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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Winckelmaml.
Zur hundertjährigen Gcdächtnißfeier.

Vor sechzig Jahren leitete Goethe seine Schilderung Winckelmanns mit
den Worten ein: Wenn man dem würdigsten Staatsbürger gewöhnlich nur
einmal zu Grade läutet, er mag sich übrigens noch so sehr um Land und
Stadt, im Großen oder Kleinen, verdient gemacht haben, so finden sich dagegen
gewisse Personen, die durch Stiftungen sich dergestalt empfehlen, daß ihnen
Jahresfeste gefeiert werden, an denen der immerwährende Genuß ihrer Milde
gepriesen wird. In diesem Sinne haben wir alle Ursache, das Andenken solcher
Männer, deren Geist uns unerschöpfliche Stiftungen bereitet, auch von Zeit
zu Zeit wieder zu feiern und ihnen ein wohlgemeintes Opfer darzubringen."

Das Wort des Dichters ist zur Wahrheit geworden; alljährlich sammelt
sich .ins dem römischen Capitol wie an zahlreiche" Orten unsres deutschen
Vcuerlandes an Winckelmanns Geburtstag, dem 9. December, die stille Ge¬
meinde der Verehrer der Kunst zu gemeinsamer Erinnerung an den Mann, der
uns zuerst das Verständniß der Kunst erschloß. Am Schluß des vergangenen
Jahres aber war es gerechtfertigt, auch vor weiteren Kreisen dem Andenken desselben
ein solches "wohlgemeintes Opfer" darzubringen, denn es ist gerade ein Jcchr-
bundert verflossen, seit die "unerschöpflichste" unter allen "Stiftungen" des winckel-
mannschen Geistes, die längst verheißene und sehnlichst erwartete Geschichte der
Kunst des Alterthums in Dresden erschien. Lessing arbeitete damals
an seinem Laokoon. Er war ausgegangen von dem bekannten Satze in Winckel¬
manns Erstlingsschrift, das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen
Meisterwerke sei eine edle Einfalt und eine stille Größe, während er es in der
Schönheit fand und hieran seine Gedanken über die Grenzen der Malerei und
Poesie knüpfte. Lessing begab sich in manchen Punkten einer festen Ansicht,
über welche er "in des Herrn Winckelmanns versprochener Geschichte der Kunst
die völligste Befriedigung zu erhalten hoffen" durfte. Endlich ist sie erschienen:
er wagt keinen Schritt weiter, ohne dieses Werk gelesen zu haben, erst "wo
so ein Mann die Fackel der Geschichte vorträgt, kann die Speculation kühnlich
nachtrettn". Wie mußte Lessing sich freuen, den, dessen Urtheil er so hoch
stellte, nunmehr in dem Ausgangspunkte mit sich einig zu finden, denn auch


Grenjbolcn I. 18vo. 6
Winckelmaml.
Zur hundertjährigen Gcdächtnißfeier.

Vor sechzig Jahren leitete Goethe seine Schilderung Winckelmanns mit
den Worten ein: Wenn man dem würdigsten Staatsbürger gewöhnlich nur
einmal zu Grade läutet, er mag sich übrigens noch so sehr um Land und
Stadt, im Großen oder Kleinen, verdient gemacht haben, so finden sich dagegen
gewisse Personen, die durch Stiftungen sich dergestalt empfehlen, daß ihnen
Jahresfeste gefeiert werden, an denen der immerwährende Genuß ihrer Milde
gepriesen wird. In diesem Sinne haben wir alle Ursache, das Andenken solcher
Männer, deren Geist uns unerschöpfliche Stiftungen bereitet, auch von Zeit
zu Zeit wieder zu feiern und ihnen ein wohlgemeintes Opfer darzubringen."

