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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Die Snzeriinetiit über Schleswig.

Evang. Joh. 1,8. Vers 23.

Die Schleswig-holsteinische Angelegenheit ist noch immer ein Gegenstand
staatsrechtlicher Untersuchung und Debatte. Noch sind die preußischen Kron¬
juristen mit ihrem Gutachten über die Erbfolge beschäftigt, während die Staats¬
weisen der Trias darthun, daß die neuen preußischen Forderungen mit dem
Begriff der staatlichen Souveränetät und dem deutschen Bundesrecht unvereinbar
sind. So wird es wohl auch uns erlaubt sein, für .eine kurze Nachweisung
Raum und die Aufmerksamkeit der Leser zu erbitten.

Von vornherein sei bemerkt, daß wir in der Erbfolgefrage auf dem
augustenburgischen Standpunkt stehen; der Anspruch des Herzogs Friedrich er¬
scheint uns ohne Zweifel als der am besten begründete. Andererseits freilich
-- darin müssen wir Treitschke beistimmen --- ist überall kein historischer Fort¬
schritt möglich gewesen, ohne daß nicht minder gute und ebenso wohlerworbene
Rechte verletzt oder geopfert worden sind; das Recht der lebendigen Entwickelung
eines Volkes geht über den todten Buchstaben der Stammbäume hinweg. Je¬
doch wie die Sachen einmal verlaufen sind, ist es erklärlich, daß selbst klar
sehende patriotische Männer in Schleswig-Holstein nicht zu allem die Hand
bieten, noch weniger direct mitwirken mögen. Wir begreifen vollkommen, warum
die neue nationale Partei dort den Anschluß an Preußen und nicht die Annexion
auf ihre Fahne geschrieben hat; die großen allseitigen Vortheile der letzteren
kann man nicht verkennen, aber man fühlt sich durch die eigene Vergangenheit
doch noch einigermaßen gefesselt.

Also Anschluß im Sinn der bekannten preußischen Forderungen, die ja
im Wesentlichen mit dem Programm der nationalen Partei in Schleswig-
Holstein übereinstimmen. Und dieser Anschluß muß und wird, im wahren In¬
teresse Schleswig-Holsteins und des ganzen Deutschland, durchgesetzt werden,
mögen sich die Particularisten noch so sehr dagegen sträuben. Dabei wird nun
freilich der feste Wille und die Macht Preußens das Beste thun und den Aus¬
schlag geben müssen. Aber vielleicht trägt es doch auch dazu bei, einige Wider¬
strebende zu versöhnen, wenn wir im Nachstehenden nachweisen, daß das alte


Grenzboten II. 186S. 6
Die Snzeriinetiit über Schleswig.

Evang. Joh. 1,8. Vers 23.

Die Schleswig-holsteinische Angelegenheit ist noch immer ein Gegenstand
staatsrechtlicher Untersuchung und Debatte. Noch sind die preußischen Kron¬
juristen mit ihrem Gutachten über die Erbfolge beschäftigt, während die Staats¬
weisen der Trias darthun, daß die neuen preußischen Forderungen mit dem
Begriff der staatlichen Souveränetät und dem deutschen Bundesrecht unvereinbar
sind. So wird es wohl auch uns erlaubt sein, für .eine kurze Nachweisung
Raum und die Aufmerksamkeit der Leser zu erbitten.

Von vornherein sei bemerkt, daß wir in der Erbfolgefrage auf dem
augustenburgischen Standpunkt stehen; der Anspruch des Herzogs Friedrich er¬
scheint uns ohne Zweifel als der am besten begründete. Andererseits freilich
— darin müssen wir Treitschke beistimmen -— ist überall kein historischer Fort¬
schritt möglich gewesen, ohne daß nicht minder gute und ebenso wohlerworbene
Rechte verletzt oder geopfert worden sind; das Recht der lebendigen Entwickelung
eines Volkes geht über den todten Buchstaben der Stammbäume hinweg. Je¬
doch wie die Sachen einmal verlaufen sind, ist es erklärlich, daß selbst klar
sehende patriotische Männer in Schleswig-Holstein nicht zu allem die Hand
bieten, noch weniger direct mitwirken mögen. Wir begreifen vollkommen, warum
die neue nationale Partei dort den Anschluß an Preußen und nicht die Annexion
auf ihre Fahne geschrieben hat; die großen allseitigen Vortheile der letzteren
kann man nicht verkennen, aber man fühlt sich durch die eigene Vergangenheit
doch noch einigermaßen gefesselt.

