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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Seit zwei Monaten tagt wieder unsere Ständeversammlung, eine Frist,
die lang genug ist, um einen kleinen Rückblick zu erlauben. Hut sich auch bis
jetzt nicht eben Weltbewegendes in ihrem Schoße ereignet, so durfte man doch
auf die öffentliche Haltung eines Ministeriums gespannt sein, welches zu einer
für Gesammtdeutschland so kritischen Zeit ernannt wurde und über welches doch
bei seinem Antritt so wenig zu sagen war. Bis jetzt scheinen freilich diejenigen
Recht zu behalten, welche damals vor weitgehenden Hoffnungen sowohl als
Befürchtungen warnten und die Fortsetzung eines gemüthlichen bescheidenen
Ganges der Staatsmaschine, wie er einem ordentlichen Mittelstaate ziemt, so
lang ihm Gott das Leben schenkt, als das Wahrscheinlichste prophezeien. Es
ist wesentlich der Eindruck eines harmlosen Stilllebens, den die Verhandlungen
unsrer Landesvertretung machen.

Dennoch spiegelt sich eben darin wieder ein Stück unseres nationalen Lebens.
Die häusliche Zurückgezogenheit eines Mittelstaats ist heutzutag kein Zufall,
auch nicht ein freier Entschluß, sie liegt vielmehr in der Natur der Sache. Sie
hängt mit dem Gang, welchen unsre nationalen Angelegenheiten genommen
haben, aufs Engste zusammen. Die Frage des deutschen Constitutionalismus
wird in Berlin entschieden, das Schicksal der Herzogthümer ruht in der Hand
unsrer Großmächte, was bleibt einer mittelstaatlichen Kammer übrig, als heute
eine Eisenbahn von zwei Meilen Länge zu beschließen, morgen die Besoldung
der Schulmeister und Revisoren aufzubessern, und übermorgen -- das Geld für
die Gesandtschaften in Paris und Se. Petersburg zu verwilligen?

Jetzt ist gerade ein Jahr vergangen, da ging es lebhafter in der Kam¬
mer zu. Von acht zu acht Tagen wurde der arme Ministertisch mit Inter¬
pellationen wegen Schleswig-Holstein gequält, der Halbmondsaal hallte von küh¬
nen und pathetischen Reden wieder, und mehr als einmal bekam es die Negie¬
rung zu hören, daß, wenn die Mittelstaaten sich nicht energisch aufrafften, sich
eng verbündeten und auf das Volk gestützt den Gewaltthaten der Großmächte
gegenüber die Sache des Rechts durchsetzten, ihr letztes Stündlein geschlagen
habe. Die Mittelstaaten haben sich weder aufgerafft noch eng verbunden, noch
auf das Volk gestützt, und ihre Anträge zu Gunsten des Herzogs von Schles¬
wig-Holstein ruhen noch friedlich in den Ausschüssen zu Frankfurt am Main.
Aber was die bedrohlichen Folgen betrifft, so scheint die Regierung noch immer
guter Dinge zu sein. Die Kammer selbst ist sichtlich zu einer richtigeren Werth-


Seit zwei Monaten tagt wieder unsere Ständeversammlung, eine Frist,
die lang genug ist, um einen kleinen Rückblick zu erlauben. Hut sich auch bis
jetzt nicht eben Weltbewegendes in ihrem Schoße ereignet, so durfte man doch
auf die öffentliche Haltung eines Ministeriums gespannt sein, welches zu einer
für Gesammtdeutschland so kritischen Zeit ernannt wurde und über welches doch
bei seinem Antritt so wenig zu sagen war. Bis jetzt scheinen freilich diejenigen
Recht zu behalten, welche damals vor weitgehenden Hoffnungen sowohl als
Befürchtungen warnten und die Fortsetzung eines gemüthlichen bescheidenen
Ganges der Staatsmaschine, wie er einem ordentlichen Mittelstaate ziemt, so
lang ihm Gott das Leben schenkt, als das Wahrscheinlichste prophezeien. Es
ist wesentlich der Eindruck eines harmlosen Stilllebens, den die Verhandlungen
unsrer Landesvertretung machen.

Dennoch spiegelt sich eben darin wieder ein Stück unseres nationalen Lebens.
Die häusliche Zurückgezogenheit eines Mittelstaats ist heutzutag kein Zufall,
auch nicht ein freier Entschluß, sie liegt vielmehr in der Natur der Sache. Sie
hängt mit dem Gang, welchen unsre nationalen Angelegenheiten genommen
haben, aufs Engste zusammen. Die Frage des deutschen Constitutionalismus
wird in Berlin entschieden, das Schicksal der Herzogthümer ruht in der Hand
unsrer Großmächte, was bleibt einer mittelstaatlichen Kammer übrig, als heute
eine Eisenbahn von zwei Meilen Länge zu beschließen, morgen die Besoldung
der Schulmeister und Revisoren aufzubessern, und übermorgen — das Geld für
die Gesandtschaften in Paris und Se. Petersburg zu verwilligen?

