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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Forderung, an deren Ernst er durchaus nicht mehr zweifeln konnte. Aber bei¬
nahe zehn Wochen, bis zum 18. Mai. zögerte er, auf dieselbe einzugehen und
den Theil von Volk und Heer, welchen er verlor, seiner Pflicht und seines
Eides zu entlassen. Sechzehn Tage vorher fand die Meuterei in Lüttich statt,
knieten infolge der Hartnäckigkeit des Königs und der Umtriebe seines Hofes sieben
sonst jedenfalls brave sächsische Soldaten auf den Sandhaufen des Standrechts.

"Was anders/' fragen wir mit unserer Schrift, .konnte Friedrich August
zu dieser Verzögerung veranlassen, wenn nicht die Hoffnung auf eine Wendung,
welche nur durch Napoleon und selbst dann nur durch ein halbes Wunder möglich
war?" -- "Wie Blücher darüber am 6. Mai an ihn schrieb, so hat selten
ein General zu einem König gesprochen. In einem fünfundfünfzigjährigen
Dienstleben, sagte er, hätte er das Glück gehabt nur das Blut seiner Feinde
zu vergießen, jetzt zum ersten Mal sei er genöthigt worden, ein blutiges Gericht
in der eignen Armee zu verhängen. Daran trage der König die Schuld; denn
Befehle geben und Befehle dulden werde vor dem Allwissenden als dasselbe
betrachtet."




Englische Universitäten und Gelehrtenschulen.

Industrie und Schule. Mittheilungen aus England von Alfred Tylor. Deutsch
bearbeitet und mit einem Anhang über englisches Unterrichtswesen vermehrt
von Bernhard v. Guglcr. Stuttgart, Verlag von W. Nitzschke, 1865.
551. S. 8.

Der Verfasser des Originals dieser Schrift, Gießereibefcher in London und
Vorstand im Comite einer dortigen Schule, giebt über die Verhältnisse der
englischen Arbeiterbevölkerung, Arbeiterverbindungen und Arbeitseinstellungen
Versorgungsgesellschaften u. tgi. vielfach interessante Mittheilungen. In Be¬
treff des Schulwesens dagegen enthält sein Buch mehr Betrachtungen als That¬
sachen, auch gehört er einer Partei an, welche die Schule dem Staate aus den
Händen genommen und der freien Entschließung der Eltern sowie freiwilligen
Geldbeiträgen von Schulfreunden überlassen sehen will. In Deutschland wird
nicht leicht jemand diese Ansicht billigen, wie sehr man auch das andere Extrem


Forderung, an deren Ernst er durchaus nicht mehr zweifeln konnte. Aber bei¬
nahe zehn Wochen, bis zum 18. Mai. zögerte er, auf dieselbe einzugehen und
den Theil von Volk und Heer, welchen er verlor, seiner Pflicht und seines
Eides zu entlassen. Sechzehn Tage vorher fand die Meuterei in Lüttich statt,
knieten infolge der Hartnäckigkeit des Königs und der Umtriebe seines Hofes sieben
sonst jedenfalls brave sächsische Soldaten auf den Sandhaufen des Standrechts.

„Was anders/' fragen wir mit unserer Schrift, .konnte Friedrich August
zu dieser Verzögerung veranlassen, wenn nicht die Hoffnung auf eine Wendung,
welche nur durch Napoleon und selbst dann nur durch ein halbes Wunder möglich
war?" — „Wie Blücher darüber am 6. Mai an ihn schrieb, so hat selten
ein General zu einem König gesprochen. In einem fünfundfünfzigjährigen
Dienstleben, sagte er, hätte er das Glück gehabt nur das Blut seiner Feinde
zu vergießen, jetzt zum ersten Mal sei er genöthigt worden, ein blutiges Gericht
in der eignen Armee zu verhängen. Daran trage der König die Schuld; denn
Befehle geben und Befehle dulden werde vor dem Allwissenden als dasselbe
betrachtet."




Englische Universitäten und Gelehrtenschulen.

Industrie und Schule. Mittheilungen aus England von Alfred Tylor. Deutsch
bearbeitet und mit einem Anhang über englisches Unterrichtswesen vermehrt
von Bernhard v. Guglcr. Stuttgart, Verlag von W. Nitzschke, 1865.
551. S. 8.

Der Verfasser des Originals dieser Schrift, Gießereibefcher in London und
Vorstand im Comite einer dortigen Schule, giebt über die Verhältnisse der
englischen Arbeiterbevölkerung, Arbeiterverbindungen und Arbeitseinstellungen
Versorgungsgesellschaften u. tgi. vielfach interessante Mittheilungen. In Be¬
treff des Schulwesens dagegen enthält sein Buch mehr Betrachtungen als That¬
sachen, auch gehört er einer Partei an, welche die Schule dem Staate aus den
Händen genommen und der freien Entschließung der Eltern sowie freiwilligen
Geldbeiträgen von Schulfreunden überlassen sehen will. In Deutschland wird
nicht leicht jemand diese Ansicht billigen, wie sehr man auch das andere Extrem


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[0534] Forderung, an deren Ernst er durchaus nicht mehr zweifeln konnte. Aber bei¬ nahe zehn Wochen, bis zum 18. Mai. zögerte er, auf dieselbe einzugehen und den Theil von Volk und Heer, welchen er verlor, seiner Pflicht und seines Eides zu entlassen. Sechzehn Tage vorher fand die Meuterei in Lüttich statt, knieten infolge der Hartnäckigkeit des Königs und der Umtriebe seines Hofes sieben sonst jedenfalls brave sächsische Soldaten auf den Sandhaufen des Standrechts. „Was anders/' fragen wir mit unserer Schrift, .konnte Friedrich August zu dieser Verzögerung veranlassen, wenn nicht die Hoffnung auf eine Wendung, welche nur durch Napoleon und selbst dann nur durch ein halbes Wunder möglich war?" — „Wie Blücher darüber am 6. Mai an ihn schrieb, so hat selten ein General zu einem König gesprochen. In einem fünfundfünfzigjährigen Dienstleben, sagte er, hätte er das Glück gehabt nur das Blut seiner Feinde zu vergießen, jetzt zum ersten Mal sei er genöthigt worden, ein blutiges Gericht in der eignen Armee zu verhängen. Daran trage der König die Schuld; denn Befehle geben und Befehle dulden werde vor dem Allwissenden als dasselbe betrachtet." Englische Universitäten und Gelehrtenschulen. Industrie und Schule. Mittheilungen aus England von Alfred Tylor. Deutsch bearbeitet und mit einem Anhang über englisches Unterrichtswesen vermehrt von Bernhard v. Guglcr. Stuttgart, Verlag von W. Nitzschke, 1865. 551. S. 8. Der Verfasser des Originals dieser Schrift, Gießereibefcher in London und Vorstand im Comite einer dortigen Schule, giebt über die Verhältnisse der englischen Arbeiterbevölkerung, Arbeiterverbindungen und Arbeitseinstellungen Versorgungsgesellschaften u. tgi. vielfach interessante Mittheilungen. In Be¬ treff des Schulwesens dagegen enthält sein Buch mehr Betrachtungen als That¬ sachen, auch gehört er einer Partei an, welche die Schule dem Staate aus den Händen genommen und der freien Entschließung der Eltern sowie freiwilligen Geldbeiträgen von Schulfreunden überlassen sehen will. In Deutschland wird nicht leicht jemand diese Ansicht billigen, wie sehr man auch das andere Extrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/534>, abgerufen am 19.05.2024.