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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Das Gedicht von Rendsburg.
Poesie der Trias.

Die Regierung von Hannover hat nach Bericht der Zeitungen vor Kurzem
ihrer Telegraphcnstation in Bremen die Annahme preußischer Kassenanweisungen un¬
tersagt. Es scheint, daß dies Verbot einen Kriegszug gegen Credit und Wesen des
vielgehaßtcn preußischen Staates eröffnet. Uns wird gleichzeitig der Druck eines
Soldatenliedes mitgetheilt, welches in den Kasernen des Welfenstaates zur Förderung
kriegerischer und patriotischer Empfindungen verbreitet wird. Es ist auch als volks¬
mäßiges Soldatenlied ein rohes Gedicht, die Tendenz der Verbreitung und das Ta¬
lent des Verfassers stehen auf einer Linie. Wir halten trotzdem für nützlich, dasselbe
den Lesern dieses Blattes mitzutheilen, denn es ist charakteristisch für den Geist, wo¬
mit man das eigene Wesen gegen die gefürchteten Uebergriffe des Nachbars zu schützen
sucht; es zeigt auch, zu welchen Maßregeln die Animosität verleiten kann und wie
peinlich sich die Gegensätze in Deutschland gespannt haben. Dergleichen wäre doch
sonst -- auch in der schlechtesten Zeit seit 1815 -- in keiner Kaserne eines deut¬
schen Staates geduldet worden. So aber singt im Jahr 1865 der hannöversche
Grenadier:

Bon Müller IV. von der Klar Compagnie des 3ten Hann. Infant.-Regia, 2tes Bataillon.

Mei, Wohl auf noch getrunken.

Wir rückten in Rendsburg im Monat Juni
Und hätten es gern gethan von Herzen nie.
Sie thaten uns sagen: Ach bleiben's doch hier
In Rendsburg bekommen sie schlechtes Quartier :,:
Juhvaldera, juhvaldcra, juhvalderalderaldera.

Wir thaten erfahren, wie sie es gesagt;
Der Hunger, der hat uns gar öfter geplagt,
Denn 20 bis 30 in einem Quartier
In alten Dachkammern, das war ein Plaisier.

Die Betten, die waren hart, wie auf der Wacht.
Da konnte man sagen: O, Himmel was 'ne Nacht,
Die Flöhe, die bissen die Wangen und Zeh'n,
Mein Kamerad sagte: wie wird's uns noch gehn.

Des Tages das Essen ward fein aufgetischt
Mit Servietten ganz nobel, doch war es nichts;
Es gab gewöhnlich nur Leber und Kalbfleisch.
Wir mußten es essen; der Hunger war heiß.

55*
Das Gedicht von Rendsburg.
Poesie der Trias.

Die Regierung von Hannover hat nach Bericht der Zeitungen vor Kurzem
ihrer Telegraphcnstation in Bremen die Annahme preußischer Kassenanweisungen un¬
tersagt. Es scheint, daß dies Verbot einen Kriegszug gegen Credit und Wesen des
vielgehaßtcn preußischen Staates eröffnet. Uns wird gleichzeitig der Druck eines
Soldatenliedes mitgetheilt, welches in den Kasernen des Welfenstaates zur Förderung
kriegerischer und patriotischer Empfindungen verbreitet wird. Es ist auch als volks¬
mäßiges Soldatenlied ein rohes Gedicht, die Tendenz der Verbreitung und das Ta¬
lent des Verfassers stehen auf einer Linie. Wir halten trotzdem für nützlich, dasselbe
den Lesern dieses Blattes mitzutheilen, denn es ist charakteristisch für den Geist, wo¬
mit man das eigene Wesen gegen die gefürchteten Uebergriffe des Nachbars zu schützen
sucht; es zeigt auch, zu welchen Maßregeln die Animosität verleiten kann und wie
peinlich sich die Gegensätze in Deutschland gespannt haben. Dergleichen wäre doch
sonst — auch in der schlechtesten Zeit seit 1815 — in keiner Kaserne eines deut¬
schen Staates geduldet worden. So aber singt im Jahr 1865 der hannöversche
Grenadier:

Bon Müller IV. von der Klar Compagnie des 3ten Hann. Infant.-Regia, 2tes Bataillon.

