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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Unser gesegnetes badisches Land ist in den letzten Wochen mehr als je der
Gegenstand von Correspondenzen in den verschiedenen politischen Blättern Deutsch¬
lands gewesen. Nicht nur das Streben, die Leser über uns zu orientiren, hat eine
Anzahl von Federn geleitet, deren Producte, sehr ähnlich lautend, nur im Tone
Verschieden gefärbt, bald in der Mundart der Zionswächter in der "Kreuzzeitung",
im bureaukratisch-reactionären Sinne in der Frankfurter "Postzeitung". in groß-
deutschem Jargon in der unvermeidlichen Augsburger "Allg. Zeit." nach passenden
Intervallen auftauchten. Während sie im Anfang nur den Fluch des Himmels
über unsere Gottlosigkeit herunterriefen, endeten sie mit nicht undeutlichen Auf¬
forderungen zu einer Intervention der Nachbarstaaten. Das Land, wußten sie
ZU melden, sei in einem unerhörten Zustande der Aufregung, die Katholiken sam¬
melten sich zu Tausenden und Abertausenden, und erhöben ihre Stimme gegen
die himmelschreiende Unterdrückung, mit der sie der ..Terrorismus" der herr¬
schenden Partei bedränge, die Religion und somit auch die Monarchie sei in
Gefahr und nur von ihnen könne Rettung. Ruhe und Friede gebracht werden.

Der Grund dieser mit Ostentation zur Schau getragenen Entrüstung und
nner Agitation, die in der That lästig wäre, wenn sie nicht ein so jämmer¬
liches Fiasco gemacht hätte, ist das Aufsichtsgesetz für die Volksschulen.

Getreu dem Grundsatze, aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens an
die Stelle der bureaukratischen Bevormundung die Selbstverwaltung auf brei¬
tester Grundlage treten zu lassen, und erfüllt von dem Streben, die Gemeinden
ZU einem lebhafteren Interesse an dem Volksschulwesen heranzuziehen, auf der
andern Seite dem allgemeinen Rufe nach Trennung der Schule von der Will¬
kürherrschaft des Klerus entsprechend, beschäftigte sich die Regierung seit mehren
Jahren mit der Schulfrage. Ein Oberschulrath wurde, als Mittelbehörde unter
dem Ministerium des Innern stehend, gegründet, der das gesammte Unterrichts,
rochen des Landes mit Ausnahme der Universitäten zu leiten hat, an seine
Spitze wurde ein durch scharfsinnige volkswirtschaftliche Untersuchungen als


Vreniboten I. 186S. 61

Unser gesegnetes badisches Land ist in den letzten Wochen mehr als je der
Gegenstand von Correspondenzen in den verschiedenen politischen Blättern Deutsch¬
lands gewesen. Nicht nur das Streben, die Leser über uns zu orientiren, hat eine
Anzahl von Federn geleitet, deren Producte, sehr ähnlich lautend, nur im Tone
Verschieden gefärbt, bald in der Mundart der Zionswächter in der „Kreuzzeitung",
im bureaukratisch-reactionären Sinne in der Frankfurter „Postzeitung". in groß-
deutschem Jargon in der unvermeidlichen Augsburger „Allg. Zeit." nach passenden
Intervallen auftauchten. Während sie im Anfang nur den Fluch des Himmels
über unsere Gottlosigkeit herunterriefen, endeten sie mit nicht undeutlichen Auf¬
forderungen zu einer Intervention der Nachbarstaaten. Das Land, wußten sie
ZU melden, sei in einem unerhörten Zustande der Aufregung, die Katholiken sam¬
melten sich zu Tausenden und Abertausenden, und erhöben ihre Stimme gegen
die himmelschreiende Unterdrückung, mit der sie der ..Terrorismus" der herr¬
schenden Partei bedränge, die Religion und somit auch die Monarchie sei in
Gefahr und nur von ihnen könne Rettung. Ruhe und Friede gebracht werden.

Der Grund dieser mit Ostentation zur Schau getragenen Entrüstung und
nner Agitation, die in der That lästig wäre, wenn sie nicht ein so jämmer¬
liches Fiasco gemacht hätte, ist das Aufsichtsgesetz für die Volksschulen.

Getreu dem Grundsatze, aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens an
die Stelle der bureaukratischen Bevormundung die Selbstverwaltung auf brei¬
tester Grundlage treten zu lassen, und erfüllt von dem Streben, die Gemeinden
ZU einem lebhafteren Interesse an dem Volksschulwesen heranzuziehen, auf der
andern Seite dem allgemeinen Rufe nach Trennung der Schule von der Will¬
kürherrschaft des Klerus entsprechend, beschäftigte sich die Regierung seit mehren
Jahren mit der Schulfrage. Ein Oberschulrath wurde, als Mittelbehörde unter
dem Ministerium des Innern stehend, gegründet, der das gesammte Unterrichts,
rochen des Landes mit Ausnahme der Universitäten zu leiten hat, an seine
Spitze wurde ein durch scharfsinnige volkswirtschaftliche Untersuchungen als


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[0511] Unser gesegnetes badisches Land ist in den letzten Wochen mehr als je der Gegenstand von Correspondenzen in den verschiedenen politischen Blättern Deutsch¬ lands gewesen. Nicht nur das Streben, die Leser über uns zu orientiren, hat eine Anzahl von Federn geleitet, deren Producte, sehr ähnlich lautend, nur im Tone Verschieden gefärbt, bald in der Mundart der Zionswächter in der „Kreuzzeitung", im bureaukratisch-reactionären Sinne in der Frankfurter „Postzeitung". in groß- deutschem Jargon in der unvermeidlichen Augsburger „Allg. Zeit." nach passenden Intervallen auftauchten. Während sie im Anfang nur den Fluch des Himmels über unsere Gottlosigkeit herunterriefen, endeten sie mit nicht undeutlichen Auf¬ forderungen zu einer Intervention der Nachbarstaaten. Das Land, wußten sie ZU melden, sei in einem unerhörten Zustande der Aufregung, die Katholiken sam¬ melten sich zu Tausenden und Abertausenden, und erhöben ihre Stimme gegen die himmelschreiende Unterdrückung, mit der sie der ..Terrorismus" der herr¬ schenden Partei bedränge, die Religion und somit auch die Monarchie sei in Gefahr und nur von ihnen könne Rettung. Ruhe und Friede gebracht werden. Der Grund dieser mit Ostentation zur Schau getragenen Entrüstung und nner Agitation, die in der That lästig wäre, wenn sie nicht ein so jämmer¬ liches Fiasco gemacht hätte, ist das Aufsichtsgesetz für die Volksschulen. Getreu dem Grundsatze, aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens an die Stelle der bureaukratischen Bevormundung die Selbstverwaltung auf brei¬ tester Grundlage treten zu lassen, und erfüllt von dem Streben, die Gemeinden ZU einem lebhafteren Interesse an dem Volksschulwesen heranzuziehen, auf der andern Seite dem allgemeinen Rufe nach Trennung der Schule von der Will¬ kürherrschaft des Klerus entsprechend, beschäftigte sich die Regierung seit mehren Jahren mit der Schulfrage. Ein Oberschulrath wurde, als Mittelbehörde unter dem Ministerium des Innern stehend, gegründet, der das gesammte Unterrichts, rochen des Landes mit Ausnahme der Universitäten zu leiten hat, an seine Spitze wurde ein durch scharfsinnige volkswirtschaftliche Untersuchungen als Vreniboten I. 186S. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/511>, abgerufen am 29.04.2024.