Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Münchner Kunst der Gegenwart.

Die Glyptothek, das Rationalmuseum und das Kunsthandwerk. Die alte Pinako¬
thek und die Kunstpflege.

Ohne Zweifel stehen die Münchner Kunstsammlungen unter den deutschen
in erster Linie, In den einzelnen Fächern mögen einige Städte, z. B. Wien,
Berlin und Dresden mehr Vorzügliches enthalten: alles aber zusammen¬
genommen, in der Vereinigung so mannigfaltiger und fast alle Epochen ver¬
tretender Kunstwerke wird es wohl keiner dieser Orte München zuvorthun. Zu¬
gleich möchte nirgends in unserm Jahrhundert sowohl für neuen Erwerb als
für würdige Aufstellung der erhaltenen Denkmäler so viel geschehen sein, wie
gerade hier. Durch diese Seite ihrer Kunstthätigkeit haben sich die bayrischen
Könige ein unzweifelhaftes Verdienst erworben, das ihnen ein dankbares
Andenken bei der Nachwelt sichert. So haben in der Glyptothek, der
Schöpfung Ludwigs des Ersten, nicht blos fast alle Perioden der antiken Pla¬
stik -- was viel sagen will -- durch gute Werke ihre Vertretung, sondern auch
die alten Götter gleichsam eine zweite Heimath gefunden, die ihrer werth ist
und sie zu einem neuen menschlichen Cultus als ein der Kunst gewidmeter Tem¬
pel umschließt. In der That ist die Glyptothek in ihrer eigenthümlichen Ver¬
mählung der antiken und modernen Kunst vielleicht das Schönste, was die Ge¬
genwart hervorgebracht hat, während sie zugleich ein ebenbürtiges Denkmal ist
für die von dieser zum zweiten Mai entdeckte und wiederbelebte Gestaltenwelt
der Alten. Je unsicherer und zweifelhafter der künstlerische Werth von so man¬
chen Erzeugnissen ist, die später und noch neuerdings in München anspruchsvoll
und mit prunkenden Scheine an den Tag getreten sind, mit um so größerer
Freude verweilt das Auge bei jenen großen und von echter Begeisterung ein¬
gegebenen Werken, welche die neu anbrechende, vom Hauche der Antike beseelte
Zeit gleich bei ihrem Eintritt mit schöpferischen Zuge zu Stande brachte. Alles
vereinigte sich damals, alle guten Feen schienen an der Wiege der jungen Kunst
zu stehen und in ihre noch unbeschriebene Phantasie die schönsten Bilder nieder¬
zulegen, daß sie in ihrem Gang durchs Leben wie mit Zauberhand nur alles
zu berühren brauchte, um es in schöne Form und beseelte Gestalt umzuwandeln.


Die Münchner Kunst der Gegenwart.

Die Glyptothek, das Rationalmuseum und das Kunsthandwerk. Die alte Pinako¬
thek und die Kunstpflege.

