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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Beginn der Rivalität Oestreichs und Piemonts um Italien.

Unter den ungünstigsten Umständen erschien Piemont vor den Schranken
des wiener Congresses. Oestreich beherrschte die Lage, und welches die Ge¬
sinnungen dieser Macht gegen Sardinien waren, hatte dieses während der napo¬
leonischen Zeit genugsam erfahren. Seit 1791 waren Oestreichs Absichten auf
den Gewinn der Provinzen des Hauses Savoyen gerichtet, im Jahr 1799 stand
Victor Emanuel auf dem Punkt, aller seiner festländischen Besitzungen von Oest¬
reich beraubt zu werden, und als bei den Verhandlungen, welche dem Frieden
Von Luneville vorangingen, französischerseitS der Vorschlag gemacht wurde, das
Haus Savoyen wieder auf den Thron zu setzen, erwiederte einer der östreichischen
Bevollmächtigten brüsk: Ist es denn überhaupt so nothwendig, daß ein König
von Sardinien existirt? Auch in der Zeit, da der Staat durch Napoleon ganz
ausgelöscht schien, hatten die piemontesischen Staatsmänner alle Ursache gehabt,
gegen die Gefahren, die ihnen zugleich bei jeder Wendung des Glücks von der
andern Seite drohten, auf der Hut zu sein. Frankreich war zur Zeit noch nicht
in der Lage einen Rückhalt zu gewähren, auch bekannten sich die Bourbonen
sofort wieder zu der alten Politik, keine wirkliche Unabhängigkeit Italiens zu¬
zulassen, sondern eine solche Territorialvertheilung zu begünstigen, welche dem
Einfluß mehrer Mächte, der traditionellen Rivalität zwischen Frankreich und
Oestreich am meisten Spielraum ließ. (Instruction Ludwig des Achtzehnter an
seine Gesandtschaft auf dem wiener Congreß.) England begünstigte Sardinien
so weit, daß es seine Verstärkung durch Ligurien als Entschädigung für den
Verlust Savoyens für nothwendig hielt, aber im Uebrigen kam Lord Castlereagh
allen Wünschen Oestreichs aufs gefälligste entgegen. Am günstigsten war Kaiser
Alexander gesinnt; Rußland vornehmlich war es zu danken, daß Oestreich auf
sein Project, das Novaresische zu erwerben, im pariser Vertrag vorläufig ver¬
zichten mußte. Aber die guten Vorsätze Alexanders waren bekanntlich nicht
dauerhaft, und in dem Maße, als Nesselrodes Einfluß stieg, welchen de Maistre
in einer Depesche vom October 1814 als Oestreicher von Gesinnung charak-
terisirte, der im italienischen Nationalgeist nur ein Hinderniß für die Ord¬
nung der Halbinsel erblickte, schwand auch dieser Anhalt für die piemontesische
Politik.

Unter diesen Umständen war das Programm, mit welchem Sardinien vor
den Verbündeten erschien, von vornherein aussichtslos. Gleichwohl ist eS heute
noch von Interesse, die Anstrengungen zu verfolgen, die eS im Jahre 1814 für
dasselbe gemacht hat.

Dieses Programm war am schärfsten formulirt und am eingehendsten ve"


Beginn der Rivalität Oestreichs und Piemonts um Italien.

Unter den ungünstigsten Umständen erschien Piemont vor den Schranken
des wiener Congresses. Oestreich beherrschte die Lage, und welches die Ge¬
sinnungen dieser Macht gegen Sardinien waren, hatte dieses während der napo¬
leonischen Zeit genugsam erfahren. Seit 1791 waren Oestreichs Absichten auf
den Gewinn der Provinzen des Hauses Savoyen gerichtet, im Jahr 1799 stand
Victor Emanuel auf dem Punkt, aller seiner festländischen Besitzungen von Oest¬
reich beraubt zu werden, und als bei den Verhandlungen, welche dem Frieden
Von Luneville vorangingen, französischerseitS der Vorschlag gemacht wurde, das
Haus Savoyen wieder auf den Thron zu setzen, erwiederte einer der östreichischen
Bevollmächtigten brüsk: Ist es denn überhaupt so nothwendig, daß ein König
von Sardinien existirt? Auch in der Zeit, da der Staat durch Napoleon ganz
ausgelöscht schien, hatten die piemontesischen Staatsmänner alle Ursache gehabt,
gegen die Gefahren, die ihnen zugleich bei jeder Wendung des Glücks von der
andern Seite drohten, auf der Hut zu sein. Frankreich war zur Zeit noch nicht
in der Lage einen Rückhalt zu gewähren, auch bekannten sich die Bourbonen
sofort wieder zu der alten Politik, keine wirkliche Unabhängigkeit Italiens zu¬
zulassen, sondern eine solche Territorialvertheilung zu begünstigen, welche dem
Einfluß mehrer Mächte, der traditionellen Rivalität zwischen Frankreich und
Oestreich am meisten Spielraum ließ. (Instruction Ludwig des Achtzehnter an
seine Gesandtschaft auf dem wiener Congreß.) England begünstigte Sardinien
so weit, daß es seine Verstärkung durch Ligurien als Entschädigung für den
Verlust Savoyens für nothwendig hielt, aber im Uebrigen kam Lord Castlereagh
allen Wünschen Oestreichs aufs gefälligste entgegen. Am günstigsten war Kaiser
Alexander gesinnt; Rußland vornehmlich war es zu danken, daß Oestreich auf
sein Project, das Novaresische zu erwerben, im pariser Vertrag vorläufig ver¬
zichten mußte. Aber die guten Vorsätze Alexanders waren bekanntlich nicht
dauerhaft, und in dem Maße, als Nesselrodes Einfluß stieg, welchen de Maistre
in einer Depesche vom October 1814 als Oestreicher von Gesinnung charak-
terisirte, der im italienischen Nationalgeist nur ein Hinderniß für die Ord¬
nung der Halbinsel erblickte, schwand auch dieser Anhalt für die piemontesische
Politik.