Also Anschluß im Sinn der bekannten preußischen Forderungen, die ja
im Wesentlichen mit dem Programm der nationalen Partei in Schleswig-
Holstein übereinstimmen. Und dieser Anschluß muß und wird, im wahren In¬
teresse Schleswig-Holsteins und des ganzen Deutschland, durchgesetzt werden,
mögen sich die Particularisten noch so sehr dagegen sträuben. Dabei wird nun
freilich der feste Wille und die Macht Preußens das Beste thun und den Aus¬
schlag geben müssen. Aber vielleicht trägt es doch auch dazu bei, einige Wider¬
strebende zu versöhnen, wenn wir im Nachstehenden nachweisen, daß das alte


Grenzboten II. 186S. 6
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[0049] Die Snzeriinetiit über Schleswig. Evang. Joh. 1,8. Vers 23. Die Schleswig-holsteinische Angelegenheit ist noch immer ein Gegenstand staatsrechtlicher Untersuchung und Debatte. Noch sind die preußischen Kron¬ juristen mit ihrem Gutachten über die Erbfolge beschäftigt, während die Staats¬ weisen der Trias darthun, daß die neuen preußischen Forderungen mit dem Begriff der staatlichen Souveränetät und dem deutschen Bundesrecht unvereinbar sind. So wird es wohl auch uns erlaubt sein, für .eine kurze Nachweisung Raum und die Aufmerksamkeit der Leser zu erbitten. Von vornherein sei bemerkt, daß wir in der Erbfolgefrage auf dem augustenburgischen Standpunkt stehen; der Anspruch des Herzogs Friedrich er¬ scheint uns ohne Zweifel als der am besten begründete. Andererseits freilich — darin müssen wir Treitschke beistimmen -— ist überall kein historischer Fort¬ schritt möglich gewesen, ohne daß nicht minder gute und ebenso wohlerworbene Rechte verletzt oder geopfert worden sind; das Recht der lebendigen Entwickelung eines Volkes geht über den todten Buchstaben der Stammbäume hinweg. Je¬ doch wie die Sachen einmal verlaufen sind, ist es erklärlich, daß selbst klar sehende patriotische Männer in Schleswig-Holstein nicht zu allem die Hand bieten, noch weniger direct mitwirken mögen. Wir begreifen vollkommen, warum die neue nationale Partei dort den Anschluß an Preußen und nicht die Annexion auf ihre Fahne geschrieben hat; die großen allseitigen Vortheile der letzteren kann man nicht verkennen, aber man fühlt sich durch die eigene Vergangenheit doch noch einigermaßen gefesselt. Also Anschluß im Sinn der bekannten preußischen Forderungen, die ja im Wesentlichen mit dem Programm der nationalen Partei in Schleswig- Holstein übereinstimmen. Und dieser Anschluß muß und wird, im wahren In¬ teresse Schleswig-Holsteins und des ganzen Deutschland, durchgesetzt werden, mögen sich die Particularisten noch so sehr dagegen sträuben. Dabei wird nun freilich der feste Wille und die Macht Preußens das Beste thun und den Aus¬ schlag geben müssen. Aber vielleicht trägt es doch auch dazu bei, einige Wider¬ strebende zu versöhnen, wenn wir im Nachstehenden nachweisen, daß das alte Grenzboten II. 186S. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/49>, abgerufen am 18.05.2024.