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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Grund der Korintherbriefe ein ausführliches Bild einer Erstlingsgemeinde ent¬
worfen, der Kampf gegen das Juden christenthum mit dramatischer Anschaulichkeit
entwickelt. Die kritische Grundlage der Schrift ist die der tübinger Schule.




Die christliche Kirche. Dargestellt von Heinrich Lang. (Besonderer
Abdruck aus dessen "Stunden der Andacht".) Winterthur, 1865.

Die einzelnen Abschnitte dieser Schrift sind: Der Stifter der christlichen
Kirche. Nach dem Tode Jesu. Christenthum und Zudcnthum. Christenthum
und Heidenthum. Ein Blick in die erste Literatur der Christen. Die Schriften
des Neuen Testaments. Die katholische Kirche. Die Auflösung der Kirche im
Protestantismus. Die Kirche in der modernen Welt. Die ersten Abschnitte
geben einen populären Abriß der Geschichte des Urchristenthums aus Grundlage
der kritischen Forschungen der leben Decennien. Die Darstellung ist zusammen¬
gedrängt, doch wird man nichts Wesentliches vermissen. Der Verfasser ist voll¬
kommen Herr seines Stoffes und weiß durch klare Anordnung auch verwickelte
Verhältnisse geschickt auseinanderzusetzen. In dem Abschnitt über die christliche
Literatur erhält der Leser sogar, so weit es nöthig ist, einen Einblick in die
kritischen Probleme, welche zu lösen waren, bevor man von einer Geschichte des
Urchristenthums reden konnte. In den späteren Abschnitten über Katholicismus
und Protestantismus geht die Erzählung in eine allgemeine Charakteristik dieser
Erscheinungen über. Auch hier weiß die geistvolle Darstellung zu fesseln, und
mit Interesse wird man namentlich den Nachweis lesen, wie die mittelalterliche
Kirche auf einer durchaus mythischen Grundlage ruht, die dann durch die pro¬
testantische Wissenschaft , die Naturkunde, Geschichte und Kritik allmälig unter¬
graben wurde. Die Schlußfolgerungen, die aus der geschichtlichen Entwicklung
gezogen werden, lauten für die Anhänger des herkömmlichen Kirchenthums wenig
erfreulich. Die Autonomie der Wissenschaft wie des Staats wird ohne Ein¬
schränkung anerkannt und die praktischen Forderungen darauf gebaut: vollständige
Gewissensfreiheit, keine Unterhaltung der Kirchen durch den Staat, keine bürger¬
liche Handlung abhängig von einer kirchlichen. Welche Stelle, diese Frage wird
zum Schluß aufgeworfen, bleibt dann der Kirche noch in der neuen Gesellschaft?
"Sie hat ihr Gebiet abgetreten an alle die Mächte des Lebens, die sich in ihre
Schätze getheilt haben; sie ist verschlungen vom Strudel des allezeit regen und
allseitig sich ausbreitenden Lebens der Gesellschaft. Die Wahrheit ist ihr aus
der Hand gerissen durch die Wissenschaft, die Darstellung der göttlichen Ideen
in schöner Form für die Erbauung und Erhebung des Gemüths hat die Kunst
übernommen, der Organismus des Guten, den sie einst neben diese im Argen


Grund der Korintherbriefe ein ausführliches Bild einer Erstlingsgemeinde ent¬
worfen, der Kampf gegen das Juden christenthum mit dramatischer Anschaulichkeit
entwickelt. Die kritische Grundlage der Schrift ist die der tübinger Schule.




Die christliche Kirche. Dargestellt von Heinrich Lang. (Besonderer
Abdruck aus dessen „Stunden der Andacht".) Winterthur, 1865.