Unter diesen Umständen war das Programm, mit welchem Sardinien vor
den Verbündeten erschien, von vornherein aussichtslos. Gleichwohl ist eS heute
noch von Interesse, die Anstrengungen zu verfolgen, die eS im Jahre 1814 für
dasselbe gemacht hat.

Dieses Programm war am schärfsten formulirt und am eingehendsten ve«


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[0477] Beginn der Rivalität Oestreichs und Piemonts um Italien. Unter den ungünstigsten Umständen erschien Piemont vor den Schranken des wiener Congresses. Oestreich beherrschte die Lage, und welches die Ge¬ sinnungen dieser Macht gegen Sardinien waren, hatte dieses während der napo¬ leonischen Zeit genugsam erfahren. Seit 1791 waren Oestreichs Absichten auf den Gewinn der Provinzen des Hauses Savoyen gerichtet, im Jahr 1799 stand Victor Emanuel auf dem Punkt, aller seiner festländischen Besitzungen von Oest¬ reich beraubt zu werden, und als bei den Verhandlungen, welche dem Frieden Von Luneville vorangingen, französischerseitS der Vorschlag gemacht wurde, das Haus Savoyen wieder auf den Thron zu setzen, erwiederte einer der östreichischen Bevollmächtigten brüsk: Ist es denn überhaupt so nothwendig, daß ein König von Sardinien existirt? Auch in der Zeit, da der Staat durch Napoleon ganz ausgelöscht schien, hatten die piemontesischen Staatsmänner alle Ursache gehabt, gegen die Gefahren, die ihnen zugleich bei jeder Wendung des Glücks von der andern Seite drohten, auf der Hut zu sein. Frankreich war zur Zeit noch nicht in der Lage einen Rückhalt zu gewähren, auch bekannten sich die Bourbonen sofort wieder zu der alten Politik, keine wirkliche Unabhängigkeit Italiens zu¬ zulassen, sondern eine solche Territorialvertheilung zu begünstigen, welche dem Einfluß mehrer Mächte, der traditionellen Rivalität zwischen Frankreich und Oestreich am meisten Spielraum ließ. (Instruction Ludwig des Achtzehnter an seine Gesandtschaft auf dem wiener Congreß.) England begünstigte Sardinien so weit, daß es seine Verstärkung durch Ligurien als Entschädigung für den Verlust Savoyens für nothwendig hielt, aber im Uebrigen kam Lord Castlereagh allen Wünschen Oestreichs aufs gefälligste entgegen. Am günstigsten war Kaiser Alexander gesinnt; Rußland vornehmlich war es zu danken, daß Oestreich auf sein Project, das Novaresische zu erwerben, im pariser Vertrag vorläufig ver¬ zichten mußte. Aber die guten Vorsätze Alexanders waren bekanntlich nicht dauerhaft, und in dem Maße, als Nesselrodes Einfluß stieg, welchen de Maistre in einer Depesche vom October 1814 als Oestreicher von Gesinnung charak- terisirte, der im italienischen Nationalgeist nur ein Hinderniß für die Ord¬ nung der Halbinsel erblickte, schwand auch dieser Anhalt für die piemontesische Politik. Unter diesen Umständen war das Programm, mit welchem Sardinien vor den Verbündeten erschien, von vornherein aussichtslos. Gleichwohl ist eS heute noch von Interesse, die Anstrengungen zu verfolgen, die eS im Jahre 1814 für dasselbe gemacht hat. Dieses Programm war am schärfsten formulirt und am eingehendsten ve«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/477>, abgerufen am 29.04.2024.