Das Wort des Dichters ist zur Wahrheit geworden; alljährlich sammelt
sich .ins dem römischen Capitol wie an zahlreiche» Orten unsres deutschen
Vcuerlandes an Winckelmanns Geburtstag, dem 9. December, die stille Ge¬
meinde der Verehrer der Kunst zu gemeinsamer Erinnerung an den Mann, der
uns zuerst das Verständniß der Kunst erschloß. Am Schluß des vergangenen
Jahres aber war es gerechtfertigt, auch vor weiteren Kreisen dem Andenken desselben
ein solches „wohlgemeintes Opfer" darzubringen, denn es ist gerade ein Jcchr-
bundert verflossen, seit die „unerschöpflichste" unter allen „Stiftungen" des winckel-
mannschen Geistes, die längst verheißene und sehnlichst erwartete Geschichte der
Kunst des Alterthums in Dresden erschien. Lessing arbeitete damals
an seinem Laokoon. Er war ausgegangen von dem bekannten Satze in Winckel¬
manns Erstlingsschrift, das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen
Meisterwerke sei eine edle Einfalt und eine stille Größe, während er es in der
Schönheit fand und hieran seine Gedanken über die Grenzen der Malerei und
Poesie knüpfte. Lessing begab sich in manchen Punkten einer festen Ansicht,
über welche er „in des Herrn Winckelmanns versprochener Geschichte der Kunst
die völligste Befriedigung zu erhalten hoffen" durfte. Endlich ist sie erschienen:
er wagt keinen Schritt weiter, ohne dieses Werk gelesen zu haben, erst „wo
so ein Mann die Fackel der Geschichte vorträgt, kann die Speculation kühnlich
nachtrettn". Wie mußte Lessing sich freuen, den, dessen Urtheil er so hoch
stellte, nunmehr in dem Ausgangspunkte mit sich einig zu finden, denn auch


Grenjbolcn I. 18vo. 6
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[0049] Winckelmaml. Zur hundertjährigen Gcdächtnißfeier. Vor sechzig Jahren leitete Goethe seine Schilderung Winckelmanns mit den Worten ein: Wenn man dem würdigsten Staatsbürger gewöhnlich nur einmal zu Grade läutet, er mag sich übrigens noch so sehr um Land und Stadt, im Großen oder Kleinen, verdient gemacht haben, so finden sich dagegen gewisse Personen, die durch Stiftungen sich dergestalt empfehlen, daß ihnen Jahresfeste gefeiert werden, an denen der immerwährende Genuß ihrer Milde gepriesen wird. In diesem Sinne haben wir alle Ursache, das Andenken solcher Männer, deren Geist uns unerschöpfliche Stiftungen bereitet, auch von Zeit zu Zeit wieder zu feiern und ihnen ein wohlgemeintes Opfer darzubringen." Das Wort des Dichters ist zur Wahrheit geworden; alljährlich sammelt sich .ins dem römischen Capitol wie an zahlreiche» Orten unsres deutschen Vcuerlandes an Winckelmanns Geburtstag, dem 9. December, die stille Ge¬ meinde der Verehrer der Kunst zu gemeinsamer Erinnerung an den Mann, der uns zuerst das Verständniß der Kunst erschloß. Am Schluß des vergangenen Jahres aber war es gerechtfertigt, auch vor weiteren Kreisen dem Andenken desselben ein solches „wohlgemeintes Opfer" darzubringen, denn es ist gerade ein Jcchr- bundert verflossen, seit die „unerschöpflichste" unter allen „Stiftungen" des winckel- mannschen Geistes, die längst verheißene und sehnlichst erwartete Geschichte der Kunst des Alterthums in Dresden erschien. Lessing arbeitete damals an seinem Laokoon. Er war ausgegangen von dem bekannten Satze in Winckel¬ manns Erstlingsschrift, das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterwerke sei eine edle Einfalt und eine stille Größe, während er es in der Schönheit fand und hieran seine Gedanken über die Grenzen der Malerei und Poesie knüpfte. Lessing begab sich in manchen Punkten einer festen Ansicht, über welche er „in des Herrn Winckelmanns versprochener Geschichte der Kunst die völligste Befriedigung zu erhalten hoffen" durfte. Endlich ist sie erschienen: er wagt keinen Schritt weiter, ohne dieses Werk gelesen zu haben, erst „wo so ein Mann die Fackel der Geschichte vorträgt, kann die Speculation kühnlich nachtrettn". Wie mußte Lessing sich freuen, den, dessen Urtheil er so hoch stellte, nunmehr in dem Ausgangspunkte mit sich einig zu finden, denn auch Grenjbolcn I. 18vo. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/49>, abgerufen am 29.04.2024.