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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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gefunden hätte. Wir wissen nicht, ob Rücksicht auf die Familie oder Pietät
ihn bestimmt hat. das eigene Urtheil gänzlich zurücktreten zu lassenaber
wir meinen, daß auch die größte Pietät nicht mehr abhalten darf, gerade
und deutlich herauszusagen, was die Helden der großen Zeit besaßen und was
ihnen fehlte. Denn was uns eine Biographie lieb und werthvoll macht, ist
doch nur, daß wir vom Standpunkt unserer Bildung ein Verständniß und Ur¬
theil, gewinnen über das vollendete Leben. Die Liebe, welche der Biograph
seinem Helden schuldig ist, soll sein Urtheil nicht zurückdrängen, sie soll ihm
nur die höchsten Gesichtspunkte dafür an die Hand geben, damit es zugleich mild
und fest erscheine.




Das Preußische Abgeordnetenhaus und die Banksrage.

Daß eine Verständigung der Regierung mit der Majorität des Abgeordneten¬
hauses auch in dieser Session nicht erreicht wird, ist wohl niemandem mehr zweifel¬
haft. Wie gern die Volksvertretung eine zur Versöhnung ausgestreckte Hand erfaßt
hätte, durch die zurückhaltender Erklärungen der Minister und eine größere Vorsicht in
Behandlung des Hauses wird noch nichts erreicht, da in der Hauptfrage die Re¬
gierung jede Concession verweigert hat. Den Abgeordneten bleibt nichts übrig als
fest zu bleiben und den Kampf, dessen verhängnißvollen Zwang jetzt beide Parteien
fühlen, beharrlich durchzuführen. Die besten Wünsche der preußischen Partei in
Deutschland find mit ihnen, wir wissen, daß es fich immer auch um unsere eigenen
Interessen handelt, wenn wir mit Spannung die Sitzungsberichte durchmustern.
Wohl geziemt den Außenstehenden, mit Achtung die Taktik zu beurtheilen, welche
die Opposition in Preußen sür zweckmäßig hält, und dies Blatt hat kaum nöthig,
den warmen Antheil und die Sympathien mit der Majorität des Abgeordneten¬
hauses, mit den politischen Freunden und Führern der liberalen Partei in Preußen
Zu versichern. Wir sind überzeugt, daß sie die Gefahren ihrer Kampfmcthodc selbst
deutlich erkennen. Denn jede Opposition, welche in die Lage gesetzt ist, in con-
sequenten Widerstand gegen eine Negierung vorzugsweise zu negiren, kommt in die
Lage, den gesammten Staatsorganismus zu stören.

Wie ungenügend eine Regierung sei und wie mangelhaft sie die höchsten In-
dessen wahrnehmen möge, sie leitet doch das derzeitige Leben des Staates und jedes
systematische Widerstreben, auch das am höchsten berechtigte, ist in Gesahr, wenn
'hin nicht gelingt die Regierung zu besiegen, zugleich die nothwendigen Fortschritte
^s Staates zu gefährden. Wie gut ihr Recht war, wie lauter ihr Kampf sei, dadurch
kann geschehen, daß ihr Recht zum Unrecht wird und daß auch das Volk selbst
allmälig ihren Widerstand als ein Unrecht empfindet.


gefunden hätte. Wir wissen nicht, ob Rücksicht auf die Familie oder Pietät
ihn bestimmt hat. das eigene Urtheil gänzlich zurücktreten zu lassenaber
wir meinen, daß auch die größte Pietät nicht mehr abhalten darf, gerade
und deutlich herauszusagen, was die Helden der großen Zeit besaßen und was
ihnen fehlte. Denn was uns eine Biographie lieb und werthvoll macht, ist
doch nur, daß wir vom Standpunkt unserer Bildung ein Verständniß und Ur¬
theil, gewinnen über das vollendete Leben. Die Liebe, welche der Biograph
seinem Helden schuldig ist, soll sein Urtheil nicht zurückdrängen, sie soll ihm
nur die höchsten Gesichtspunkte dafür an die Hand geben, damit es zugleich mild
und fest erscheine.




Das Preußische Abgeordnetenhaus und die Banksrage.

Daß eine Verständigung der Regierung mit der Majorität des Abgeordneten¬
hauses auch in dieser Session nicht erreicht wird, ist wohl niemandem mehr zweifel¬
haft. Wie gern die Volksvertretung eine zur Versöhnung ausgestreckte Hand erfaßt
hätte, durch die zurückhaltender Erklärungen der Minister und eine größere Vorsicht in
Behandlung des Hauses wird noch nichts erreicht, da in der Hauptfrage die Re¬
gierung jede Concession verweigert hat. Den Abgeordneten bleibt nichts übrig als
fest zu bleiben und den Kampf, dessen verhängnißvollen Zwang jetzt beide Parteien
fühlen, beharrlich durchzuführen. Die besten Wünsche der preußischen Partei in
Deutschland find mit ihnen, wir wissen, daß es fich immer auch um unsere eigenen
Interessen handelt, wenn wir mit Spannung die Sitzungsberichte durchmustern.
Wohl geziemt den Außenstehenden, mit Achtung die Taktik zu beurtheilen, welche
die Opposition in Preußen sür zweckmäßig hält, und dies Blatt hat kaum nöthig,
den warmen Antheil und die Sympathien mit der Majorität des Abgeordneten¬
hauses, mit den politischen Freunden und Führern der liberalen Partei in Preußen
Zu versichern. Wir sind überzeugt, daß sie die Gefahren ihrer Kampfmcthodc selbst
deutlich erkennen. Denn jede Opposition, welche in die Lage gesetzt ist, in con-
sequenten Widerstand gegen eine Negierung vorzugsweise zu negiren, kommt in die
Lage, den gesammten Staatsorganismus zu stören.

Wie ungenügend eine Regierung sei und wie mangelhaft sie die höchsten In-
dessen wahrnehmen möge, sie leitet doch das derzeitige Leben des Staates und jedes
systematische Widerstreben, auch das am höchsten berechtigte, ist in Gesahr, wenn
'hin nicht gelingt die Regierung zu besiegen, zugleich die nothwendigen Fortschritte
^s Staates zu gefährden. Wie gut ihr Recht war, wie lauter ihr Kampf sei, dadurch
kann geschehen, daß ihr Recht zum Unrecht wird und daß auch das Volk selbst
allmälig ihren Widerstand als ein Unrecht empfindet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/379>, abgerufen am 29.04.2024.