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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hat, oder der Schwank von der Bestrafung des Eifersüchtigen von demselben
Raimon Vidal, das Mährchen vom Papagei und das Minnegericht, welches
letztere übrigens doch auch die Erzählung eines höchst dürftigen Vorganges bei¬
nahe nur als Stütze braucht, die ein Gefüge von Untersuchungen über Liebes-
rccht und von Citaten aus vielen Trobadoren zu tragen bestimmt ist.

Bei der Feststellung des ästhetischen Werthes, welchen Flammea haben
mag, gedenken wir uns nicht lange aufzuhalten; die oben gegebene Uebersicht
über den Inhalt würde auch nicht genügen, den Leser zu einem Urtheil über
unser Urtheil zu befähigen; denn das Gedicht ist durchaus nicht etwa blos eine
in Verse gebrachte Darstellung der dort zusammengestellten Begebenheiten, und
nicht die Erfindung derselben ist das, worauf der Verfasser ohne Zweifel das
meiste Gewicht legte, wodurch er dichterischen Ruhm zu erlangen und seine Leser
zu ergötzen gedachte. Was in seinen eigenen Augen seinem Werke Werth ver¬
lieh, das ist die breite Ausführung des Einzelnen, die Schilderung der Leiden¬
schaften in ihren sichtbaren Wirkungen oder noch lieber in den umfangreichen
Selbstgesprächen der von ihnen Ergriffenen, das Eingehen aus alle Umstände
der Begebenheiten, auf die Details der glänzenden Feste, der Turniere und
der Gastmähler, auf die Bestandtheile des Anzuges der Hauptpersonen, das ist
ferner die breite Vollständigkeit in der Wiedergabe der Formen des geselligen
Verkehres, der bei Begegnung und Abschied üblichen Reden und ähnlicher
Dinge, und endlich noch die Entfaltung einer vielseitigen Gelehrsamkeit,
welche sich bald in Hinweisungen aus Schriften des Alterthums, bald in Auf¬
zählung von Dichterwerken der neuern Zeit, bald in etymologischen Tifte-
leien kundgiebt. Und in der That eine reiche Bildung, sowohl höfische eilf
literarische, im Sinne seiner Zeit läßt sich dem Dichter der Flammea nicht ab¬
sprechen. Was in ritterlicher Gesellschaft der gute Ton erfordert, ist ihm nicht
minder geläufig als die ganze Summe der Gedanken, in welchen sich seine
Collegen vom lyrischen Fache bewegen. Auch ihm erscheint Minne als eine
Lehnsherrin, die von jedem Menschenkinde einen Tribut zu fordern habe und
die Verweigerung desselben ohne Nachsicht ahnde; in Tüchtigkeit steht er eine
sammt ihrem Gefolge durch Schlechtigkeit des Landes verwiesene Fürstin; Klein¬
lichkeit und Habgier besprechen sich an einer Stelle mit einander, so gut wie
anderswo die Augen des Helden mit seinen Ohren, sein Mund mit seinem
Herzen; ja der Thurm, det Wilhelms Geliebte umfängt, wird an "wer Stelle
von dem schmachtenden angeredet: "Herr Thurm, schön seid ihr auswendig;
doch müßt ihr wohl von innen reiner und lichter sein."

Unser Dichter bewegt sich gern in Spitzfindigkeiten, wie sie sense bei Er-
zählertt selten vorzukommen pflegen; zwar daß er die in der Ecke der Kirche ihrer
Andacht hingegebene Flammea eine Sonne nennt, rechnen wir noch nicht da¬
hin; wenn er aber sagt, die wirkliche Sonne yabe zu jener betenden Sonne


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hat, oder der Schwank von der Bestrafung des Eifersüchtigen von demselben
Raimon Vidal, das Mährchen vom Papagei und das Minnegericht, welches
letztere übrigens doch auch die Erzählung eines höchst dürftigen Vorganges bei¬
nahe nur als Stütze braucht, die ein Gefüge von Untersuchungen über Liebes-
rccht und von Citaten aus vielen Trobadoren zu tragen bestimmt ist.

