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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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hundert aus der letzten Hälfte des vorhergehenden übernahm und zu ganz be¬
sondrer Ausdehnung und Jntensivität entwickelte -- über die Rolle nämlich,
welche der sogenannte Pennalismus in dem Treiben der Studentenschaft spielte.
Darüber im folgenden Capitel, welches die Reihe dieser Aufsätze beschließen soll.




Die Politische Lage.

Die vergangene Woche wird wahrscheinlich in der Zukunft als die ent¬
scheidende Woche in der großen Streitfrage: ob Krieg, ob Frieden? betrachtet
werden; sie hat die diplomatische Stellung Preußens völlig geändert. Oestreich
hat Schlag auf Schlag drei diplomatische Fehler gemacht: die Verweisung der
Schleswig-hvlsteinschen Angelegenheit an den Bund, die Einberufung der hol-
steinschen Stände zum 11. Juni und die einer Weigerung gleichkommenden Vor¬
behalte gegenüber der Aufforderung zur Besendung des Congresses.

Das Scheitern des Congresses hat die neutralen Großmächte tief verstimmt;
das Hcreinziehn des Bundes in die Schleswig-holsteinsche Sache mit dem nicht
mehr versteckten Hintergedanken, den Bund zum Executionskrieg gegen Preußen
fortzureißen, hat die Mittelstaaten bedenklich gemacht, die Einberufung der hol¬
steinischen Stände ohne vorherige Verständigung mit Preußen, giebt Preußen
das Recht einen Friedensbruch zu constatiren und von einem nasus belli Ge¬
brauch zu machen. Man Hai in Wien wie 1859 in hochfahrenden Vorgehen
die Ruhe verloren, möge der gute Genius Preußens walten, daß man dort
jetzt nichts versehe, was die günstig werdende Lage alterire.

Als Oestreich die Bundesstaaten fast wie Vasallen für sein Interesse in
Anspruch nahm, überschätzte es die Abneigung gegen Preußen und die gute
Stimmung der Regierungen für sich selbst. Es stand zu hoffen, daß mehren
der Mittelstaaten in der letzten Stunde deutlich werden würde, daß sie jetzt
ganz ohne Noth ihre Existenz für Oestreich auf das Spiel setzen und durch ihre
Theilnahme a" einem Kriege, dessen Localisirung im allgemeinem Vortheil liegt,
nur Unglück über ihre Völker und das gemeinsame Vaterland herausführen, und
zwar in einem Kriege, bei dem sie selbst nichts gewinnen können.

Es freut uns, daß diese Auffassung zuerst bei der Majestät Sachsens die
herrschende geworden ist, und daß ein stilles Vertrauen, welches d. Bl. auf
Urtheil und Herz des erlauchten Herrn festhielt, gerechtfertigt ist. Noch sind die
näheren Umstände, welche diese günstige Entscheidung begleiteten. Geheimniß,
aber es sind nicht allein die Erklärungen der sächsischen Regierung vor ihren


hundert aus der letzten Hälfte des vorhergehenden übernahm und zu ganz be¬
sondrer Ausdehnung und Jntensivität entwickelte — über die Rolle nämlich,
welche der sogenannte Pennalismus in dem Treiben der Studentenschaft spielte.
Darüber im folgenden Capitel, welches die Reihe dieser Aufsätze beschließen soll.




Die Politische Lage.

Die vergangene Woche wird wahrscheinlich in der Zukunft als die ent¬
scheidende Woche in der großen Streitfrage: ob Krieg, ob Frieden? betrachtet
werden; sie hat die diplomatische Stellung Preußens völlig geändert. Oestreich
hat Schlag auf Schlag drei diplomatische Fehler gemacht: die Verweisung der
Schleswig-hvlsteinschen Angelegenheit an den Bund, die Einberufung der hol-
steinschen Stände zum 11. Juni und die einer Weigerung gleichkommenden Vor¬
behalte gegenüber der Aufforderung zur Besendung des Congresses.

Das Scheitern des Congresses hat die neutralen Großmächte tief verstimmt;
das Hcreinziehn des Bundes in die Schleswig-holsteinsche Sache mit dem nicht
mehr versteckten Hintergedanken, den Bund zum Executionskrieg gegen Preußen
fortzureißen, hat die Mittelstaaten bedenklich gemacht, die Einberufung der hol¬
steinischen Stände ohne vorherige Verständigung mit Preußen, giebt Preußen
das Recht einen Friedensbruch zu constatiren und von einem nasus belli Ge¬
brauch zu machen. Man Hai in Wien wie 1859 in hochfahrenden Vorgehen
die Ruhe verloren, möge der gute Genius Preußens walten, daß man dort
jetzt nichts versehe, was die günstig werdende Lage alterire.

