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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die Opposition im französischen gesetzgebenden Körper.

Zu den charakteristischen Merkmalen des römischen wie des napoleonischen
Cäsarismus gehört eine auffallende Empfindlichkeit gegen jede Kritik der Grund-
sähe und Handlungen der Regierung. Jede ernste Discussion der öffentlichen
Angelegenheiten erscheint ihm als ein Symptom moralischer Anarchie; jeder
Tadel gilt für strafbar, weil er die Gefühle des Landes kränkt und die Majestät
des Volks beleidigt, das seinen Willen und seine Macht in der einen Person
des Herrschers concentrirt hat. Keine das Staatswohl betreffende Willens¬
äußerung ist diesem einen Willen gegenüber berechtigt; jedes Urtheil, mag es
von .der Presse, mag es von der Tribüne ausgehen, das mehr ist als ein
Widerhall der vom Thron ausgegebenen Losung, bedroht die Einheit der Staats¬
gewalt und den allein verantwortlichen Inhaber derselben; es kann und darf
als eine Auflehnung gegen das höchste Staatsprincip, gegen die dem Kaiser
übertragene und von ihm repräsentirte und ausgeübte Volkssouveränetät nicht
gedulde? werden.

Es ist leicht ersichtlich, daß diese Erscheinung mit ihren Consequenzen tief
im Wesen der napoleonischen Monarchie begründet ist. Die festbegründete
Monarchie hat die Kritik der Verwaltung nicht zu scheuen, sie steigt vielmehr,
wenn sie es dennoch thut, von ihrer Höhe herab auf den Standpunkt der
Parteien. Für die neue französische Monarchie ist aber, was anderswo einem
Verkennen der Bedeutung des Königthums gleich zu achten ist, so lange eine
Nothwendigkeit, als sie fürchten muß, daß jede Freiheit, die sie der Discussion
gestattet, jeden Augenblick zu einer Waffe in der Hand eines Prätendenten
werden kann. Versöhnung der Parteien ist eins der Schlagworte des Na¬
poleonismus. Aber die Versöhnung der Parteien vollzieht sich nicht in wenigen
Jahren; bis sie sich vollzogen hat, müssen sie um jeden Preis niedergehalten,
müssen sie zum Schweigen gezwungen werden, wozu es dann natürlich der
Anwendung eines Druckes bedarf, der seinerseits die Erbitterung der Parteien
wach erhält. Aber dieses chronische Mißvergnügen erscheint dem Regime minder


Grenzboten II. 1866. 31
Die Opposition im französischen gesetzgebenden Körper.

Zu den charakteristischen Merkmalen des römischen wie des napoleonischen
Cäsarismus gehört eine auffallende Empfindlichkeit gegen jede Kritik der Grund-
sähe und Handlungen der Regierung. Jede ernste Discussion der öffentlichen
Angelegenheiten erscheint ihm als ein Symptom moralischer Anarchie; jeder
Tadel gilt für strafbar, weil er die Gefühle des Landes kränkt und die Majestät
des Volks beleidigt, das seinen Willen und seine Macht in der einen Person
des Herrschers concentrirt hat. Keine das Staatswohl betreffende Willens¬
äußerung ist diesem einen Willen gegenüber berechtigt; jedes Urtheil, mag es
von .der Presse, mag es von der Tribüne ausgehen, das mehr ist als ein
Widerhall der vom Thron ausgegebenen Losung, bedroht die Einheit der Staats¬
gewalt und den allein verantwortlichen Inhaber derselben; es kann und darf
als eine Auflehnung gegen das höchste Staatsprincip, gegen die dem Kaiser
übertragene und von ihm repräsentirte und ausgeübte Volkssouveränetät nicht
gedulde? werden.

Es ist leicht ersichtlich, daß diese Erscheinung mit ihren Consequenzen tief
im Wesen der napoleonischen Monarchie begründet ist. Die festbegründete
Monarchie hat die Kritik der Verwaltung nicht zu scheuen, sie steigt vielmehr,
wenn sie es dennoch thut, von ihrer Höhe herab auf den Standpunkt der
Parteien. Für die neue französische Monarchie ist aber, was anderswo einem
Verkennen der Bedeutung des Königthums gleich zu achten ist, so lange eine
Nothwendigkeit, als sie fürchten muß, daß jede Freiheit, die sie der Discussion
gestattet, jeden Augenblick zu einer Waffe in der Hand eines Prätendenten
werden kann. Versöhnung der Parteien ist eins der Schlagworte des Na¬
poleonismus. Aber die Versöhnung der Parteien vollzieht sich nicht in wenigen
Jahren; bis sie sich vollzogen hat, müssen sie um jeden Preis niedergehalten,
müssen sie zum Schweigen gezwungen werden, wozu es dann natürlich der
Anwendung eines Druckes bedarf, der seinerseits die Erbitterung der Parteien
wach erhält. Aber dieses chronische Mißvergnügen erscheint dem Regime minder


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[0263] Die Opposition im französischen gesetzgebenden Körper. Zu den charakteristischen Merkmalen des römischen wie des napoleonischen Cäsarismus gehört eine auffallende Empfindlichkeit gegen jede Kritik der Grund- sähe und Handlungen der Regierung. Jede ernste Discussion der öffentlichen Angelegenheiten erscheint ihm als ein Symptom moralischer Anarchie; jeder Tadel gilt für strafbar, weil er die Gefühle des Landes kränkt und die Majestät des Volks beleidigt, das seinen Willen und seine Macht in der einen Person des Herrschers concentrirt hat. Keine das Staatswohl betreffende Willens¬ äußerung ist diesem einen Willen gegenüber berechtigt; jedes Urtheil, mag es von .der Presse, mag es von der Tribüne ausgehen, das mehr ist als ein Widerhall der vom Thron ausgegebenen Losung, bedroht die Einheit der Staats¬ gewalt und den allein verantwortlichen Inhaber derselben; es kann und darf als eine Auflehnung gegen das höchste Staatsprincip, gegen die dem Kaiser übertragene und von ihm repräsentirte und ausgeübte Volkssouveränetät nicht gedulde? werden. Es ist leicht ersichtlich, daß diese Erscheinung mit ihren Consequenzen tief im Wesen der napoleonischen Monarchie begründet ist. Die festbegründete Monarchie hat die Kritik der Verwaltung nicht zu scheuen, sie steigt vielmehr, wenn sie es dennoch thut, von ihrer Höhe herab auf den Standpunkt der Parteien. Für die neue französische Monarchie ist aber, was anderswo einem Verkennen der Bedeutung des Königthums gleich zu achten ist, so lange eine Nothwendigkeit, als sie fürchten muß, daß jede Freiheit, die sie der Discussion gestattet, jeden Augenblick zu einer Waffe in der Hand eines Prätendenten werden kann. Versöhnung der Parteien ist eins der Schlagworte des Na¬ poleonismus. Aber die Versöhnung der Parteien vollzieht sich nicht in wenigen Jahren; bis sie sich vollzogen hat, müssen sie um jeden Preis niedergehalten, müssen sie zum Schweigen gezwungen werden, wozu es dann natürlich der Anwendung eines Druckes bedarf, der seinerseits die Erbitterung der Parteien wach erhält. Aber dieses chronische Mißvergnügen erscheint dem Regime minder Grenzboten II. 1866. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/263>, abgerufen am 29.04.2024.