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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die Kriegsmacht Italiens.

Italiens staatliche Umgestaltung mit besondrer Rücksicht auf Süditalien. Eine poli¬
tische, sociale, kirchliche und militärische Studie. Von einem ehemaligen Artillcrie-
vWer. (Jsidor von Mattyus.) Pesth, Wien, Leipzig, A. Hartlebens Verlag. 1866.

Nicht weniger Umsicht und Thatkraft als die Ordnung der politischen
Verhältnisse erforderte, nachdem die Einheit Italiens durch die Waffen hergestellt
war, die Aufgabe der Negierung Victor Emanuels, ein den Ansprüchen der Zeit
genügendes nationales Heer zu schaffen, und wenn man die Schwierigkeiten
betrachtet, die hier zu überwinden waren,-und damit vergleicht, was in dieser
Hinsicht bis jetzt geleistet worden ist, so muß man sagen, daß in der That Be¬
deutendes geschaffen und mehr erreicht wurde, als man Anfangs, wenn man
nicht Sanguiniker war, erwarten durfte.

Jene Schwierigkeiten waren sehr groß, und sie wurden nicht kleiner da¬
durch, daß sie nothwendig in möglichst kurzer Zeit zu beseitigen waren. Galt
es hier zunächst, wie in den übrigen Zweigen des staatlichen Organismus, die
verschiedenen Stämme der Halbinsel rasch zu einem organischen Ganzen zu ver¬
schmelzen und zu bewirken, daß der Neapolitaner wie der Piemvntese, der
Lombarde wie der Sicilianer aufhöre, als Angehöriger einer besondern Provinz
zu empfinden, und nur als Italiener denke und handle, so ka'men dazu noch
andere schwere Aufgaben. Es galt vor allem, die seit einem Menschenalter und
länger geschürte Revolution, die allerdings mit ihrem Feuer eine werthvolle Kraft
war, aber andrerseits über das Erreichbare hinausstrcbte und mit ihrer Leiden¬
schaftlichkeit und ihrem phantastischen Idealismus alle Ordnung und Regel Ver¬
schmähte, zu bändigen und in strenge Zucht zu nehmen, wodurch allein Sicherung
des Gewonnenen erreicht und Weiteres bis zur Vollendung des Einheitswerkes
vorbereitet werden konnte. Ein Zweites war, aus den Mittel- und Süditalienern
wieder ein kriegerisches Volk zu machen. Das Material dazu war reichlich vor¬
handen, und Pepe hat nicht unrecht, wenn er in seinen Memoiren sagt, daß
die Anstelligkeit und das Ungestüm des Südens für ganz Italien von großer
Bedeutung sein wird, wenn sie erst die läuternde Schule der bürgerlichen und
militärischen Tugenden durchgemacht haben werden. Aber, wie dieses Material
der neuen italienischen Negierung zukam, war es aufs ärgste vernachlässigt, der
wahrhaft erbärmliche Untergang der neapolitanischen Armee im Kampfe mit
Garibaldis Freischaaren und der Tag von Castel Fidardo genügen als Beweise
dafür. Die erste Schwierigkeit bei der Bildung einer italienischen Armee war


Die Kriegsmacht Italiens.

Italiens staatliche Umgestaltung mit besondrer Rücksicht auf Süditalien. Eine poli¬
tische, sociale, kirchliche und militärische Studie. Von einem ehemaligen Artillcrie-
vWer. (Jsidor von Mattyus.) Pesth, Wien, Leipzig, A. Hartlebens Verlag. 1866.

Nicht weniger Umsicht und Thatkraft als die Ordnung der politischen
Verhältnisse erforderte, nachdem die Einheit Italiens durch die Waffen hergestellt
war, die Aufgabe der Negierung Victor Emanuels, ein den Ansprüchen der Zeit
genügendes nationales Heer zu schaffen, und wenn man die Schwierigkeiten
betrachtet, die hier zu überwinden waren,-und damit vergleicht, was in dieser
Hinsicht bis jetzt geleistet worden ist, so muß man sagen, daß in der That Be¬
deutendes geschaffen und mehr erreicht wurde, als man Anfangs, wenn man
nicht Sanguiniker war, erwarten durfte.