Jetzt ist gerade ein Jahr vergangen, da ging es lebhafter in der Kam¬
mer zu. Von acht zu acht Tagen wurde der arme Ministertisch mit Inter¬
pellationen wegen Schleswig-Holstein gequält, der Halbmondsaal hallte von küh¬
nen und pathetischen Reden wieder, und mehr als einmal bekam es die Negie¬
rung zu hören, daß, wenn die Mittelstaaten sich nicht energisch aufrafften, sich
eng verbündeten und auf das Volk gestützt den Gewaltthaten der Großmächte
gegenüber die Sache des Rechts durchsetzten, ihr letztes Stündlein geschlagen
habe. Die Mittelstaaten haben sich weder aufgerafft noch eng verbunden, noch
auf das Volk gestützt, und ihre Anträge zu Gunsten des Herzogs von Schles¬
wig-Holstein ruhen noch friedlich in den Ausschüssen zu Frankfurt am Main.
Aber was die bedrohlichen Folgen betrifft, so scheint die Regierung noch immer
guter Dinge zu sein. Die Kammer selbst ist sichtlich zu einer richtigeren Werth-


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[0410] Seit zwei Monaten tagt wieder unsere Ständeversammlung, eine Frist, die lang genug ist, um einen kleinen Rückblick zu erlauben. Hut sich auch bis jetzt nicht eben Weltbewegendes in ihrem Schoße ereignet, so durfte man doch auf die öffentliche Haltung eines Ministeriums gespannt sein, welches zu einer für Gesammtdeutschland so kritischen Zeit ernannt wurde und über welches doch bei seinem Antritt so wenig zu sagen war. Bis jetzt scheinen freilich diejenigen Recht zu behalten, welche damals vor weitgehenden Hoffnungen sowohl als Befürchtungen warnten und die Fortsetzung eines gemüthlichen bescheidenen Ganges der Staatsmaschine, wie er einem ordentlichen Mittelstaate ziemt, so lang ihm Gott das Leben schenkt, als das Wahrscheinlichste prophezeien. Es ist wesentlich der Eindruck eines harmlosen Stilllebens, den die Verhandlungen unsrer Landesvertretung machen. Dennoch spiegelt sich eben darin wieder ein Stück unseres nationalen Lebens. Die häusliche Zurückgezogenheit eines Mittelstaats ist heutzutag kein Zufall, auch nicht ein freier Entschluß, sie liegt vielmehr in der Natur der Sache. Sie hängt mit dem Gang, welchen unsre nationalen Angelegenheiten genommen haben, aufs Engste zusammen. Die Frage des deutschen Constitutionalismus wird in Berlin entschieden, das Schicksal der Herzogthümer ruht in der Hand unsrer Großmächte, was bleibt einer mittelstaatlichen Kammer übrig, als heute eine Eisenbahn von zwei Meilen Länge zu beschließen, morgen die Besoldung der Schulmeister und Revisoren aufzubessern, und übermorgen — das Geld für die Gesandtschaften in Paris und Se. Petersburg zu verwilligen? Jetzt ist gerade ein Jahr vergangen, da ging es lebhafter in der Kam¬ mer zu. Von acht zu acht Tagen wurde der arme Ministertisch mit Inter¬ pellationen wegen Schleswig-Holstein gequält, der Halbmondsaal hallte von küh¬ nen und pathetischen Reden wieder, und mehr als einmal bekam es die Negie¬ rung zu hören, daß, wenn die Mittelstaaten sich nicht energisch aufrafften, sich eng verbündeten und auf das Volk gestützt den Gewaltthaten der Großmächte gegenüber die Sache des Rechts durchsetzten, ihr letztes Stündlein geschlagen habe. Die Mittelstaaten haben sich weder aufgerafft noch eng verbunden, noch auf das Volk gestützt, und ihre Anträge zu Gunsten des Herzogs von Schles¬ wig-Holstein ruhen noch friedlich in den Ausschüssen zu Frankfurt am Main. Aber was die bedrohlichen Folgen betrifft, so scheint die Regierung noch immer guter Dinge zu sein. Die Kammer selbst ist sichtlich zu einer richtigeren Werth-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/410>, abgerufen am 29.04.2024.