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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Ein Sittenroman des dreizehnten Jahrhunderts.

Noch ist es so lange nicht her, daß das Studium der provenzalischen Lite¬
ratur und Sprache mit einigem Erfolg betrieben wird. Nachdem die wenigen
Versuche des sechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts theils zu keinem
auch nur vorläufigen Abschlüsse geführt hatten, theils unbeachtet geblieben waren,
gelang es im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zuerst der rastlosen
Thätigkeit Naynouards, jenem Studium zur Anerkennung seiner Bedeutung
innerhalb der modernen Wissenschaft zu verhelfen und durch Veröffentlichung
von Quellen und Hilfsmitteln zu deren Verständniß Andere zur Weiterführung
des von ihm Begonnenen zu veranlassen, wenn auch ihre Zahl in Frankreich
immer noch eine verhältnißmäßig geringe geblieben ist. August Wilhelm von
Schlegels Buch führte Naynouards erstes Werk schon zwei Jahre nach dem
Erscheinen des ersten Bandes in Deutschland ein, wo schon im folgenden Jahr¬
zehnt- Friedrich Diez seine zwei die Dichtung und das Leben der Trobadors
behandelnden Werke herausgab und kurz darauf die provenzalische Sprache im
Zusammenhange mit ihren Schwestern so sorgfältig und mit so eindringendem
Verständnisse ihres Baues darstellte, wie es einzig nach seinen umfassenden
Forschungen auf den Gebieten näher und serner verwandter Sprachen und
Mundarten, einzig bei der Unbefangenheit seines durch keine vorgefaßte Mei¬
nung beirrten Urtheils möglich war. Wenige, aber eifrige Forscher haben seit¬
her in Deutschland, vorzugsweise durch Herausgabe von Denkmälern, zur För¬
derung der Kunde Von provenzalischer Literatur und Sprache mitgewirkt; ja
man hat durch metrische Uebersetzungen auch weiteren Kreisen die südfranzösische
Dichtung des Mittelalters nahe zu bringen versucht (Kannegießer, Geibel, Heyse
haben die von Diez gegebenen mustergiltigen Übertragungen um manche schöne
Leistung vermehrt) und in zerstreuten Aufsätzen verschiedener Art jenen Sänger¬
stand behandelt, von welchem man sich denn doch leicht falsche Vorstellungen
machen könnte, wenn man sich denselben aus lauter solchen Leuten bestehend
dächte, wie Uhland in seinem Rudel und Bertram von ^ om sie darstellt. Bei¬
nahe- ausschließlich sind die zuletzt angeführten Arbeiten dem provenzalischen
Minnesang gewidmet, während die erzählenden Dichtungen daneben sehr zurück¬
treten; und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß diese "Bevorzugung sich
leicht rechtfertigt. Ward doch schon unter dem Publikum, an welches alle pro-
venzalische Dichtung sich wandte, die Lyrik weit höher geschätzt, so zwar, daß /
z. B. der Trobador diesen Namen nur trug insofern er Lyriker war, daß die
zeitgenössischen Nachrichten vom Leben der provenzalischen Dichter nur der


Ein Sittenroman des dreizehnten Jahrhunderts.