Als Oestreich die Bundesstaaten fast wie Vasallen für sein Interesse in
Anspruch nahm, überschätzte es die Abneigung gegen Preußen und die gute
Stimmung der Regierungen für sich selbst. Es stand zu hoffen, daß mehren
der Mittelstaaten in der letzten Stunde deutlich werden würde, daß sie jetzt
ganz ohne Noth ihre Existenz für Oestreich auf das Spiel setzen und durch ihre
Theilnahme a» einem Kriege, dessen Localisirung im allgemeinem Vortheil liegt,
nur Unglück über ihre Völker und das gemeinsame Vaterland herausführen, und
zwar in einem Kriege, bei dem sie selbst nichts gewinnen können.

Es freut uns, daß diese Auffassung zuerst bei der Majestät Sachsens die
herrschende geworden ist, und daß ein stilles Vertrauen, welches d. Bl. auf
Urtheil und Herz des erlauchten Herrn festhielt, gerechtfertigt ist. Noch sind die
näheren Umstände, welche diese günstige Entscheidung begleiteten. Geheimniß,
aber es sind nicht allein die Erklärungen der sächsischen Regierung vor ihren


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[0469] hundert aus der letzten Hälfte des vorhergehenden übernahm und zu ganz be¬ sondrer Ausdehnung und Jntensivität entwickelte — über die Rolle nämlich, welche der sogenannte Pennalismus in dem Treiben der Studentenschaft spielte. Darüber im folgenden Capitel, welches die Reihe dieser Aufsätze beschließen soll. Die Politische Lage. Die vergangene Woche wird wahrscheinlich in der Zukunft als die ent¬ scheidende Woche in der großen Streitfrage: ob Krieg, ob Frieden? betrachtet werden; sie hat die diplomatische Stellung Preußens völlig geändert. Oestreich hat Schlag auf Schlag drei diplomatische Fehler gemacht: die Verweisung der Schleswig-hvlsteinschen Angelegenheit an den Bund, die Einberufung der hol- steinschen Stände zum 11. Juni und die einer Weigerung gleichkommenden Vor¬ behalte gegenüber der Aufforderung zur Besendung des Congresses. Das Scheitern des Congresses hat die neutralen Großmächte tief verstimmt; das Hcreinziehn des Bundes in die Schleswig-holsteinsche Sache mit dem nicht mehr versteckten Hintergedanken, den Bund zum Executionskrieg gegen Preußen fortzureißen, hat die Mittelstaaten bedenklich gemacht, die Einberufung der hol¬ steinischen Stände ohne vorherige Verständigung mit Preußen, giebt Preußen das Recht einen Friedensbruch zu constatiren und von einem nasus belli Ge¬ brauch zu machen. Man Hai in Wien wie 1859 in hochfahrenden Vorgehen die Ruhe verloren, möge der gute Genius Preußens walten, daß man dort jetzt nichts versehe, was die günstig werdende Lage alterire. Als Oestreich die Bundesstaaten fast wie Vasallen für sein Interesse in Anspruch nahm, überschätzte es die Abneigung gegen Preußen und die gute Stimmung der Regierungen für sich selbst. Es stand zu hoffen, daß mehren der Mittelstaaten in der letzten Stunde deutlich werden würde, daß sie jetzt ganz ohne Noth ihre Existenz für Oestreich auf das Spiel setzen und durch ihre Theilnahme a» einem Kriege, dessen Localisirung im allgemeinem Vortheil liegt, nur Unglück über ihre Völker und das gemeinsame Vaterland herausführen, und zwar in einem Kriege, bei dem sie selbst nichts gewinnen können. Es freut uns, daß diese Auffassung zuerst bei der Majestät Sachsens die herrschende geworden ist, und daß ein stilles Vertrauen, welches d. Bl. auf Urtheil und Herz des erlauchten Herrn festhielt, gerechtfertigt ist. Noch sind die näheren Umstände, welche diese günstige Entscheidung begleiteten. Geheimniß, aber es sind nicht allein die Erklärungen der sächsischen Regierung vor ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/469>, abgerufen am 29.04.2024.