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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die Politische Stimmung in Schwaben.

Die jüngsten Erlebnisse waren angethan zu interessanten Beobachtungen
über die Wandelbarkeit der Stimmungen im Volk, über die unerbittliche Zer-
reibung der Phrase an den Thatsachen, über die Mythenbildung, über die Moral
und Wahrheitsliebe gewisser Parteien. Vielleicht wäre in unsrer Landschaft zu
solchen Studien nicht nur reichliche Gelegenheit, auch am meisten Muße ge¬
wesen. Von Anfang durfte man gewiß sein, daß das Kriegstheater nur unter
höchst abnormen Verhältnissen sich an die Rebengelände des Neckars verirren
werde. Wir befanden uns vor dem Ausbruch des Kriegs beinahe in jener be¬
haglichen Stimmung, wie sie beim Herannahen eines Gewitters ein schützendes
Obdach, bei einem Straßentumult das Bewußtsein angenehmer Entfernung er¬
weckt. Blieben wir auch von den Störungen des Verkehrs und des Gcschäfts-
lebens nicht verschont, waren in einem Lande, das sich im Besitz so vielen vom
östreichischen Staat bedruckten Papiers weiß, Beängstigung und Verluste em¬
pfindlich genug,*) so war man doch sicher, daß unsre Fluren nicht von feind¬
lichen Heeren zerstampft, keine Dörfer eingeäschert, den Städten nicht drückende
Requisitionen auferlegt würden. Nur eine kriegerische Unternehmung fiel in
den Bereich unsrer Marken: die Eroberung von Hohenzollern und diese erschien
mit Recht als ein harmloser Spaziergang, der denn auch ohne alle Fährlichkeit
zur großen Selbstbefriedigung des schwäbischen Volks und mit reichlichem Auf¬
wand von schwarzrothgoldenen Fahnen in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni
ausgeführt wurde, aber freilich kein anderes Resultat hatte als eine gründliche
Enttäuschung durch die einmüthige Stimmung in den hohenzollernschen Landen.

Ohne Zweifel ist manches Unerfreuliche, was in diesen Wochen in Schwaben
vorging, auf Rechnung dieses behaglichen Gefühls einer gedeckten Lage zu schreiben.
Schwerlich hätte sonst die Phrase hier hartnäckiger als anderswo das Feld be¬
hauptet. Schwerlich hätte man sich in eine solche Täuschung über das Ver¬
hältniß der Kräfte festgerannt und so ungestüm zum Kriege gedrängt. Wenn
je ein Fähnlein fremder Contingente den Weg durch unsre ruhige Stadt nahm,
wie jene ezechischen Brüder, als sie Rastatt verließen, oder die Sachsen-Weimaraner
und Lippe-Schaumburg-Bückeburger, die theils nach Rastatt theils nach Ulm
gingen, waren sie nur Gegenstand gaffender Neugierde, und kaum erinnerte



') Auch in der Staatskasse sind die Ausfälle empfindlich. Sie betragen gegenwärtig
monatlich Million. Der Ertrag der Eisenbahnen ist allein um 2--300,000 Fi, monatlich
zurückgegangen, so daß sie kaum noch die Betriebskosten decken.
Die Politische Stimmung in Schwaben.

Die jüngsten Erlebnisse waren angethan zu interessanten Beobachtungen
über die Wandelbarkeit der Stimmungen im Volk, über die unerbittliche Zer-
reibung der Phrase an den Thatsachen, über die Mythenbildung, über die Moral
und Wahrheitsliebe gewisser Parteien. Vielleicht wäre in unsrer Landschaft zu
solchen Studien nicht nur reichliche Gelegenheit, auch am meisten Muße ge¬
wesen. Von Anfang durfte man gewiß sein, daß das Kriegstheater nur unter
höchst abnormen Verhältnissen sich an die Rebengelände des Neckars verirren
werde. Wir befanden uns vor dem Ausbruch des Kriegs beinahe in jener be¬
haglichen Stimmung, wie sie beim Herannahen eines Gewitters ein schützendes
Obdach, bei einem Straßentumult das Bewußtsein angenehmer Entfernung er¬
weckt. Blieben wir auch von den Störungen des Verkehrs und des Gcschäfts-
lebens nicht verschont, waren in einem Lande, das sich im Besitz so vielen vom
östreichischen Staat bedruckten Papiers weiß, Beängstigung und Verluste em¬
pfindlich genug,*) so war man doch sicher, daß unsre Fluren nicht von feind¬
lichen Heeren zerstampft, keine Dörfer eingeäschert, den Städten nicht drückende
Requisitionen auferlegt würden. Nur eine kriegerische Unternehmung fiel in
den Bereich unsrer Marken: die Eroberung von Hohenzollern und diese erschien
mit Recht als ein harmloser Spaziergang, der denn auch ohne alle Fährlichkeit
zur großen Selbstbefriedigung des schwäbischen Volks und mit reichlichem Auf¬
wand von schwarzrothgoldenen Fahnen in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni
ausgeführt wurde, aber freilich kein anderes Resultat hatte als eine gründliche
Enttäuschung durch die einmüthige Stimmung in den hohenzollernschen Landen.