Noch ist es so lange nicht her, daß das Studium der provenzalischen Lite¬
ratur und Sprache mit einigem Erfolg betrieben wird. Nachdem die wenigen
Versuche des sechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts theils zu keinem
auch nur vorläufigen Abschlüsse geführt hatten, theils unbeachtet geblieben waren,
gelang es im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zuerst der rastlosen
Thätigkeit Naynouards, jenem Studium zur Anerkennung seiner Bedeutung
innerhalb der modernen Wissenschaft zu verhelfen und durch Veröffentlichung
von Quellen und Hilfsmitteln zu deren Verständniß Andere zur Weiterführung
des von ihm Begonnenen zu veranlassen, wenn auch ihre Zahl in Frankreich
immer noch eine verhältnißmäßig geringe geblieben ist. August Wilhelm von
Schlegels Buch führte Naynouards erstes Werk schon zwei Jahre nach dem
Erscheinen des ersten Bandes in Deutschland ein, wo schon im folgenden Jahr¬
zehnt- Friedrich Diez seine zwei die Dichtung und das Leben der Trobadors
behandelnden Werke herausgab und kurz darauf die provenzalische Sprache im
Zusammenhange mit ihren Schwestern so sorgfältig und mit so eindringendem
Verständnisse ihres Baues darstellte, wie es einzig nach seinen umfassenden
Forschungen auf den Gebieten näher und serner verwandter Sprachen und
Mundarten, einzig bei der Unbefangenheit seines durch keine vorgefaßte Mei¬
nung beirrten Urtheils möglich war. Wenige, aber eifrige Forscher haben seit¬
her in Deutschland, vorzugsweise durch Herausgabe von Denkmälern, zur För¬
derung der Kunde Von provenzalischer Literatur und Sprache mitgewirkt; ja
man hat durch metrische Uebersetzungen auch weiteren Kreisen die südfranzösische
Dichtung des Mittelalters nahe zu bringen versucht (Kannegießer, Geibel, Heyse
haben die von Diez gegebenen mustergiltigen Übertragungen um manche schöne
Leistung vermehrt) und in zerstreuten Aufsätzen verschiedener Art jenen Sänger¬
stand behandelt, von welchem man sich denn doch leicht falsche Vorstellungen
machen könnte, wenn man sich denselben aus lauter solchen Leuten bestehend
dächte, wie Uhland in seinem Rudel und Bertram von ^ om sie darstellt. Bei¬
nahe- ausschließlich sind die zuletzt angeführten Arbeiten dem provenzalischen
Minnesang gewidmet, während die erzählenden Dichtungen daneben sehr zurück¬
treten; und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß diese «Bevorzugung sich
leicht rechtfertigt. Ward doch schon unter dem Publikum, an welches alle pro-
venzalische Dichtung sich wandte, die Lyrik weit höher geschätzt, so zwar, daß /
z. B. der Trobador diesen Namen nur trug insofern er Lyriker war, daß die
zeitgenössischen Nachrichten vom Leben der provenzalischen Dichter nur der


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[0270] Ein Sittenroman des dreizehnten Jahrhunderts. Noch ist es so lange nicht her, daß das Studium der provenzalischen Lite¬ ratur und Sprache mit einigem Erfolg betrieben wird. Nachdem die wenigen Versuche des sechzehnten und des achtzehnten Jahrhunderts theils zu keinem auch nur vorläufigen Abschlüsse geführt hatten, theils unbeachtet geblieben waren, gelang es im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts zuerst der rastlosen Thätigkeit Naynouards, jenem Studium zur Anerkennung seiner Bedeutung innerhalb der modernen Wissenschaft zu verhelfen und durch Veröffentlichung von Quellen und Hilfsmitteln zu deren Verständniß Andere zur Weiterführung des von ihm Begonnenen zu veranlassen, wenn auch ihre Zahl in Frankreich immer noch eine verhältnißmäßig geringe geblieben ist. August Wilhelm von Schlegels Buch führte Naynouards erstes Werk schon zwei Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes in Deutschland ein, wo schon im folgenden Jahr¬ zehnt- Friedrich Diez seine zwei die Dichtung und das Leben der Trobadors behandelnden Werke herausgab und kurz darauf die provenzalische Sprache im Zusammenhange mit ihren Schwestern so sorgfältig und mit so eindringendem Verständnisse ihres Baues darstellte, wie es einzig nach seinen umfassenden Forschungen auf den Gebieten näher und serner verwandter Sprachen und Mundarten, einzig bei der Unbefangenheit seines durch keine vorgefaßte Mei¬ nung beirrten Urtheils möglich war. Wenige, aber eifrige Forscher haben seit¬ her in Deutschland, vorzugsweise durch Herausgabe von Denkmälern, zur För¬ derung der Kunde Von provenzalischer Literatur und Sprache mitgewirkt; ja man hat durch metrische Uebersetzungen auch weiteren Kreisen die südfranzösische Dichtung des Mittelalters nahe zu bringen versucht (Kannegießer, Geibel, Heyse haben die von Diez gegebenen mustergiltigen Übertragungen um manche schöne Leistung vermehrt) und in zerstreuten Aufsätzen verschiedener Art jenen Sänger¬ stand behandelt, von welchem man sich denn doch leicht falsche Vorstellungen machen könnte, wenn man sich denselben aus lauter solchen Leuten bestehend dächte, wie Uhland in seinem Rudel und Bertram von ^ om sie darstellt. Bei¬ nahe- ausschließlich sind die zuletzt angeführten Arbeiten dem provenzalischen Minnesang gewidmet, während die erzählenden Dichtungen daneben sehr zurück¬ treten; und es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß diese «Bevorzugung sich leicht rechtfertigt. Ward doch schon unter dem Publikum, an welches alle pro- venzalische Dichtung sich wandte, die Lyrik weit höher geschätzt, so zwar, daß / z. B. der Trobador diesen Namen nur trug insofern er Lyriker war, daß die zeitgenössischen Nachrichten vom Leben der provenzalischen Dichter nur der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/270>, abgerufen am 05.05.2024.