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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Clemens und H. Vosen, der auch hier seinem Vorgänger fast wörtlich
folgt, wissen zwar die letzten Lebensjahre noch ganz anders darzustellen. Sie
kennen einen Brief von Galilei an seinen Schüler Namen vom December 1633,
in welchem es heißt: "Bor fünf Monaten entließ man mich von Rom zu einer
Zeit, als gerade in Florenz die Pest herrschte. Mit liebreicher Großmuth wurde
mir daher als Arrest der Palast des Erzbischofs Piccolomini, meines so theuren
Freundes, den ich in Siena hatte, zugewiesen. Ich genoß dessen angenehme
Unterhaltung mit solcher Ruhe und Zufriedenheit des Gemüths, daß ich dort
meine Studien wieder vornahm. Als nun nach fünf Monaten in meiner
Heimath die Pest aufhörte, wurde mir im Anfange des Decembers dieses
Jahres 1633 erlaubt, die Einschränkung dieses Hauses mit der ^Freiheit des
Landlebens, die ich so sehr wünsche, zu vertauschen. Daher begab ich mich
auf die Villa Bellosquarde und hernach nach Arcetri, wo ich mich jetzt befinde,
um nahe bei meiner lieben Heimath Florenz diese vortreffliche Lust zu genießen."
Die in diesen Sätzen sich kundgebende Sorgfalt des Papstes für Galileis Ge¬
sundheit ist wahrhaft rührend. Wie bedacht ist er. daß Galilei ja nicht der
Pest zum Opfer werde; welche idyllische Freiheit des Landlebens gewährt er
ihm nicht! Wirtlich ist es Jammer und Schade, daß der ganze Brief an¬
erkanntermaßen unecht ist, eine Fälschung des Duca Caetani (Reumont a. a. O.
S. 386).

Doch genug über diesen Gegenstand. Nur einmal noch zum Schlüsse
wenden wir uns an H. Vosen. S. 32 sagt er: "Wer übrigens vom speciellen
Standpunkte des confessionellen Hasses aus den übel angebrachten Eifer der
römischen Glaubenswächter damaliger Zeit gegen Galilei als katholische Un¬
wissenheit bezeichnen will, den mahnen wir'all die gleiche Erscheinung unter
den damaligen Protestanten. Johannes Kepler, der größte Astronom vielleicht
aller Zeiten, hat von den protestantischen Theologen in Tübingen kurz vorher
wegen Vertheidigung der topernikanischen Ansicht viel mehr zu leiden gehabt
als Galilei in Rom."

Worin dies "viel mehr" bestand, was Kepler zu leiden hatte, wissen wir
freilich nicht. Allein das wissen wir: Wenn aus dem Processe Galileis, einem
Parteiprocesse, wie hier gezeigt worden ist, auch jetzt noch Capital gemacht
wird, so ist es nicht der übel angebrachte Eifer der römischen Glaubenswächter
damaliger Zeit, den man geißelt. Das ist es vielmehr, daß heute wie
damals eine nicht religiöse, eine politische Clique unterj gleichem Vorwande
der Religionsgefahr dem Fortschritt auf allen Gebieten des Lebens entgegen¬
tritt. Die Stimme dieser Partei hören wir auch wieder aus den Worten,
die erst bei den jüngsten Heiligsprechungen in Rom ertönten:

"Die Wissenschaft, so sagte man schon zu Zeiten Gregors des Großen,
die Wissenschaft besteht darin, das Gegentheil der Wahrheit zu beweisen und
den Sinn der Worte zu verdrehen."




Correspondenz aus Schleswig-Holstein.

Daß unser Particularismus mehr als Brot essen kann, ist Ihnen genügend
bekannt. Seine neueste Leistung aber werden Sie nicht erwartet haben: siew
ein completes Wunder, falls es heutzutage irgend noch Wunder giebt. Sie


Clemens und H. Vosen, der auch hier seinem Vorgänger fast wörtlich
folgt, wissen zwar die letzten Lebensjahre noch ganz anders darzustellen. Sie
kennen einen Brief von Galilei an seinen Schüler Namen vom December 1633,
in welchem es heißt: „Bor fünf Monaten entließ man mich von Rom zu einer
Zeit, als gerade in Florenz die Pest herrschte. Mit liebreicher Großmuth wurde
mir daher als Arrest der Palast des Erzbischofs Piccolomini, meines so theuren
Freundes, den ich in Siena hatte, zugewiesen. Ich genoß dessen angenehme
Unterhaltung mit solcher Ruhe und Zufriedenheit des Gemüths, daß ich dort
meine Studien wieder vornahm. Als nun nach fünf Monaten in meiner
Heimath die Pest aufhörte, wurde mir im Anfange des Decembers dieses
Jahres 1633 erlaubt, die Einschränkung dieses Hauses mit der ^Freiheit des
Landlebens, die ich so sehr wünsche, zu vertauschen. Daher begab ich mich
auf die Villa Bellosquarde und hernach nach Arcetri, wo ich mich jetzt befinde,
um nahe bei meiner lieben Heimath Florenz diese vortreffliche Lust zu genießen."
Die in diesen Sätzen sich kundgebende Sorgfalt des Papstes für Galileis Ge¬
sundheit ist wahrhaft rührend. Wie bedacht ist er. daß Galilei ja nicht der
Pest zum Opfer werde; welche idyllische Freiheit des Landlebens gewährt er
ihm nicht! Wirtlich ist es Jammer und Schade, daß der ganze Brief an¬
erkanntermaßen unecht ist, eine Fälschung des Duca Caetani (Reumont a. a. O.
S. 386).