Mei, Wohl auf noch getrunken.

Wir rückten in Rendsburg im Monat Juni
Und hätten es gern gethan von Herzen nie.
Sie thaten uns sagen: Ach bleiben's doch hier
In Rendsburg bekommen sie schlechtes Quartier :,:
Juhvaldera, juhvaldcra, juhvalderalderaldera.

Wir thaten erfahren, wie sie es gesagt;
Der Hunger, der hat uns gar öfter geplagt,
Denn 20 bis 30 in einem Quartier
In alten Dachkammern, das war ein Plaisier.

Die Betten, die waren hart, wie auf der Wacht.
Da konnte man sagen: O, Himmel was 'ne Nacht,
Die Flöhe, die bissen die Wangen und Zeh'n,
Mein Kamerad sagte: wie wird's uns noch gehn.

Des Tages das Essen ward fein aufgetischt
Mit Servietten ganz nobel, doch war es nichts;
Es gab gewöhnlich nur Leber und Kalbfleisch.
Wir mußten es essen; der Hunger war heiß.

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[0461] Das Gedicht von Rendsburg. Poesie der Trias. Die Regierung von Hannover hat nach Bericht der Zeitungen vor Kurzem ihrer Telegraphcnstation in Bremen die Annahme preußischer Kassenanweisungen un¬ tersagt. Es scheint, daß dies Verbot einen Kriegszug gegen Credit und Wesen des vielgehaßtcn preußischen Staates eröffnet. Uns wird gleichzeitig der Druck eines Soldatenliedes mitgetheilt, welches in den Kasernen des Welfenstaates zur Förderung kriegerischer und patriotischer Empfindungen verbreitet wird. Es ist auch als volks¬ mäßiges Soldatenlied ein rohes Gedicht, die Tendenz der Verbreitung und das Ta¬ lent des Verfassers stehen auf einer Linie. Wir halten trotzdem für nützlich, dasselbe den Lesern dieses Blattes mitzutheilen, denn es ist charakteristisch für den Geist, wo¬ mit man das eigene Wesen gegen die gefürchteten Uebergriffe des Nachbars zu schützen sucht; es zeigt auch, zu welchen Maßregeln die Animosität verleiten kann und wie peinlich sich die Gegensätze in Deutschland gespannt haben. Dergleichen wäre doch sonst — auch in der schlechtesten Zeit seit 1815 — in keiner Kaserne eines deut¬ schen Staates geduldet worden. So aber singt im Jahr 1865 der hannöversche Grenadier: Bon Müller IV. von der Klar Compagnie des 3ten Hann. Infant.-Regia, 2tes Bataillon. Mei, Wohl auf noch getrunken. Wir rückten in Rendsburg im Monat Juni Und hätten es gern gethan von Herzen nie. Sie thaten uns sagen: Ach bleiben's doch hier In Rendsburg bekommen sie schlechtes Quartier :,: Juhvaldera, juhvaldcra, juhvalderalderaldera. Wir thaten erfahren, wie sie es gesagt; Der Hunger, der hat uns gar öfter geplagt, Denn 20 bis 30 in einem Quartier In alten Dachkammern, das war ein Plaisier. Die Betten, die waren hart, wie auf der Wacht. Da konnte man sagen: O, Himmel was 'ne Nacht, Die Flöhe, die bissen die Wangen und Zeh'n, Mein Kamerad sagte: wie wird's uns noch gehn. Des Tages das Essen ward fein aufgetischt Mit Servietten ganz nobel, doch war es nichts; Es gab gewöhnlich nur Leber und Kalbfleisch. Wir mußten es essen; der Hunger war heiß. 55*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/461>, abgerufen am 29.04.2024.