Die einzelnen Abschnitte dieser Schrift sind: Der Stifter der christlichen
Kirche. Nach dem Tode Jesu. Christenthum und Zudcnthum. Christenthum
und Heidenthum. Ein Blick in die erste Literatur der Christen. Die Schriften
des Neuen Testaments. Die katholische Kirche. Die Auflösung der Kirche im
Protestantismus. Die Kirche in der modernen Welt. Die ersten Abschnitte
geben einen populären Abriß der Geschichte des Urchristenthums aus Grundlage
der kritischen Forschungen der leben Decennien. Die Darstellung ist zusammen¬
gedrängt, doch wird man nichts Wesentliches vermissen. Der Verfasser ist voll¬
kommen Herr seines Stoffes und weiß durch klare Anordnung auch verwickelte
Verhältnisse geschickt auseinanderzusetzen. In dem Abschnitt über die christliche
Literatur erhält der Leser sogar, so weit es nöthig ist, einen Einblick in die
kritischen Probleme, welche zu lösen waren, bevor man von einer Geschichte des
Urchristenthums reden konnte. In den späteren Abschnitten über Katholicismus
und Protestantismus geht die Erzählung in eine allgemeine Charakteristik dieser
Erscheinungen über. Auch hier weiß die geistvolle Darstellung zu fesseln, und
mit Interesse wird man namentlich den Nachweis lesen, wie die mittelalterliche
Kirche auf einer durchaus mythischen Grundlage ruht, die dann durch die pro¬
testantische Wissenschaft , die Naturkunde, Geschichte und Kritik allmälig unter¬
graben wurde. Die Schlußfolgerungen, die aus der geschichtlichen Entwicklung
gezogen werden, lauten für die Anhänger des herkömmlichen Kirchenthums wenig
erfreulich. Die Autonomie der Wissenschaft wie des Staats wird ohne Ein¬
schränkung anerkannt und die praktischen Forderungen darauf gebaut: vollständige
Gewissensfreiheit, keine Unterhaltung der Kirchen durch den Staat, keine bürger¬
liche Handlung abhängig von einer kirchlichen. Welche Stelle, diese Frage wird
zum Schluß aufgeworfen, bleibt dann der Kirche noch in der neuen Gesellschaft?
„Sie hat ihr Gebiet abgetreten an alle die Mächte des Lebens, die sich in ihre
Schätze getheilt haben; sie ist verschlungen vom Strudel des allezeit regen und
allseitig sich ausbreitenden Lebens der Gesellschaft. Die Wahrheit ist ihr aus
der Hand gerissen durch die Wissenschaft, die Darstellung der göttlichen Ideen
in schöner Form für die Erbauung und Erhebung des Gemüths hat die Kunst
übernommen, der Organismus des Guten, den sie einst neben diese im Argen


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[0046] Grund der Korintherbriefe ein ausführliches Bild einer Erstlingsgemeinde ent¬ worfen, der Kampf gegen das Juden christenthum mit dramatischer Anschaulichkeit entwickelt. Die kritische Grundlage der Schrift ist die der tübinger Schule. Die christliche Kirche. Dargestellt von Heinrich Lang. (Besonderer Abdruck aus dessen „Stunden der Andacht".) Winterthur, 1865. Die einzelnen Abschnitte dieser Schrift sind: Der Stifter der christlichen Kirche. Nach dem Tode Jesu. Christenthum und Zudcnthum. Christenthum und Heidenthum. Ein Blick in die erste Literatur der Christen. Die Schriften des Neuen Testaments. Die katholische Kirche. Die Auflösung der Kirche im Protestantismus. Die Kirche in der modernen Welt. Die ersten Abschnitte geben einen populären Abriß der Geschichte des Urchristenthums aus Grundlage der kritischen Forschungen der leben Decennien. Die Darstellung ist zusammen¬ gedrängt, doch wird man nichts Wesentliches vermissen. Der Verfasser ist voll¬ kommen Herr seines Stoffes und weiß durch klare Anordnung auch verwickelte Verhältnisse geschickt auseinanderzusetzen. In dem Abschnitt über die christliche Literatur erhält der Leser sogar, so weit es nöthig ist, einen Einblick in die kritischen Probleme, welche zu lösen waren, bevor man von einer Geschichte des Urchristenthums reden konnte. In den späteren Abschnitten über Katholicismus und Protestantismus geht die Erzählung in eine allgemeine Charakteristik dieser Erscheinungen über. Auch hier weiß die geistvolle Darstellung zu fesseln, und mit Interesse wird man namentlich den Nachweis lesen, wie die mittelalterliche Kirche auf einer durchaus mythischen Grundlage ruht, die dann durch die pro¬ testantische Wissenschaft , die Naturkunde, Geschichte und Kritik allmälig unter¬ graben wurde. Die Schlußfolgerungen, die aus der geschichtlichen Entwicklung gezogen werden, lauten für die Anhänger des herkömmlichen Kirchenthums wenig erfreulich. Die Autonomie der Wissenschaft wie des Staats wird ohne Ein¬ schränkung anerkannt und die praktischen Forderungen darauf gebaut: vollständige Gewissensfreiheit, keine Unterhaltung der Kirchen durch den Staat, keine bürger¬ liche Handlung abhängig von einer kirchlichen. Welche Stelle, diese Frage wird zum Schluß aufgeworfen, bleibt dann der Kirche noch in der neuen Gesellschaft? „Sie hat ihr Gebiet abgetreten an alle die Mächte des Lebens, die sich in ihre Schätze getheilt haben; sie ist verschlungen vom Strudel des allezeit regen und allseitig sich ausbreitenden Lebens der Gesellschaft. Die Wahrheit ist ihr aus der Hand gerissen durch die Wissenschaft, die Darstellung der göttlichen Ideen in schöner Form für die Erbauung und Erhebung des Gemüths hat die Kunst übernommen, der Organismus des Guten, den sie einst neben diese im Argen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/46>, abgerufen am 29.04.2024.