Jene Schwierigkeiten waren sehr groß, und sie wurden nicht kleiner da¬
durch, daß sie nothwendig in möglichst kurzer Zeit zu beseitigen waren. Galt
es hier zunächst, wie in den übrigen Zweigen des staatlichen Organismus, die
verschiedenen Stämme der Halbinsel rasch zu einem organischen Ganzen zu ver¬
schmelzen und zu bewirken, daß der Neapolitaner wie der Piemvntese, der
Lombarde wie der Sicilianer aufhöre, als Angehöriger einer besondern Provinz
zu empfinden, und nur als Italiener denke und handle, so ka'men dazu noch
andere schwere Aufgaben. Es galt vor allem, die seit einem Menschenalter und
länger geschürte Revolution, die allerdings mit ihrem Feuer eine werthvolle Kraft
war, aber andrerseits über das Erreichbare hinausstrcbte und mit ihrer Leiden¬
schaftlichkeit und ihrem phantastischen Idealismus alle Ordnung und Regel Ver¬
schmähte, zu bändigen und in strenge Zucht zu nehmen, wodurch allein Sicherung
des Gewonnenen erreicht und Weiteres bis zur Vollendung des Einheitswerkes
vorbereitet werden konnte. Ein Zweites war, aus den Mittel- und Süditalienern
wieder ein kriegerisches Volk zu machen. Das Material dazu war reichlich vor¬
handen, und Pepe hat nicht unrecht, wenn er in seinen Memoiren sagt, daß
die Anstelligkeit und das Ungestüm des Südens für ganz Italien von großer
Bedeutung sein wird, wenn sie erst die läuternde Schule der bürgerlichen und
militärischen Tugenden durchgemacht haben werden. Aber, wie dieses Material
der neuen italienischen Negierung zukam, war es aufs ärgste vernachlässigt, der
wahrhaft erbärmliche Untergang der neapolitanischen Armee im Kampfe mit
Garibaldis Freischaaren und der Tag von Castel Fidardo genügen als Beweise
dafür. Die erste Schwierigkeit bei der Bildung einer italienischen Armee war


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[0274] Die Kriegsmacht Italiens. Italiens staatliche Umgestaltung mit besondrer Rücksicht auf Süditalien. Eine poli¬ tische, sociale, kirchliche und militärische Studie. Von einem ehemaligen Artillcrie- vWer. (Jsidor von Mattyus.) Pesth, Wien, Leipzig, A. Hartlebens Verlag. 1866. Nicht weniger Umsicht und Thatkraft als die Ordnung der politischen Verhältnisse erforderte, nachdem die Einheit Italiens durch die Waffen hergestellt war, die Aufgabe der Negierung Victor Emanuels, ein den Ansprüchen der Zeit genügendes nationales Heer zu schaffen, und wenn man die Schwierigkeiten betrachtet, die hier zu überwinden waren,-und damit vergleicht, was in dieser Hinsicht bis jetzt geleistet worden ist, so muß man sagen, daß in der That Be¬ deutendes geschaffen und mehr erreicht wurde, als man Anfangs, wenn man nicht Sanguiniker war, erwarten durfte. Jene Schwierigkeiten waren sehr groß, und sie wurden nicht kleiner da¬ durch, daß sie nothwendig in möglichst kurzer Zeit zu beseitigen waren. Galt es hier zunächst, wie in den übrigen Zweigen des staatlichen Organismus, die verschiedenen Stämme der Halbinsel rasch zu einem organischen Ganzen zu ver¬ schmelzen und zu bewirken, daß der Neapolitaner wie der Piemvntese, der Lombarde wie der Sicilianer aufhöre, als Angehöriger einer besondern Provinz zu empfinden, und nur als Italiener denke und handle, so ka'men dazu noch andere schwere Aufgaben. Es galt vor allem, die seit einem Menschenalter und länger geschürte Revolution, die allerdings mit ihrem Feuer eine werthvolle Kraft war, aber andrerseits über das Erreichbare hinausstrcbte und mit ihrer Leiden¬ schaftlichkeit und ihrem phantastischen Idealismus alle Ordnung und Regel Ver¬ schmähte, zu bändigen und in strenge Zucht zu nehmen, wodurch allein Sicherung des Gewonnenen erreicht und Weiteres bis zur Vollendung des Einheitswerkes vorbereitet werden konnte. Ein Zweites war, aus den Mittel- und Süditalienern wieder ein kriegerisches Volk zu machen. Das Material dazu war reichlich vor¬ handen, und Pepe hat nicht unrecht, wenn er in seinen Memoiren sagt, daß die Anstelligkeit und das Ungestüm des Südens für ganz Italien von großer Bedeutung sein wird, wenn sie erst die läuternde Schule der bürgerlichen und militärischen Tugenden durchgemacht haben werden. Aber, wie dieses Material der neuen italienischen Negierung zukam, war es aufs ärgste vernachlässigt, der wahrhaft erbärmliche Untergang der neapolitanischen Armee im Kampfe mit Garibaldis Freischaaren und der Tag von Castel Fidardo genügen als Beweise dafür. Die erste Schwierigkeit bei der Bildung einer italienischen Armee war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/274>, abgerufen am 29.04.2024.