Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.Der östreichische Reichsrath und Ungarn. Die östreichische Verfassung unterscheidet sich von allen anderen moder¬ Im engsten Zusammenhange mit dieser Frage steht die über das Verhält¬ Allerdings hat sich das Auftauchen präjudicirlicher Fragen nicht ganz ve" Der östreichische Reichsrath und Ungarn. Die östreichische Verfassung unterscheidet sich von allen anderen moder¬ Im engsten Zusammenhange mit dieser Frage steht die über das Verhält¬ Allerdings hat sich das Auftauchen präjudicirlicher Fragen nicht ganz ve» <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282639"/> </div> <div n="1"> <head> Der östreichische Reichsrath und Ungarn.</head><lb/> <p xml:id="ID_1097"> Die östreichische Verfassung unterscheidet sich von allen anderen moder¬<lb/> nen Verfassungen dadurch, daß die Functionen des Staatslebens auf eine<lb/> unverhältnismäßig große Anzahl theils nebengeordneter, theils einander unter¬<lb/> geordneter Körperschaften vertheilt sind. Neben den beiden Häusern des engeren<lb/> Reichsraths steht das ungarische Parlament; über beiden der ebenfalls in zwei<lb/> Häuser zerfallende weitere Reichsrath, als Vereinigung des engeren Neichsraths<lb/> und einer Abordnung des ungarischen Parlaments. Erwägt man nun noch, daß<lb/> der engere Reichsrath selbst aus einer großen Anzahl provinzieller Körperschaften<lb/> emanirt, so wird man leicht einsehen, daß die Entwicklung der östreichischen<lb/> Verfassung ganz davon abhängig ist, wie die aus diesen Verhältnissen unver¬<lb/> meidlich sich ergebenden Competenzconflicte geschlichtet werden, vor allein davon,<lb/> welche Stellung die Gesammtvertretung zu dem ungarischen Parlament ein¬<lb/> nehmen wird. Dies ist die Cardinalfrage des östreichischen Verfassungs¬<lb/> lebens, von deren Entscheidung voraussichtlich nicht nur die Zukunft der Ver¬<lb/> fassung, sondern auch des Staates selbst bedingt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1098"> Im engsten Zusammenhange mit dieser Frage steht die über das Verhält¬<lb/> niß des engeren zu dem weiteren Reichsrathe. Die Differenz, die bei Beginn<lb/> der gegenwärtigen Session infolge der Berufung des Reichsr-aths auf Grund des<lb/> §. 10 des Februarvatents über diesen Punkt aufzutauchen drohte, hat für<lb/> jetzt einen ernsteren Charakter noch nicht angenommen, da noch jeder Ver¬<lb/> such, die Competenz der beiden Versammlungen gegeneinander abzugrenzen<lb/> verfrüht ist, und so lange der weitere Reichsrath noch ein Bruchstück ist, resul¬<lb/> tatlos bleiben muß. Denn es ist einleuchtend, daß jede vor dem Eintritt der<lb/> Ungarn getroffene, auf den Gesammtstaat bezügliche organische Einrichtung<lb/> nur ein ziemlich werthloses Provisorium sein würde. Es könnte allerdings von<lb/> einem gewissen Standpunkte aus wünschenswert!) erscheinen, die allgemeine<lb/> Gesetzgebung vor dem Eintritts und also ohne die wahrscheinlich unbequeme<lb/> Mitwirkung der Ungarn weiter zu führen, wenn man sich nur der Zweifel<lb/> entschlagen könnte, ob denn auch auf diesem Wege dauernde und sichere Re¬<lb/> sultate zu gewinnen seien, und wenn man sich nicht sagen müßte, daß jede<lb/> Weiterentwickelung der Gesammtstaatsidee, jeder Versuch, die Magyaren für ihre<lb/> Hartnäckigkeit gewissermaßen zu contumaciren, den Bestrebungen, die staatsrecht¬<lb/> lichen Beziehungen mit Ungarn auf dem Wege friedlicher Auseinandersetzung<lb/> zu ordnen, im höchsten Grade präjudiciren würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1099" next="#ID_1100"> Allerdings hat sich das Auftauchen präjudicirlicher Fragen nicht ganz ve»</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Der östreichische Reichsrath und Ungarn.
Die östreichische Verfassung unterscheidet sich von allen anderen moder¬
nen Verfassungen dadurch, daß die Functionen des Staatslebens auf eine
unverhältnismäßig große Anzahl theils nebengeordneter, theils einander unter¬
geordneter Körperschaften vertheilt sind. Neben den beiden Häusern des engeren
Reichsraths steht das ungarische Parlament; über beiden der ebenfalls in zwei
Häuser zerfallende weitere Reichsrath, als Vereinigung des engeren Neichsraths
und einer Abordnung des ungarischen Parlaments. Erwägt man nun noch, daß
der engere Reichsrath selbst aus einer großen Anzahl provinzieller Körperschaften
emanirt, so wird man leicht einsehen, daß die Entwicklung der östreichischen
Verfassung ganz davon abhängig ist, wie die aus diesen Verhältnissen unver¬
meidlich sich ergebenden Competenzconflicte geschlichtet werden, vor allein davon,
welche Stellung die Gesammtvertretung zu dem ungarischen Parlament ein¬
nehmen wird. Dies ist die Cardinalfrage des östreichischen Verfassungs¬
lebens, von deren Entscheidung voraussichtlich nicht nur die Zukunft der Ver¬
fassung, sondern auch des Staates selbst bedingt ist.
Im engsten Zusammenhange mit dieser Frage steht die über das Verhält¬
niß des engeren zu dem weiteren Reichsrathe. Die Differenz, die bei Beginn
der gegenwärtigen Session infolge der Berufung des Reichsr-aths auf Grund des
§. 10 des Februarvatents über diesen Punkt aufzutauchen drohte, hat für
jetzt einen ernsteren Charakter noch nicht angenommen, da noch jeder Ver¬
such, die Competenz der beiden Versammlungen gegeneinander abzugrenzen
verfrüht ist, und so lange der weitere Reichsrath noch ein Bruchstück ist, resul¬
tatlos bleiben muß. Denn es ist einleuchtend, daß jede vor dem Eintritt der
Ungarn getroffene, auf den Gesammtstaat bezügliche organische Einrichtung
nur ein ziemlich werthloses Provisorium sein würde. Es könnte allerdings von
einem gewissen Standpunkte aus wünschenswert!) erscheinen, die allgemeine
Gesetzgebung vor dem Eintritts und also ohne die wahrscheinlich unbequeme
Mitwirkung der Ungarn weiter zu führen, wenn man sich nur der Zweifel
entschlagen könnte, ob denn auch auf diesem Wege dauernde und sichere Re¬
sultate zu gewinnen seien, und wenn man sich nicht sagen müßte, daß jede
Weiterentwickelung der Gesammtstaatsidee, jeder Versuch, die Magyaren für ihre
Hartnäckigkeit gewissermaßen zu contumaciren, den Bestrebungen, die staatsrecht¬
lichen Beziehungen mit Ungarn auf dem Wege friedlicher Auseinandersetzung
zu ordnen, im höchsten Grade präjudiciren würde.
Allerdings hat sich das Auftauchen präjudicirlicher Fragen nicht ganz ve»
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |