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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Der Zeugenzwang der Zeitnngsredactenre im gegenwärtigen
und dem neu entworfenen Preußischen Strasproceß.

Die Bestimmungen der preußischen Strafproceßgesetze über den Zeugen¬
zwang haben in den letzten Jahren des bismarckischen Regiments und bis
auf den heutigen Tag allgemeines Aufsehen erregt und vornehmlich dadurch die
Aufmerksamkeit auf sich gezogen, daß auf Grund derselben eine Zahl von
Redacteuren der Tagespresse, welche einzelne der Correspondenten ihrer
Zeitungen vor Gericht einzuzeugen sich weigerten, kürzere oder längere Zeit hin¬
durch, zum Theil während mehr als Jahresfrist im Gefängnisse ihre Weigerung
büßen mußten. Diese Fälle der Ausführung jener Zwangsbestimmungen
machen es der periodischen Presse, welche ohne solche standhafte Zeugni߬
weigerung der Redacteure erschliesst ihre Existenz gefährdet sieht, ganz be¬
sonders zur Pflicht, die gesetzliche Grundlage so harter Strafe ihrer Be¬
sprechung und Beurtheilung zu unterwerfen und, wenn möglich, Abhilfe des
vorliegenden Mißstandes anzugeben und deren Verwirklichung anzubahnen.

Die Vernehmung des Angeschuldigten bezweckt hauptsächlich, ihm die
aufgefundenen Beweise und Verdachtsgründe vorzuhalten, damit er sich hier¬
gegen erkläre, die Anschuldigungen zerstöre oder Rechtfcrtigungsgründe angebe.
Dieser Grundsatz ist am konsequentesten im Anklageprocesse durchgeführt, wo der
Ankläger beweisen muß und dein Beschuldigten gesagt wird, er sei zu einer
Antwort auf die Beschuldigung nicht verpflichtet. (So in England. Braun-
schweig.) In dem bisherigen deutschen Strafprocesse aber wirkte der Rest des
Jnquisitionsprincivs: Der Beschuldigte sollte die Wahrheit sagen, war dem
Richter unterworfen, durste dem Verfahren kein Hinderniß in den Weg legen.
Die geistige Einwirkung aus den Beschuldigten schien wesentlich, um neue Jndicien
gegen ihn zu erlangen, oder ihn zum Geständnisse zu bringen. Seit 1848 überwog
dann in den deutschen Strafproceßgcsetzen der Einfluß des französischen Rechtes, aber
e>" klares Princip kam damit hinsichtlich der Vernehmung des Angeschuldigten ebenso
wenig wie in den andern Hauptpunkten des Strasprocesscs zur Geltung. Man
überließ eben alles dem Inquirenten pnsönlich und sah und sieht das Verhör des Be¬
schuldigten theils als ein Mittel der Vertheidigung, theils der Instruction an.
Höchstens beschränkte man den Richter durch genauere Vorschriften und aner-


Grenzbote" II. 1865, 31
Der Zeugenzwang der Zeitnngsredactenre im gegenwärtigen
und dem neu entworfenen Preußischen Strasproceß.

Die Bestimmungen der preußischen Strafproceßgesetze über den Zeugen¬
zwang haben in den letzten Jahren des bismarckischen Regiments und bis
auf den heutigen Tag allgemeines Aufsehen erregt und vornehmlich dadurch die
Aufmerksamkeit auf sich gezogen, daß auf Grund derselben eine Zahl von
Redacteuren der Tagespresse, welche einzelne der Correspondenten ihrer
Zeitungen vor Gericht einzuzeugen sich weigerten, kürzere oder längere Zeit hin¬
durch, zum Theil während mehr als Jahresfrist im Gefängnisse ihre Weigerung
büßen mußten. Diese Fälle der Ausführung jener Zwangsbestimmungen
machen es der periodischen Presse, welche ohne solche standhafte Zeugni߬
weigerung der Redacteure erschliesst ihre Existenz gefährdet sieht, ganz be¬
sonders zur Pflicht, die gesetzliche Grundlage so harter Strafe ihrer Be¬
sprechung und Beurtheilung zu unterwerfen und, wenn möglich, Abhilfe des
vorliegenden Mißstandes anzugeben und deren Verwirklichung anzubahnen.

Die Vernehmung des Angeschuldigten bezweckt hauptsächlich, ihm die
aufgefundenen Beweise und Verdachtsgründe vorzuhalten, damit er sich hier¬
gegen erkläre, die Anschuldigungen zerstöre oder Rechtfcrtigungsgründe angebe.
Dieser Grundsatz ist am konsequentesten im Anklageprocesse durchgeführt, wo der
Ankläger beweisen muß und dein Beschuldigten gesagt wird, er sei zu einer
Antwort auf die Beschuldigung nicht verpflichtet. (So in England. Braun-
schweig.) In dem bisherigen deutschen Strafprocesse aber wirkte der Rest des
Jnquisitionsprincivs: Der Beschuldigte sollte die Wahrheit sagen, war dem
Richter unterworfen, durste dem Verfahren kein Hinderniß in den Weg legen.
Die geistige Einwirkung aus den Beschuldigten schien wesentlich, um neue Jndicien
gegen ihn zu erlangen, oder ihn zum Geständnisse zu bringen. Seit 1848 überwog
dann in den deutschen Strafproceßgcsetzen der Einfluß des französischen Rechtes, aber
e>" klares Princip kam damit hinsichtlich der Vernehmung des Angeschuldigten ebenso
wenig wie in den andern Hauptpunkten des Strasprocesscs zur Geltung. Man
überließ eben alles dem Inquirenten pnsönlich und sah und sieht das Verhör des Be¬
schuldigten theils als ein Mittel der Vertheidigung, theils der Instruction an.
Höchstens beschränkte man den Richter durch genauere Vorschriften und aner-


Grenzbote» II. 1865, 31
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[0259] Der Zeugenzwang der Zeitnngsredactenre im gegenwärtigen und dem neu entworfenen Preußischen Strasproceß. Die Bestimmungen der preußischen Strafproceßgesetze über den Zeugen¬ zwang haben in den letzten Jahren des bismarckischen Regiments und bis auf den heutigen Tag allgemeines Aufsehen erregt und vornehmlich dadurch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, daß auf Grund derselben eine Zahl von Redacteuren der Tagespresse, welche einzelne der Correspondenten ihrer Zeitungen vor Gericht einzuzeugen sich weigerten, kürzere oder längere Zeit hin¬ durch, zum Theil während mehr als Jahresfrist im Gefängnisse ihre Weigerung büßen mußten. Diese Fälle der Ausführung jener Zwangsbestimmungen machen es der periodischen Presse, welche ohne solche standhafte Zeugni߬ weigerung der Redacteure erschliesst ihre Existenz gefährdet sieht, ganz be¬ sonders zur Pflicht, die gesetzliche Grundlage so harter Strafe ihrer Be¬ sprechung und Beurtheilung zu unterwerfen und, wenn möglich, Abhilfe des vorliegenden Mißstandes anzugeben und deren Verwirklichung anzubahnen. Die Vernehmung des Angeschuldigten bezweckt hauptsächlich, ihm die aufgefundenen Beweise und Verdachtsgründe vorzuhalten, damit er sich hier¬ gegen erkläre, die Anschuldigungen zerstöre oder Rechtfcrtigungsgründe angebe. Dieser Grundsatz ist am konsequentesten im Anklageprocesse durchgeführt, wo der Ankläger beweisen muß und dein Beschuldigten gesagt wird, er sei zu einer Antwort auf die Beschuldigung nicht verpflichtet. (So in England. Braun- schweig.) In dem bisherigen deutschen Strafprocesse aber wirkte der Rest des Jnquisitionsprincivs: Der Beschuldigte sollte die Wahrheit sagen, war dem Richter unterworfen, durste dem Verfahren kein Hinderniß in den Weg legen. Die geistige Einwirkung aus den Beschuldigten schien wesentlich, um neue Jndicien gegen ihn zu erlangen, oder ihn zum Geständnisse zu bringen. Seit 1848 überwog dann in den deutschen Strafproceßgcsetzen der Einfluß des französischen Rechtes, aber e>" klares Princip kam damit hinsichtlich der Vernehmung des Angeschuldigten ebenso wenig wie in den andern Hauptpunkten des Strasprocesscs zur Geltung. Man überließ eben alles dem Inquirenten pnsönlich und sah und sieht das Verhör des Be¬ schuldigten theils als ein Mittel der Vertheidigung, theils der Instruction an. Höchstens beschränkte man den Richter durch genauere Vorschriften und aner- Grenzbote» II. 1865, 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/259>, abgerufen am 26.05.2024.