Doch genug über diesen Gegenstand. Nur einmal noch zum Schlüsse
wenden wir uns an H. Vosen. S. 32 sagt er: „Wer übrigens vom speciellen
Standpunkte des confessionellen Hasses aus den übel angebrachten Eifer der
römischen Glaubenswächter damaliger Zeit gegen Galilei als katholische Un¬
wissenheit bezeichnen will, den mahnen wir'all die gleiche Erscheinung unter
den damaligen Protestanten. Johannes Kepler, der größte Astronom vielleicht
aller Zeiten, hat von den protestantischen Theologen in Tübingen kurz vorher
wegen Vertheidigung der topernikanischen Ansicht viel mehr zu leiden gehabt
als Galilei in Rom."

Worin dies „viel mehr" bestand, was Kepler zu leiden hatte, wissen wir
freilich nicht. Allein das wissen wir: Wenn aus dem Processe Galileis, einem
Parteiprocesse, wie hier gezeigt worden ist, auch jetzt noch Capital gemacht
wird, so ist es nicht der übel angebrachte Eifer der römischen Glaubenswächter
damaliger Zeit, den man geißelt. Das ist es vielmehr, daß heute wie
damals eine nicht religiöse, eine politische Clique unterj gleichem Vorwande
der Religionsgefahr dem Fortschritt auf allen Gebieten des Lebens entgegen¬
tritt. Die Stimme dieser Partei hören wir auch wieder aus den Worten,
die erst bei den jüngsten Heiligsprechungen in Rom ertönten:

„Die Wissenschaft, so sagte man schon zu Zeiten Gregors des Großen,
die Wissenschaft besteht darin, das Gegentheil der Wahrheit zu beweisen und
den Sinn der Worte zu verdrehen."




Correspondenz aus Schleswig-Holstein.

Daß unser Particularismus mehr als Brot essen kann, ist Ihnen genügend
bekannt. Seine neueste Leistung aber werden Sie nicht erwartet haben: siew
ein completes Wunder, falls es heutzutage irgend noch Wunder giebt. Sie


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[0462] Clemens und H. Vosen, der auch hier seinem Vorgänger fast wörtlich folgt, wissen zwar die letzten Lebensjahre noch ganz anders darzustellen. Sie kennen einen Brief von Galilei an seinen Schüler Namen vom December 1633, in welchem es heißt: „Bor fünf Monaten entließ man mich von Rom zu einer Zeit, als gerade in Florenz die Pest herrschte. Mit liebreicher Großmuth wurde mir daher als Arrest der Palast des Erzbischofs Piccolomini, meines so theuren Freundes, den ich in Siena hatte, zugewiesen. Ich genoß dessen angenehme Unterhaltung mit solcher Ruhe und Zufriedenheit des Gemüths, daß ich dort meine Studien wieder vornahm. Als nun nach fünf Monaten in meiner Heimath die Pest aufhörte, wurde mir im Anfange des Decembers dieses Jahres 1633 erlaubt, die Einschränkung dieses Hauses mit der ^Freiheit des Landlebens, die ich so sehr wünsche, zu vertauschen. Daher begab ich mich auf die Villa Bellosquarde und hernach nach Arcetri, wo ich mich jetzt befinde, um nahe bei meiner lieben Heimath Florenz diese vortreffliche Lust zu genießen." Die in diesen Sätzen sich kundgebende Sorgfalt des Papstes für Galileis Ge¬ sundheit ist wahrhaft rührend. Wie bedacht ist er. daß Galilei ja nicht der Pest zum Opfer werde; welche idyllische Freiheit des Landlebens gewährt er ihm nicht! Wirtlich ist es Jammer und Schade, daß der ganze Brief an¬ erkanntermaßen unecht ist, eine Fälschung des Duca Caetani (Reumont a. a. O. S. 386). Doch genug über diesen Gegenstand. Nur einmal noch zum Schlüsse wenden wir uns an H. Vosen. S. 32 sagt er: „Wer übrigens vom speciellen Standpunkte des confessionellen Hasses aus den übel angebrachten Eifer der römischen Glaubenswächter damaliger Zeit gegen Galilei als katholische Un¬ wissenheit bezeichnen will, den mahnen wir'all die gleiche Erscheinung unter den damaligen Protestanten. Johannes Kepler, der größte Astronom vielleicht aller Zeiten, hat von den protestantischen Theologen in Tübingen kurz vorher wegen Vertheidigung der topernikanischen Ansicht viel mehr zu leiden gehabt als Galilei in Rom." Worin dies „viel mehr" bestand, was Kepler zu leiden hatte, wissen wir freilich nicht. Allein das wissen wir: Wenn aus dem Processe Galileis, einem Parteiprocesse, wie hier gezeigt worden ist, auch jetzt noch Capital gemacht wird, so ist es nicht der übel angebrachte Eifer der römischen Glaubenswächter damaliger Zeit, den man geißelt. Das ist es vielmehr, daß heute wie damals eine nicht religiöse, eine politische Clique unterj gleichem Vorwande der Religionsgefahr dem Fortschritt auf allen Gebieten des Lebens entgegen¬ tritt. Die Stimme dieser Partei hören wir auch wieder aus den Worten, die erst bei den jüngsten Heiligsprechungen in Rom ertönten: „Die Wissenschaft, so sagte man schon zu Zeiten Gregors des Großen, die Wissenschaft besteht darin, das Gegentheil der Wahrheit zu beweisen und den Sinn der Worte zu verdrehen." Correspondenz aus Schleswig-Holstein. Daß unser Particularismus mehr als Brot essen kann, ist Ihnen genügend bekannt. Seine neueste Leistung aber werden Sie nicht erwartet haben: siew ein completes Wunder, falls es heutzutage irgend noch Wunder giebt. Sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/462>, abgerufen am 19.05.2024.