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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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e silva, de Castilho, Guimaraens, d'Oliveira und andere von portugiesischem
Klänge mit den dazu gehörigen vielen Uebernamen erschienen auf den Diplomen
der Facultät in größerer Anzahl als deutsche. Mit Ausschluß einer Ehren¬
promotion betrug die Zahl der von der Facultät bewirkten Doctorcreationen
von 1858 bis 1863 17, darunter 10 Portugiesen oder Brasilianer.




Ursprung und Schätzung des gothischen Stils.

Es ist jetzt nicht blos die feste Ueberzeugung aller gebildeten Architekten,
die sich nicht in irgendeine abgelegene Bauepoche der Vergangenheit verrannt
haben, daß die Bauformen der Renaissance allein im Stande sind, die archi¬
tektonischen Aufgaben der Gegenwart auf ebenso künstlerische als zweckmäßige
Weise zu lösen. Auch dem größeren kunstsinnigen Publikum wird das nach¬
gerade zur geläufigen Ansicht. Namentlich seit in jener Bauart die schönsten
monumentalen Bauten unserer Zeit und neuerdings auch Privathäuser -- wie
deren z. B. Hansen in Wien aufgeführt hat -- entstanden sind. Denn der
weitere Laienkreis kümmert sich wie natürlich wenig um die theoretische oder
geschichtliche Berechtigung eines Stils. Er bildet sich sein Urtheil nach
der That, nach dem Ergebniß des künstlerische" Schaffens; wenn er in diesem
die Ansprüche, die dunkel in seiner Seele schweben, erfüllt sieht, seine Phantasie
zugleich befriedigt und erhoben fühlt, so gilt ihm ohne Weiteres die Form des
Kunstwerkes für lebensfähig, ohne daß er ästhetischer Gründe für seine Empfin¬
dung bedürfte. Die echte Kunst ist immer zugleich Ausdruck des allgemeinen
Geistes, welcher der noch verschlossenen Stimmung des Zeitalters die Zunge
löst und dann mit ihr in ein lebendiges Zwiegespräch tritt, in dem sie sich
ihrer Verwandtschaft freudig bewußt werden. So findet das gegenwärtige Ge¬
schlecht in den neubelebten Formen der Renaissance vertraute Züge seines
eigenen Wesens wieder und daher ein Denkmal seines eigenen Daseins.

Aber noch ist die Herrschaft dieser schönen Formenwelt, welche uns zu
Erben der glänzendsten Kunstepochen, der Antike und des Cinquecento einsetzt,
nicht gesichert. Noch macht ihr die "deutsche" Baukunst -- die den Na¬
men der "gothischen" so gern, doch bis jetzt vergeblich loswerden möchte


e silva, de Castilho, Guimaraens, d'Oliveira und andere von portugiesischem
Klänge mit den dazu gehörigen vielen Uebernamen erschienen auf den Diplomen
der Facultät in größerer Anzahl als deutsche. Mit Ausschluß einer Ehren¬
promotion betrug die Zahl der von der Facultät bewirkten Doctorcreationen
von 1858 bis 1863 17, darunter 10 Portugiesen oder Brasilianer.




Ursprung und Schätzung des gothischen Stils.

