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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Hältnisse zuwende. Die Anlehnung an Rußland, das "uns den Rücken deckt",
ist dort ebenso traditionell, wie die Abneigung', in irgendeiner europäischen
Frage mit Frankreich zusammenzugehen. Man siebt die Welt mit preußischen
Augen an, und findet so natürlich das politische Zusammenwachsen der am
Sunde wohnenden Völker höchst bedenklich, anstatt mit deutschen Augen, wo man
erkennen würde, daß unser Zugang zum Weltmeer die Nordsee ist, die Mündung
der Elbe und der Weser und des zukünftigen großen Meerkanals. Das preußische
Staatsbewußtsein ist zwar unzweifelhaft auf dem Wege sich zu einem kräftigen
deutschen Nationalbewußtsein auszuweiden. Aber noch manche innere Fortschritte
werden zu machen sein, bevor dieses Ziel erreicht ist. und bevor demnach auch
von einer lediglich den nationalen Interessen entnommenen Stellung Preußens
zu den Ostseemächten, insbesondere zu Schwedens skandinavischen Entwürfen
die Rede sein kann.




Der Fahneneid der Sachsen bei Lüttich.

Der Krieg von 1815 und die Verträge von Wien und Paris. Von Julius Königer.
Leipzig, 1865. Verlag von S. Hirzel. 475 S. 8.

Wenn unter den preußischen Forderungen an Schleswig-Holstein der dem
König von Preußen zu leistende Fahneneid eine Rolle spielt, so sind Manche
geneigt, auf denselben kein Gewicht zu legen und ihn so zu den Punkten zu
verweisen, welche das berliner Cabinet ohne Nachtheil für sein und Deutsch¬
lands Interesse fallen lassen könnte. Wir sind andrer Meinung, und zwar
einfach deshalb, weil ohne Erfüllung dieses Verlangens das Heer der Herzog-
thümer bei der Lage derselben ^meer Umständen eine Quelle ernster Verlegen¬
heiten werden kann. Und die Gründe hierfür? Weil auf patriotische Gesinnung
des kieler Hofes vielleicht jetzt, aber keineswegs für alle Conjuncturon zu
rechnen ist, dann weil sich Situationen denken lassen, wo Preußen etwaige
Neigung dieses Hofes zur Anlehnung an das Ausland auf den rechten Weg
zu zwingen nicht wohl im Stande wäre. Der Erbprinz von Augustenburg
ist vielleicht der am meisten preußisch gesinnte Mann in den Herzogthümern,
so sagt uns wenigstens der Abgeordnete Tochter, und wir wollen einmal, wohl'
begründete Zweifel zurückdrängend, annehmen, daß er uns damit nicht blos


Hältnisse zuwende. Die Anlehnung an Rußland, das „uns den Rücken deckt",
ist dort ebenso traditionell, wie die Abneigung', in irgendeiner europäischen
Frage mit Frankreich zusammenzugehen. Man siebt die Welt mit preußischen
Augen an, und findet so natürlich das politische Zusammenwachsen der am
Sunde wohnenden Völker höchst bedenklich, anstatt mit deutschen Augen, wo man
erkennen würde, daß unser Zugang zum Weltmeer die Nordsee ist, die Mündung
der Elbe und der Weser und des zukünftigen großen Meerkanals. Das preußische
Staatsbewußtsein ist zwar unzweifelhaft auf dem Wege sich zu einem kräftigen
deutschen Nationalbewußtsein auszuweiden. Aber noch manche innere Fortschritte
werden zu machen sein, bevor dieses Ziel erreicht ist. und bevor demnach auch
von einer lediglich den nationalen Interessen entnommenen Stellung Preußens
zu den Ostseemächten, insbesondere zu Schwedens skandinavischen Entwürfen
die Rede sein kann.




Der Fahneneid der Sachsen bei Lüttich.

Der Krieg von 1815 und die Verträge von Wien und Paris. Von Julius Königer.
Leipzig, 1865. Verlag von S. Hirzel. 475 S. 8.

