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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Wenn wir die Veränderungen vergleichen, welche mit den übrigen ger¬
manischen Sprachen im Laufe der Zeiten vorgegangen sind, so wird uns
unmöglich, jene vorhin erwähnte Abstumpfung und Abschwächung der For¬
men, also das Schwinden der sinnlichen Schönheit, mit einem Einflüsse des
Französischen in Verbindung zu bringen. Unabhängig von jeder äußeren Einwir¬
kung geschehen diese Veränderungen. Die Vereinfachung der Formen ist ein
charakteristischer Zug aller neueren Sprachen: so haben die romanischen Sprachen
die Declination längst aufgegeben, ein großer Theil unserer deutschen Mundarten
kennt bereits keinen Genitiv und Dativ mehr und ersetzt sie durch Verhältni߬
wörter. Keine der deutschen Schrift- und Volkssprachen ist indessen so weit
gegangen als das Englische, alle haben den verschiedenen Artikel zum Unter¬
schied der Geschlechter, alle den Unterschied zwischen schwacher und starker De¬
clination, alle die von der ersten Form des Singular verschiedenen Pluralsormen
im Präsens und Präteritum u. a. in. bewahrt, was das Englische schon seit
beinahe fünf Jahrhunderten völlig aufgegeben hat. Und doch zeigte das Angel¬
sächsische vor dem Eindringen der Normannen keineswegs eine größere Neigung
zur Abstumpfung und Vereinfachung der Formen als die anderen germanischen
Sprachen. Zum größeren Theil war aber die Vereinfachung der englischen
Sprache schon vollendet, als die Mischung mit französischen Wörtern überHand
nahm. Wenn wir demnach einerseits dem Eindringen des französischen Ele¬
mentes auf die Gestaltung der Sprache einen Einfluß nicht absprechen kön¬
nen, stellen wir andererseits mit dem Vefasser die Behauptung auf, daß das
Englische nicht aus dem schriftmäßigen Angelsächsischen, sondern aus den wahr¬
scheinlich vor der Eroberung schon vielfach abgeschliffenen angelsächsischen Mund¬
arten hervorgegangen sei.




Neue Monatschrift für Kunst.

Ueber Künstler und Kunstwerke von Hermann Grimm. (Januarheft.)
Berlin, Ferd. Dümmler. 1865.

Hermann Grimm, Verfasser des "Leben Michel Angelos", eröffnet die
Aussicht auf eine neue Monatschrift über Künstler und Kunstwerke, die Be¬
sprechungen bringen und.neue Quellen mittheilen wird, welche sich während der


Wenn wir die Veränderungen vergleichen, welche mit den übrigen ger¬
manischen Sprachen im Laufe der Zeiten vorgegangen sind, so wird uns
unmöglich, jene vorhin erwähnte Abstumpfung und Abschwächung der For¬
men, also das Schwinden der sinnlichen Schönheit, mit einem Einflüsse des
Französischen in Verbindung zu bringen. Unabhängig von jeder äußeren Einwir¬
kung geschehen diese Veränderungen. Die Vereinfachung der Formen ist ein
charakteristischer Zug aller neueren Sprachen: so haben die romanischen Sprachen
die Declination längst aufgegeben, ein großer Theil unserer deutschen Mundarten
kennt bereits keinen Genitiv und Dativ mehr und ersetzt sie durch Verhältni߬
wörter. Keine der deutschen Schrift- und Volkssprachen ist indessen so weit
gegangen als das Englische, alle haben den verschiedenen Artikel zum Unter¬
schied der Geschlechter, alle den Unterschied zwischen schwacher und starker De¬
clination, alle die von der ersten Form des Singular verschiedenen Pluralsormen
im Präsens und Präteritum u. a. in. bewahrt, was das Englische schon seit
beinahe fünf Jahrhunderten völlig aufgegeben hat. Und doch zeigte das Angel¬
sächsische vor dem Eindringen der Normannen keineswegs eine größere Neigung
zur Abstumpfung und Vereinfachung der Formen als die anderen germanischen
Sprachen. Zum größeren Theil war aber die Vereinfachung der englischen
Sprache schon vollendet, als die Mischung mit französischen Wörtern überHand
nahm. Wenn wir demnach einerseits dem Eindringen des französischen Ele¬
mentes auf die Gestaltung der Sprache einen Einfluß nicht absprechen kön¬
nen, stellen wir andererseits mit dem Vefasser die Behauptung auf, daß das
Englische nicht aus dem schriftmäßigen Angelsächsischen, sondern aus den wahr¬
scheinlich vor der Eroberung schon vielfach abgeschliffenen angelsächsischen Mund¬
arten hervorgegangen sei.




Neue Monatschrift für Kunst.

Ueber Künstler und Kunstwerke von Hermann Grimm. (Januarheft.)
Berlin, Ferd. Dümmler. 1865.

Hermann Grimm, Verfasser des „Leben Michel Angelos", eröffnet die
Aussicht auf eine neue Monatschrift über Künstler und Kunstwerke, die Be¬
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[0287] Wenn wir die Veränderungen vergleichen, welche mit den übrigen ger¬ manischen Sprachen im Laufe der Zeiten vorgegangen sind, so wird uns unmöglich, jene vorhin erwähnte Abstumpfung und Abschwächung der For¬ men, also das Schwinden der sinnlichen Schönheit, mit einem Einflüsse des Französischen in Verbindung zu bringen. Unabhängig von jeder äußeren Einwir¬ kung geschehen diese Veränderungen. Die Vereinfachung der Formen ist ein charakteristischer Zug aller neueren Sprachen: so haben die romanischen Sprachen die Declination längst aufgegeben, ein großer Theil unserer deutschen Mundarten kennt bereits keinen Genitiv und Dativ mehr und ersetzt sie durch Verhältni߬ wörter. Keine der deutschen Schrift- und Volkssprachen ist indessen so weit gegangen als das Englische, alle haben den verschiedenen Artikel zum Unter¬ schied der Geschlechter, alle den Unterschied zwischen schwacher und starker De¬ clination, alle die von der ersten Form des Singular verschiedenen Pluralsormen im Präsens und Präteritum u. a. in. bewahrt, was das Englische schon seit beinahe fünf Jahrhunderten völlig aufgegeben hat. Und doch zeigte das Angel¬ sächsische vor dem Eindringen der Normannen keineswegs eine größere Neigung zur Abstumpfung und Vereinfachung der Formen als die anderen germanischen Sprachen. Zum größeren Theil war aber die Vereinfachung der englischen Sprache schon vollendet, als die Mischung mit französischen Wörtern überHand nahm. Wenn wir demnach einerseits dem Eindringen des französischen Ele¬ mentes auf die Gestaltung der Sprache einen Einfluß nicht absprechen kön¬ nen, stellen wir andererseits mit dem Vefasser die Behauptung auf, daß das Englische nicht aus dem schriftmäßigen Angelsächsischen, sondern aus den wahr¬ scheinlich vor der Eroberung schon vielfach abgeschliffenen angelsächsischen Mund¬ arten hervorgegangen sei. Neue Monatschrift für Kunst. Ueber Künstler und Kunstwerke von Hermann Grimm. (Januarheft.) Berlin, Ferd. Dümmler. 1865. Hermann Grimm, Verfasser des „Leben Michel Angelos", eröffnet die Aussicht auf eine neue Monatschrift über Künstler und Kunstwerke, die Be¬ sprechungen bringen und.neue Quellen mittheilen wird, welche sich während der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/287>, abgerufen am 29.04.2024.