklich, als wir wieder in unserm Wagen saßen. Ich
nickte zustimmend mit dem Kopfe; hinter uns war schon fern die dunkle
Zwingburg verschwunden und wir rollten blitzgeschwind durch die Straßen der
schönsten Stadt, die wie ein tändelnder Knabe über den Schlünden eines Kra¬
II. H. ters lagert. --




Literatur.
Henry Thomas Buckle's Geschichte der Civilisation in England,
deutsch von Arnold Ruge, Zweite, rechtmäßige Ausgabe, sorgfältig
durchgesehen und neu bcvorwortet von dem Uebersetzer. 1. Band, Leipzig
und Heidelberg, C. F. Winterschc Verlagshandlung. 1864.

Die neue Ausgabe von Ruges Uebersetzung des viel berühmten Werkes, das
seiner Zeit in die historische Literatur als ein Hecht in den Karpfenteich geworfen
wurde, bringt natürlich keine materiellen Erweiterungen, sondernist im Wesentlichen
"ur stilistische Ueberarbeitung. Dank verdient es, daß Rüge derselben einen
kurzen Abriß vom Lebens- und Studicngangc des merkwürdigen und ungewöhnlichen
Forschers vorausschickt, der sich durch sein erstes großes Buch auch sein Todtenmal
setzte. Da derselbe für die deutschen Verehrer Bucklcs manches Neue enthält, so


denke. Aber wenn man ihn raußizög oder er brach' z'sammen, da stand d'
ganze G'schicht still und's wär' alles aus und nix mehr."--

Wir traten ins Freie. Ueber uns fing eine mächtige Glocke an mit weit-
dröhnendem Geläut die Mittagsstunde zu verkünden und von allen Seiten
strömten die Arbeiter aus den Thüren hervor und drängten in dunklen Sche¬
ren über die weiten, sonncnhcißen Räume innerhalb der Ringmauern ihrem
Mittagsmahle zu. Bruchstücke von Uniformen, welche sie unterschieden, ließen
mich den Aufseher, der uns vor die Thür begleitet hatte, fragen, ob die Ar¬
beiter aus lauter Soldaten beständen. „Größtentheils," antwortete er; „es
sind nur etwa 200 Civilisten unbeschäftigt." Er sprach das Wort mit einer
gewissen Verachtung aus. „Wie viele sind ihrer denn im Ganzen?" fragte ich
erstaunt. „Wenn alle anwesend sind 14—13,000 — kommt halt fast nimmer
vor — lüss' d' Hand Euer Gnaden."

„Glauben Sie wirklich, daß darum die Geschichte Stillstände?" — fragte
mein Begleiter nachdenklich, als wir wieder in unserm Wagen saßen. Ich
nickte zustimmend mit dem Kopfe; hinter uns war schon fern die dunkle
Zwingburg verschwunden und wir rollten blitzgeschwind durch die Straßen der
schönsten Stadt, die wie ein tändelnder Knabe über den Schlünden eines Kra¬
II. H. ters lagert. —




Literatur.
Henry Thomas Buckle's Geschichte der Civilisation in England,
deutsch von Arnold Ruge, Zweite, rechtmäßige Ausgabe, sorgfältig
durchgesehen und neu bcvorwortet von dem Uebersetzer. 1. Band, Leipzig
und Heidelberg, C. F. Winterschc Verlagshandlung. 1864.

Die neue Ausgabe von Ruges Uebersetzung des viel berühmten Werkes, das
seiner Zeit in die historische Literatur als ein Hecht in den Karpfenteich geworfen
wurde, bringt natürlich keine materiellen Erweiterungen, sondernist im Wesentlichen
»ur stilistische Ueberarbeitung. Dank verdient es, daß Rüge derselben einen
kurzen Abriß vom Lebens- und Studicngangc des merkwürdigen und ungewöhnlichen
Forschers vorausschickt, der sich durch sein erstes großes Buch auch sein Todtenmal
setzte. Da derselbe für die deutschen Verehrer Bucklcs manches Neue enthält, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/169>, abgerufen am 29.04.2024.