Ohne Zweifel stehen die Münchner Kunstsammlungen unter den deutschen
in erster Linie, In den einzelnen Fächern mögen einige Städte, z. B. Wien,
Berlin und Dresden mehr Vorzügliches enthalten: alles aber zusammen¬
genommen, in der Vereinigung so mannigfaltiger und fast alle Epochen ver¬
tretender Kunstwerke wird es wohl keiner dieser Orte München zuvorthun. Zu¬
gleich möchte nirgends in unserm Jahrhundert sowohl für neuen Erwerb als
für würdige Aufstellung der erhaltenen Denkmäler so viel geschehen sein, wie
gerade hier. Durch diese Seite ihrer Kunstthätigkeit haben sich die bayrischen
Könige ein unzweifelhaftes Verdienst erworben, das ihnen ein dankbares
Andenken bei der Nachwelt sichert. So haben in der Glyptothek, der
Schöpfung Ludwigs des Ersten, nicht blos fast alle Perioden der antiken Pla¬
stik — was viel sagen will — durch gute Werke ihre Vertretung, sondern auch
die alten Götter gleichsam eine zweite Heimath gefunden, die ihrer werth ist
und sie zu einem neuen menschlichen Cultus als ein der Kunst gewidmeter Tem¬
pel umschließt. In der That ist die Glyptothek in ihrer eigenthümlichen Ver¬
mählung der antiken und modernen Kunst vielleicht das Schönste, was die Ge¬
genwart hervorgebracht hat, während sie zugleich ein ebenbürtiges Denkmal ist
für die von dieser zum zweiten Mai entdeckte und wiederbelebte Gestaltenwelt
der Alten. Je unsicherer und zweifelhafter der künstlerische Werth von so man¬
chen Erzeugnissen ist, die später und noch neuerdings in München anspruchsvoll
und mit prunkenden Scheine an den Tag getreten sind, mit um so größerer
Freude verweilt das Auge bei jenen großen und von echter Begeisterung ein¬
gegebenen Werken, welche die neu anbrechende, vom Hauche der Antike beseelte
Zeit gleich bei ihrem Eintritt mit schöpferischen Zuge zu Stande brachte. Alles
vereinigte sich damals, alle guten Feen schienen an der Wiege der jungen Kunst
zu stehen und in ihre noch unbeschriebene Phantasie die schönsten Bilder nieder¬
zulegen, daß sie in ihrem Gang durchs Leben wie mit Zauberhand nur alles
zu berühren brauchte, um es in schöne Form und beseelte Gestalt umzuwandeln.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282467"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Münchner Kunst der Gegenwart.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_609"> Die Glyptothek, das Rationalmuseum und das Kunsthandwerk.  Die alte Pinako¬<lb/>
thek und die Kunstpflege.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> Ohne Zweifel stehen die Münchner Kunstsammlungen unter den deutschen<lb/>
in erster Linie, In den einzelnen Fächern mögen einige Städte, z. B. Wien,<lb/>
Berlin und Dresden mehr Vorzügliches enthalten: alles aber zusammen¬<lb/>
genommen, in der Vereinigung so mannigfaltiger und fast alle Epochen ver¬<lb/>
tretender Kunstwerke wird es wohl keiner dieser Orte München zuvorthun. Zu¬<lb/>
gleich möchte nirgends in unserm Jahrhundert sowohl für neuen Erwerb als<lb/>
für würdige Aufstellung der erhaltenen Denkmäler so viel geschehen sein, wie<lb/>
gerade hier. Durch diese Seite ihrer Kunstthätigkeit haben sich die bayrischen<lb/>
Könige ein unzweifelhaftes Verdienst erworben, das ihnen ein dankbares<lb/>
Andenken bei der Nachwelt sichert. So haben in der Glyptothek, der<lb/>
Schöpfung Ludwigs des Ersten, nicht blos fast alle Perioden der antiken Pla¬<lb/>
stik &#x2014; was viel sagen will &#x2014; durch gute Werke ihre Vertretung, sondern auch<lb/>
die alten Götter gleichsam eine zweite Heimath gefunden, die ihrer werth ist<lb/>
und sie zu einem neuen menschlichen Cultus als ein der Kunst gewidmeter Tem¬<lb/>
pel umschließt. In der That ist die Glyptothek in ihrer eigenthümlichen Ver¬<lb/>
mählung der antiken und modernen Kunst vielleicht das Schönste, was die Ge¬<lb/>
genwart hervorgebracht hat, während sie zugleich ein ebenbürtiges Denkmal ist<lb/>
für die von dieser zum zweiten Mai entdeckte und wiederbelebte Gestaltenwelt<lb/>
der Alten. Je unsicherer und zweifelhafter der künstlerische Werth von so man¬<lb/>
chen Erzeugnissen ist, die später und noch neuerdings in München anspruchsvoll<lb/>
und mit prunkenden Scheine an den Tag getreten sind, mit um so größerer<lb/>
Freude verweilt das Auge bei jenen großen und von echter Begeisterung ein¬<lb/>
gegebenen Werken, welche die neu anbrechende, vom Hauche der Antike beseelte<lb/>
Zeit gleich bei ihrem Eintritt mit schöpferischen Zuge zu Stande brachte. Alles<lb/>
vereinigte sich damals, alle guten Feen schienen an der Wiege der jungen Kunst<lb/>
zu stehen und in ihre noch unbeschriebene Phantasie die schönsten Bilder nieder¬<lb/>
zulegen, daß sie in ihrem Gang durchs Leben wie mit Zauberhand nur alles<lb/>
zu berühren brauchte, um es in schöne Form und beseelte Gestalt umzuwandeln.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Die Münchner Kunst der Gegenwart. Die Glyptothek, das Rationalmuseum und das Kunsthandwerk. Die alte Pinako¬ thek und die Kunstpflege. Ohne Zweifel stehen die Münchner Kunstsammlungen unter den deutschen in erster Linie, In den einzelnen Fächern mögen einige Städte, z. B. Wien, Berlin und Dresden mehr Vorzügliches enthalten: alles aber zusammen¬ genommen, in der Vereinigung so mannigfaltiger und fast alle Epochen ver¬ tretender Kunstwerke wird es wohl keiner dieser Orte München zuvorthun. Zu¬ gleich möchte nirgends in unserm Jahrhundert sowohl für neuen Erwerb als für würdige Aufstellung der erhaltenen Denkmäler so viel geschehen sein, wie gerade hier. Durch diese Seite ihrer Kunstthätigkeit haben sich die bayrischen Könige ein unzweifelhaftes Verdienst erworben, das ihnen ein dankbares Andenken bei der Nachwelt sichert. So haben in der Glyptothek, der Schöpfung Ludwigs des Ersten, nicht blos fast alle Perioden der antiken Pla¬ stik — was viel sagen will — durch gute Werke ihre Vertretung, sondern auch die alten Götter gleichsam eine zweite Heimath gefunden, die ihrer werth ist und sie zu einem neuen menschlichen Cultus als ein der Kunst gewidmeter Tem¬ pel umschließt. In der That ist die Glyptothek in ihrer eigenthümlichen Ver¬ mählung der antiken und modernen Kunst vielleicht das Schönste, was die Ge¬ genwart hervorgebracht hat, während sie zugleich ein ebenbürtiges Denkmal ist für die von dieser zum zweiten Mai entdeckte und wiederbelebte Gestaltenwelt der Alten. Je unsicherer und zweifelhafter der künstlerische Werth von so man¬ chen Erzeugnissen ist, die später und noch neuerdings in München anspruchsvoll und mit prunkenden Scheine an den Tag getreten sind, mit um so größerer Freude verweilt das Auge bei jenen großen und von echter Begeisterung ein¬ gegebenen Werken, welche die neu anbrechende, vom Hauche der Antike beseelte Zeit gleich bei ihrem Eintritt mit schöpferischen Zuge zu Stande brachte. Alles vereinigte sich damals, alle guten Feen schienen an der Wiege der jungen Kunst zu stehen und in ihre noch unbeschriebene Phantasie die schönsten Bilder nieder¬ zulegen, daß sie in ihrem Gang durchs Leben wie mit Zauberhand nur alles zu berühren brauchte, um es in schöne Form und beseelte Gestalt umzuwandeln.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/226>, abgerufen am 29.04.2024.