Wenn unter den preußischen Forderungen an Schleswig-Holstein der dem
König von Preußen zu leistende Fahneneid eine Rolle spielt, so sind Manche
geneigt, auf denselben kein Gewicht zu legen und ihn so zu den Punkten zu
verweisen, welche das berliner Cabinet ohne Nachtheil für sein und Deutsch¬
lands Interesse fallen lassen könnte. Wir sind andrer Meinung, und zwar
einfach deshalb, weil ohne Erfüllung dieses Verlangens das Heer der Herzog-
thümer bei der Lage derselben ^meer Umständen eine Quelle ernster Verlegen¬
heiten werden kann. Und die Gründe hierfür? Weil auf patriotische Gesinnung
des kieler Hofes vielleicht jetzt, aber keineswegs für alle Conjuncturon zu
rechnen ist, dann weil sich Situationen denken lassen, wo Preußen etwaige
Neigung dieses Hofes zur Anlehnung an das Ausland auf den rechten Weg
zu zwingen nicht wohl im Stande wäre. Der Erbprinz von Augustenburg
ist vielleicht der am meisten preußisch gesinnte Mann in den Herzogthümern,
so sagt uns wenigstens der Abgeordnete Tochter, und wir wollen einmal, wohl'
begründete Zweifel zurückdrängend, annehmen, daß er uns damit nicht blos


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[0520] Hältnisse zuwende. Die Anlehnung an Rußland, das „uns den Rücken deckt", ist dort ebenso traditionell, wie die Abneigung', in irgendeiner europäischen Frage mit Frankreich zusammenzugehen. Man siebt die Welt mit preußischen Augen an, und findet so natürlich das politische Zusammenwachsen der am Sunde wohnenden Völker höchst bedenklich, anstatt mit deutschen Augen, wo man erkennen würde, daß unser Zugang zum Weltmeer die Nordsee ist, die Mündung der Elbe und der Weser und des zukünftigen großen Meerkanals. Das preußische Staatsbewußtsein ist zwar unzweifelhaft auf dem Wege sich zu einem kräftigen deutschen Nationalbewußtsein auszuweiden. Aber noch manche innere Fortschritte werden zu machen sein, bevor dieses Ziel erreicht ist. und bevor demnach auch von einer lediglich den nationalen Interessen entnommenen Stellung Preußens zu den Ostseemächten, insbesondere zu Schwedens skandinavischen Entwürfen die Rede sein kann. Der Fahneneid der Sachsen bei Lüttich. Der Krieg von 1815 und die Verträge von Wien und Paris. Von Julius Königer. Leipzig, 1865. Verlag von S. Hirzel. 475 S. 8. Wenn unter den preußischen Forderungen an Schleswig-Holstein der dem König von Preußen zu leistende Fahneneid eine Rolle spielt, so sind Manche geneigt, auf denselben kein Gewicht zu legen und ihn so zu den Punkten zu verweisen, welche das berliner Cabinet ohne Nachtheil für sein und Deutsch¬ lands Interesse fallen lassen könnte. Wir sind andrer Meinung, und zwar einfach deshalb, weil ohne Erfüllung dieses Verlangens das Heer der Herzog- thümer bei der Lage derselben ^meer Umständen eine Quelle ernster Verlegen¬ heiten werden kann. Und die Gründe hierfür? Weil auf patriotische Gesinnung des kieler Hofes vielleicht jetzt, aber keineswegs für alle Conjuncturon zu rechnen ist, dann weil sich Situationen denken lassen, wo Preußen etwaige Neigung dieses Hofes zur Anlehnung an das Ausland auf den rechten Weg zu zwingen nicht wohl im Stande wäre. Der Erbprinz von Augustenburg ist vielleicht der am meisten preußisch gesinnte Mann in den Herzogthümern, so sagt uns wenigstens der Abgeordnete Tochter, und wir wollen einmal, wohl' begründete Zweifel zurückdrängend, annehmen, daß er uns damit nicht blos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/520>, abgerufen am 18.05.2024.