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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Und als die Bat.aille vorüber -- über war,
Die Erde mit Blut überschwemmet war,
Schrie Einer zu dem Andern in Jammers Jcimmcrsnoth:
Mein allerbester Kamerad erschossen der ist todt!
Und wenn es Friede heißet, wo wenden wir uns hin?
Gesundheit ist verloren, die Kräfte sind dahin;
Alsdann wird es wohl heißen: Ein Vogel ohne Nest!
Mein Bruder, nimm den Bettelstab; Soldat bist du gewest!

Das Lied ist nicht völlig neu; in den Dörfern um Leipzig kennt es jeder
Bauerbursche, die Melodie ist eine kräftige Marschweise. Als man mir es
vor drei Jahren vorsang, war ich von der Schönheit des poetischen Ausdrucks
ergriffen; aber es jetzt wieder singen zu hören, geht einem durchs Herz. Bren¬
tanos lustige Musikanten sind Kinderspiel dagegen. Indeß, sind wir Spartaner
geworden, da wir zwei Könige zu haben scheinen, so werden sie und guter Muth
des Volkes dafür sorgen, daß die beiden letzten Zeilen nicht für unsere heim¬
kehrenden Krieger zur Wahrheit werden, und die Heranziehung des ganzen
Volkes zum Waffendienst wird in einem erhöhten, edlen Gemeingefühl bald
durch Lieder freudiger Zuversicht das hier wiedergegebene verdrängen.




Neue MuWteratnr.
August Ncißmann. Allgemeine Geschichte der Musik. 1. u. 2. Bd. München,
Fr. Bruckmann. 1863 und 64. 3. Bd. Leipzig, Euch's Verlag (L. W, Reisland) 1864.

Wir erfüllen nur eine Pflicht der Gerechtigkeit, wenn wir, leider besonderer
Umstände halber erst jetzt, auf dieses Werk aufmerksam machen. Die specielle Fach¬
kritik hat zum Theil sehr lebhafte Ausstellungen gegen dasselbe erhoben. Sie hat
auch unsrer Ueberzeugung nach zumeist Recht, aber man wird, um billig zu urtheilen,
beachten müssen, daß hier ein Versuch vorliegt, eine Geschichte der Musik zu geben,
wobei man einzelne Flüchtigkeiten, leider auch zuweilen eine etwas gespreizte Aus¬
drucksweise in den Kauf nehmen muß, wenn nur, wie hier geschehen, mit freiem
Blick, ausgebreiteter Kenntniß und mit Geist die Entwickelung einer Kunst dargestellt
wird, die mehr als irgendeine andere sich den Gesetzen organischer historischer Ent¬
wickelung im Großen zu entziehen scheint, und bei der der centrifugale Charakter so
vieler hervorragender Vertreter das Gesammtbild immer und immer wieder in ein
Mosaik aufzulösen droht. Das Werk ist als einer der hervorragendsten Versuche zu
bezeichnen, welche in neuerer Zeit, nicht eine tendenziöse Zuspitzung auf eine moderne
Coterie oder eine lose Aneinanderreihung einzelner Biographien, sondern eine im
vollen Wortsinne historische Darstellung der Musikentwickelung beabsichtigen.


Und als die Bat.aille vorüber — über war,
Die Erde mit Blut überschwemmet war,
Schrie Einer zu dem Andern in Jammers Jcimmcrsnoth:
Mein allerbester Kamerad erschossen der ist todt!
Und wenn es Friede heißet, wo wenden wir uns hin?
Gesundheit ist verloren, die Kräfte sind dahin;
Alsdann wird es wohl heißen: Ein Vogel ohne Nest!
Mein Bruder, nimm den Bettelstab; Soldat bist du gewest!

Das Lied ist nicht völlig neu; in den Dörfern um Leipzig kennt es jeder
Bauerbursche, die Melodie ist eine kräftige Marschweise. Als man mir es
vor drei Jahren vorsang, war ich von der Schönheit des poetischen Ausdrucks
ergriffen; aber es jetzt wieder singen zu hören, geht einem durchs Herz. Bren¬
tanos lustige Musikanten sind Kinderspiel dagegen. Indeß, sind wir Spartaner
geworden, da wir zwei Könige zu haben scheinen, so werden sie und guter Muth
des Volkes dafür sorgen, daß die beiden letzten Zeilen nicht für unsere heim¬
kehrenden Krieger zur Wahrheit werden, und die Heranziehung des ganzen
Volkes zum Waffendienst wird in einem erhöhten, edlen Gemeingefühl bald
durch Lieder freudiger Zuversicht das hier wiedergegebene verdrängen.




Neue MuWteratnr.
August Ncißmann. Allgemeine Geschichte der Musik. 1. u. 2. Bd. München,
Fr. Bruckmann. 1863 und 64. 3. Bd. Leipzig, Euch's Verlag (L. W, Reisland) 1864.

Wir erfüllen nur eine Pflicht der Gerechtigkeit, wenn wir, leider besonderer
Umstände halber erst jetzt, auf dieses Werk aufmerksam machen. Die specielle Fach¬
kritik hat zum Theil sehr lebhafte Ausstellungen gegen dasselbe erhoben. Sie hat
auch unsrer Ueberzeugung nach zumeist Recht, aber man wird, um billig zu urtheilen,
beachten müssen, daß hier ein Versuch vorliegt, eine Geschichte der Musik zu geben,
wobei man einzelne Flüchtigkeiten, leider auch zuweilen eine etwas gespreizte Aus¬
drucksweise in den Kauf nehmen muß, wenn nur, wie hier geschehen, mit freiem
Blick, ausgebreiteter Kenntniß und mit Geist die Entwickelung einer Kunst dargestellt
wird, die mehr als irgendeine andere sich den Gesetzen organischer historischer Ent¬
wickelung im Großen zu entziehen scheint, und bei der der centrifugale Charakter so
vieler hervorragender Vertreter das Gesammtbild immer und immer wieder in ein
Mosaik aufzulösen droht. Das Werk ist als einer der hervorragendsten Versuche zu
bezeichnen, welche in neuerer Zeit, nicht eine tendenziöse Zuspitzung auf eine moderne
Coterie oder eine lose Aneinanderreihung einzelner Biographien, sondern eine im
vollen Wortsinne historische Darstellung der Musikentwickelung beabsichtigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/425>, abgerufen am 05.05.2024.