Ohne Zweifel ist manches Unerfreuliche, was in diesen Wochen in Schwaben
vorging, auf Rechnung dieses behaglichen Gefühls einer gedeckten Lage zu schreiben.
Schwerlich hätte sonst die Phrase hier hartnäckiger als anderswo das Feld be¬
hauptet. Schwerlich hätte man sich in eine solche Täuschung über das Ver¬
hältniß der Kräfte festgerannt und so ungestüm zum Kriege gedrängt. Wenn
je ein Fähnlein fremder Contingente den Weg durch unsre ruhige Stadt nahm,
wie jene ezechischen Brüder, als sie Rastatt verließen, oder die Sachsen-Weimaraner
und Lippe-Schaumburg-Bückeburger, die theils nach Rastatt theils nach Ulm
gingen, waren sie nur Gegenstand gaffender Neugierde, und kaum erinnerte



') Auch in der Staatskasse sind die Ausfälle empfindlich. Sie betragen gegenwärtig
monatlich Million. Der Ertrag der Eisenbahnen ist allein um 2—300,000 Fi, monatlich
zurückgegangen, so daß sie kaum noch die Betriebskosten decken.
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[0165] Die Politische Stimmung in Schwaben. Die jüngsten Erlebnisse waren angethan zu interessanten Beobachtungen über die Wandelbarkeit der Stimmungen im Volk, über die unerbittliche Zer- reibung der Phrase an den Thatsachen, über die Mythenbildung, über die Moral und Wahrheitsliebe gewisser Parteien. Vielleicht wäre in unsrer Landschaft zu solchen Studien nicht nur reichliche Gelegenheit, auch am meisten Muße ge¬ wesen. Von Anfang durfte man gewiß sein, daß das Kriegstheater nur unter höchst abnormen Verhältnissen sich an die Rebengelände des Neckars verirren werde. Wir befanden uns vor dem Ausbruch des Kriegs beinahe in jener be¬ haglichen Stimmung, wie sie beim Herannahen eines Gewitters ein schützendes Obdach, bei einem Straßentumult das Bewußtsein angenehmer Entfernung er¬ weckt. Blieben wir auch von den Störungen des Verkehrs und des Gcschäfts- lebens nicht verschont, waren in einem Lande, das sich im Besitz so vielen vom östreichischen Staat bedruckten Papiers weiß, Beängstigung und Verluste em¬ pfindlich genug,*) so war man doch sicher, daß unsre Fluren nicht von feind¬ lichen Heeren zerstampft, keine Dörfer eingeäschert, den Städten nicht drückende Requisitionen auferlegt würden. Nur eine kriegerische Unternehmung fiel in den Bereich unsrer Marken: die Eroberung von Hohenzollern und diese erschien mit Recht als ein harmloser Spaziergang, der denn auch ohne alle Fährlichkeit zur großen Selbstbefriedigung des schwäbischen Volks und mit reichlichem Auf¬ wand von schwarzrothgoldenen Fahnen in der Nacht vom 25. auf den 26. Juni ausgeführt wurde, aber freilich kein anderes Resultat hatte als eine gründliche Enttäuschung durch die einmüthige Stimmung in den hohenzollernschen Landen. Ohne Zweifel ist manches Unerfreuliche, was in diesen Wochen in Schwaben vorging, auf Rechnung dieses behaglichen Gefühls einer gedeckten Lage zu schreiben. Schwerlich hätte sonst die Phrase hier hartnäckiger als anderswo das Feld be¬ hauptet. Schwerlich hätte man sich in eine solche Täuschung über das Ver¬ hältniß der Kräfte festgerannt und so ungestüm zum Kriege gedrängt. Wenn je ein Fähnlein fremder Contingente den Weg durch unsre ruhige Stadt nahm, wie jene ezechischen Brüder, als sie Rastatt verließen, oder die Sachsen-Weimaraner und Lippe-Schaumburg-Bückeburger, die theils nach Rastatt theils nach Ulm gingen, waren sie nur Gegenstand gaffender Neugierde, und kaum erinnerte ') Auch in der Staatskasse sind die Ausfälle empfindlich. Sie betragen gegenwärtig monatlich Million. Der Ertrag der Eisenbahnen ist allein um 2—300,000 Fi, monatlich zurückgegangen, so daß sie kaum noch die Betriebskosten decken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/165>, abgerufen am 04.05.2024.