Es ist jetzt nicht blos die feste Ueberzeugung aller gebildeten Architekten,
die sich nicht in irgendeine abgelegene Bauepoche der Vergangenheit verrannt
haben, daß die Bauformen der Renaissance allein im Stande sind, die archi¬
tektonischen Aufgaben der Gegenwart auf ebenso künstlerische als zweckmäßige
Weise zu lösen. Auch dem größeren kunstsinnigen Publikum wird das nach¬
gerade zur geläufigen Ansicht. Namentlich seit in jener Bauart die schönsten
monumentalen Bauten unserer Zeit und neuerdings auch Privathäuser — wie
deren z. B. Hansen in Wien aufgeführt hat — entstanden sind. Denn der
weitere Laienkreis kümmert sich wie natürlich wenig um die theoretische oder
geschichtliche Berechtigung eines Stils. Er bildet sich sein Urtheil nach
der That, nach dem Ergebniß des künstlerische» Schaffens; wenn er in diesem
die Ansprüche, die dunkel in seiner Seele schweben, erfüllt sieht, seine Phantasie
zugleich befriedigt und erhoben fühlt, so gilt ihm ohne Weiteres die Form des
Kunstwerkes für lebensfähig, ohne daß er ästhetischer Gründe für seine Empfin¬
dung bedürfte. Die echte Kunst ist immer zugleich Ausdruck des allgemeinen
Geistes, welcher der noch verschlossenen Stimmung des Zeitalters die Zunge
löst und dann mit ihr in ein lebendiges Zwiegespräch tritt, in dem sie sich
ihrer Verwandtschaft freudig bewußt werden. So findet das gegenwärtige Ge¬
schlecht in den neubelebten Formen der Renaissance vertraute Züge seines
eigenen Wesens wieder und daher ein Denkmal seines eigenen Daseins.

Aber noch ist die Herrschaft dieser schönen Formenwelt, welche uns zu
Erben der glänzendsten Kunstepochen, der Antike und des Cinquecento einsetzt,
nicht gesichert. Noch macht ihr die „deutsche" Baukunst — die den Na¬
men der „gothischen" so gern, doch bis jetzt vergeblich loswerden möchte


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[0488] e silva, de Castilho, Guimaraens, d'Oliveira und andere von portugiesischem Klänge mit den dazu gehörigen vielen Uebernamen erschienen auf den Diplomen der Facultät in größerer Anzahl als deutsche. Mit Ausschluß einer Ehren¬ promotion betrug die Zahl der von der Facultät bewirkten Doctorcreationen von 1858 bis 1863 17, darunter 10 Portugiesen oder Brasilianer. Ursprung und Schätzung des gothischen Stils. Es ist jetzt nicht blos die feste Ueberzeugung aller gebildeten Architekten, die sich nicht in irgendeine abgelegene Bauepoche der Vergangenheit verrannt haben, daß die Bauformen der Renaissance allein im Stande sind, die archi¬ tektonischen Aufgaben der Gegenwart auf ebenso künstlerische als zweckmäßige Weise zu lösen. Auch dem größeren kunstsinnigen Publikum wird das nach¬ gerade zur geläufigen Ansicht. Namentlich seit in jener Bauart die schönsten monumentalen Bauten unserer Zeit und neuerdings auch Privathäuser — wie deren z. B. Hansen in Wien aufgeführt hat — entstanden sind. Denn der weitere Laienkreis kümmert sich wie natürlich wenig um die theoretische oder geschichtliche Berechtigung eines Stils. Er bildet sich sein Urtheil nach der That, nach dem Ergebniß des künstlerische» Schaffens; wenn er in diesem die Ansprüche, die dunkel in seiner Seele schweben, erfüllt sieht, seine Phantasie zugleich befriedigt und erhoben fühlt, so gilt ihm ohne Weiteres die Form des Kunstwerkes für lebensfähig, ohne daß er ästhetischer Gründe für seine Empfin¬ dung bedürfte. Die echte Kunst ist immer zugleich Ausdruck des allgemeinen Geistes, welcher der noch verschlossenen Stimmung des Zeitalters die Zunge löst und dann mit ihr in ein lebendiges Zwiegespräch tritt, in dem sie sich ihrer Verwandtschaft freudig bewußt werden. So findet das gegenwärtige Ge¬ schlecht in den neubelebten Formen der Renaissance vertraute Züge seines eigenen Wesens wieder und daher ein Denkmal seines eigenen Daseins. Aber noch ist die Herrschaft dieser schönen Formenwelt, welche uns zu Erben der glänzendsten Kunstepochen, der Antike und des Cinquecento einsetzt, nicht gesichert. Noch macht ihr die „deutsche" Baukunst — die den Na¬ men der „gothischen" so gern, doch bis jetzt vergeblich loswerden möchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/488>, abgerufen am 29.04.2024.