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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Partei oder Vaterland?

Unter diesem Titel und mit dem Zusatz: "Ein Wort an die norddeutschen
Liberalen" ist eine kleine Flugschrift erschienen (Frankfurt am Main. 1866),
welche gut und warmherzig geschrieben, die Liberalen Deutschlands mahnt, trotz
der Bedenken, die ihnen das gegenwärtige Regiment in Preußen nahe legt, in
der gegenwärtigen Krisis an Preußen zu halten, denn der Staat sei größer und
dauernder, als die Personen, welche grade sein Geschick lenken, die Frage sei
jetzt nicht, ob ein Ministerium der Opposition, sondern die große Frage sei
geworden: Preußen oder Oestreich, und das heiße im Grunde doch nur, ent¬
weder eine deutsche Zukunft, welche dem Wesen und Herzensbedürfniß des
deutschen Volkes entspricht, oder Unterwerfung unter ein fremdes Staatsprincip,
welches nicht deutsch ist. -- Das alles ist beredt und wahr an das Herz gelegt
und zumal von den Süddeutschen sehr zu beachten.

Aber der Verfasser greift auch die Taktik der preußischen Liberalen an, der
Presse wie des Abgeordnetenhauses, er macht dem preußischen Liberalismus,
d. h. der großen Majorität des preußischen Volkes, den schweren Vorwurf, daß
sie durch ihren Haß gegen das System verleitet worden sei, Opposition gegen
den Grafen Bismarck zu machen, wo eine Unterstützung desselben patriotisch
gewesen wäre, und den größern Vorwurf, daß sie durch falsche Taktik sowohl
in Wien als bei den feindlichen Mittelstaaten die Ansicht genährt habe, der
Moment sei günstig. Preußen zu demüthigen; die liberale Partei habe im letzten
Grunde die gegenwärtige Krisis verschuldet. Und dieser verkehrten Politik
wolle man jetzt dadurch die Krone aufsetzen, daß man in der Person des jetzigen
Ministerpräsidenten "die einzige Person beseitige, welche seit fünfzig Jahren
dem dynastischen Particularismus einen heilsamen Schrecken einzuflößen ver¬
standen hat". Die Zukunft werde die Führer unsrer liberalen nationalen Partei
vor ihren Richterstuhl laden u. f. w.

Es ist nicht ganz leicht, gegenüber solchen Borwürfen den Ernst zu be¬
wahren, den die Schwere des Vorwurfs und die Ereignisse der letzten Wochen


Srenzboten II. 18K6. 61
Partei oder Vaterland?

Unter diesem Titel und mit dem Zusatz: „Ein Wort an die norddeutschen
Liberalen" ist eine kleine Flugschrift erschienen (Frankfurt am Main. 1866),
welche gut und warmherzig geschrieben, die Liberalen Deutschlands mahnt, trotz
der Bedenken, die ihnen das gegenwärtige Regiment in Preußen nahe legt, in
der gegenwärtigen Krisis an Preußen zu halten, denn der Staat sei größer und
dauernder, als die Personen, welche grade sein Geschick lenken, die Frage sei
jetzt nicht, ob ein Ministerium der Opposition, sondern die große Frage sei
geworden: Preußen oder Oestreich, und das heiße im Grunde doch nur, ent¬
weder eine deutsche Zukunft, welche dem Wesen und Herzensbedürfniß des
deutschen Volkes entspricht, oder Unterwerfung unter ein fremdes Staatsprincip,
welches nicht deutsch ist. — Das alles ist beredt und wahr an das Herz gelegt
und zumal von den Süddeutschen sehr zu beachten.

Aber der Verfasser greift auch die Taktik der preußischen Liberalen an, der
Presse wie des Abgeordnetenhauses, er macht dem preußischen Liberalismus,
d. h. der großen Majorität des preußischen Volkes, den schweren Vorwurf, daß
sie durch ihren Haß gegen das System verleitet worden sei, Opposition gegen
den Grafen Bismarck zu machen, wo eine Unterstützung desselben patriotisch
gewesen wäre, und den größern Vorwurf, daß sie durch falsche Taktik sowohl
in Wien als bei den feindlichen Mittelstaaten die Ansicht genährt habe, der
Moment sei günstig. Preußen zu demüthigen; die liberale Partei habe im letzten
Grunde die gegenwärtige Krisis verschuldet. Und dieser verkehrten Politik
wolle man jetzt dadurch die Krone aufsetzen, daß man in der Person des jetzigen
Ministerpräsidenten „die einzige Person beseitige, welche seit fünfzig Jahren
dem dynastischen Particularismus einen heilsamen Schrecken einzuflößen ver¬
standen hat". Die Zukunft werde die Führer unsrer liberalen nationalen Partei
vor ihren Richterstuhl laden u. f. w.

Es ist nicht ganz leicht, gegenüber solchen Borwürfen den Ernst zu be¬
wahren, den die Schwere des Vorwurfs und die Ereignisse der letzten Wochen


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[0431] Partei oder Vaterland? Unter diesem Titel und mit dem Zusatz: „Ein Wort an die norddeutschen Liberalen" ist eine kleine Flugschrift erschienen (Frankfurt am Main. 1866), welche gut und warmherzig geschrieben, die Liberalen Deutschlands mahnt, trotz der Bedenken, die ihnen das gegenwärtige Regiment in Preußen nahe legt, in der gegenwärtigen Krisis an Preußen zu halten, denn der Staat sei größer und dauernder, als die Personen, welche grade sein Geschick lenken, die Frage sei jetzt nicht, ob ein Ministerium der Opposition, sondern die große Frage sei geworden: Preußen oder Oestreich, und das heiße im Grunde doch nur, ent¬ weder eine deutsche Zukunft, welche dem Wesen und Herzensbedürfniß des deutschen Volkes entspricht, oder Unterwerfung unter ein fremdes Staatsprincip, welches nicht deutsch ist. — Das alles ist beredt und wahr an das Herz gelegt und zumal von den Süddeutschen sehr zu beachten. Aber der Verfasser greift auch die Taktik der preußischen Liberalen an, der Presse wie des Abgeordnetenhauses, er macht dem preußischen Liberalismus, d. h. der großen Majorität des preußischen Volkes, den schweren Vorwurf, daß sie durch ihren Haß gegen das System verleitet worden sei, Opposition gegen den Grafen Bismarck zu machen, wo eine Unterstützung desselben patriotisch gewesen wäre, und den größern Vorwurf, daß sie durch falsche Taktik sowohl in Wien als bei den feindlichen Mittelstaaten die Ansicht genährt habe, der Moment sei günstig. Preußen zu demüthigen; die liberale Partei habe im letzten Grunde die gegenwärtige Krisis verschuldet. Und dieser verkehrten Politik wolle man jetzt dadurch die Krone aufsetzen, daß man in der Person des jetzigen Ministerpräsidenten „die einzige Person beseitige, welche seit fünfzig Jahren dem dynastischen Particularismus einen heilsamen Schrecken einzuflößen ver¬ standen hat". Die Zukunft werde die Führer unsrer liberalen nationalen Partei vor ihren Richterstuhl laden u. f. w. Es ist nicht ganz leicht, gegenüber solchen Borwürfen den Ernst zu be¬ wahren, den die Schwere des Vorwurfs und die Ereignisse der letzten Wochen Srenzboten II. 18K6. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/431>, abgerufen am 29.04.2024.