Bei der Feststellung des ästhetischen Werthes, welchen Flammea haben
mag, gedenken wir uns nicht lange aufzuhalten; die oben gegebene Uebersicht
über den Inhalt würde auch nicht genügen, den Leser zu einem Urtheil über
unser Urtheil zu befähigen; denn das Gedicht ist durchaus nicht etwa blos eine
in Verse gebrachte Darstellung der dort zusammengestellten Begebenheiten, und
nicht die Erfindung derselben ist das, worauf der Verfasser ohne Zweifel das
meiste Gewicht legte, wodurch er dichterischen Ruhm zu erlangen und seine Leser
zu ergötzen gedachte. Was in seinen eigenen Augen seinem Werke Werth ver¬
lieh, das ist die breite Ausführung des Einzelnen, die Schilderung der Leiden¬
schaften in ihren sichtbaren Wirkungen oder noch lieber in den umfangreichen
Selbstgesprächen der von ihnen Ergriffenen, das Eingehen aus alle Umstände
der Begebenheiten, auf die Details der glänzenden Feste, der Turniere und
der Gastmähler, auf die Bestandtheile des Anzuges der Hauptpersonen, das ist
ferner die breite Vollständigkeit in der Wiedergabe der Formen des geselligen
Verkehres, der bei Begegnung und Abschied üblichen Reden und ähnlicher
Dinge, und endlich noch die Entfaltung einer vielseitigen Gelehrsamkeit,
welche sich bald in Hinweisungen aus Schriften des Alterthums, bald in Auf¬
zählung von Dichterwerken der neuern Zeit, bald in etymologischen Tifte-
leien kundgiebt. Und in der That eine reiche Bildung, sowohl höfische eilf
literarische, im Sinne seiner Zeit läßt sich dem Dichter der Flammea nicht ab¬
sprechen. Was in ritterlicher Gesellschaft der gute Ton erfordert, ist ihm nicht
minder geläufig als die ganze Summe der Gedanken, in welchen sich seine
Collegen vom lyrischen Fache bewegen. Auch ihm erscheint Minne als eine
Lehnsherrin, die von jedem Menschenkinde einen Tribut zu fordern habe und
die Verweigerung desselben ohne Nachsicht ahnde; in Tüchtigkeit steht er eine
sammt ihrem Gefolge durch Schlechtigkeit des Landes verwiesene Fürstin; Klein¬
lichkeit und Habgier besprechen sich an einer Stelle mit einander, so gut wie
anderswo die Augen des Helden mit seinen Ohren, sein Mund mit seinem
Herzen; ja der Thurm, det Wilhelms Geliebte umfängt, wird an «wer Stelle
von dem schmachtenden angeredet: „Herr Thurm, schön seid ihr auswendig;
doch müßt ihr wohl von innen reiner und lichter sein."

Unser Dichter bewegt sich gern in Spitzfindigkeiten, wie sie sense bei Er-
zählertt selten vorzukommen pflegen; zwar daß er die in der Ecke der Kirche ihrer
Andacht hingegebene Flammea eine Sonne nennt, rechnen wir noch nicht da¬
hin; wenn er aber sagt, die wirkliche Sonne yabe zu jener betenden Sonne


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[0276] hat, oder der Schwank von der Bestrafung des Eifersüchtigen von demselben Raimon Vidal, das Mährchen vom Papagei und das Minnegericht, welches letztere übrigens doch auch die Erzählung eines höchst dürftigen Vorganges bei¬ nahe nur als Stütze braucht, die ein Gefüge von Untersuchungen über Liebes- rccht und von Citaten aus vielen Trobadoren zu tragen bestimmt ist. Bei der Feststellung des ästhetischen Werthes, welchen Flammea haben mag, gedenken wir uns nicht lange aufzuhalten; die oben gegebene Uebersicht über den Inhalt würde auch nicht genügen, den Leser zu einem Urtheil über unser Urtheil zu befähigen; denn das Gedicht ist durchaus nicht etwa blos eine in Verse gebrachte Darstellung der dort zusammengestellten Begebenheiten, und nicht die Erfindung derselben ist das, worauf der Verfasser ohne Zweifel das meiste Gewicht legte, wodurch er dichterischen Ruhm zu erlangen und seine Leser zu ergötzen gedachte. Was in seinen eigenen Augen seinem Werke Werth ver¬ lieh, das ist die breite Ausführung des Einzelnen, die Schilderung der Leiden¬ schaften in ihren sichtbaren Wirkungen oder noch lieber in den umfangreichen Selbstgesprächen der von ihnen Ergriffenen, das Eingehen aus alle Umstände der Begebenheiten, auf die Details der glänzenden Feste, der Turniere und der Gastmähler, auf die Bestandtheile des Anzuges der Hauptpersonen, das ist ferner die breite Vollständigkeit in der Wiedergabe der Formen des geselligen Verkehres, der bei Begegnung und Abschied üblichen Reden und ähnlicher Dinge, und endlich noch die Entfaltung einer vielseitigen Gelehrsamkeit, welche sich bald in Hinweisungen aus Schriften des Alterthums, bald in Auf¬ zählung von Dichterwerken der neuern Zeit, bald in etymologischen Tifte- leien kundgiebt. Und in der That eine reiche Bildung, sowohl höfische eilf literarische, im Sinne seiner Zeit läßt sich dem Dichter der Flammea nicht ab¬ sprechen. Was in ritterlicher Gesellschaft der gute Ton erfordert, ist ihm nicht minder geläufig als die ganze Summe der Gedanken, in welchen sich seine Collegen vom lyrischen Fache bewegen. Auch ihm erscheint Minne als eine Lehnsherrin, die von jedem Menschenkinde einen Tribut zu fordern habe und die Verweigerung desselben ohne Nachsicht ahnde; in Tüchtigkeit steht er eine sammt ihrem Gefolge durch Schlechtigkeit des Landes verwiesene Fürstin; Klein¬ lichkeit und Habgier besprechen sich an einer Stelle mit einander, so gut wie anderswo die Augen des Helden mit seinen Ohren, sein Mund mit seinem Herzen; ja der Thurm, det Wilhelms Geliebte umfängt, wird an «wer Stelle von dem schmachtenden angeredet: „Herr Thurm, schön seid ihr auswendig; doch müßt ihr wohl von innen reiner und lichter sein." Unser Dichter bewegt sich gern in Spitzfindigkeiten, wie sie sense bei Er- zählertt selten vorzukommen pflegen; zwar daß er die in der Ecke der Kirche ihrer Andacht hingegebene Flammea eine Sonne nennt, rechnen wir noch nicht da¬ hin; wenn er aber sagt, die wirkliche Sonne yabe zu jener betenden Sonne I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/276>, abgerufen am 05.05.2024.