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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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sich etwas zu weit gehen läßt, hat doch das Büchelchen schon darum Anspruch auf
freundliche Aufnahme, daß es mit Geschmack und in lebendigem Tone geschrieben ist.


Lehrbuch der Geschichte der deutschen Nationalliteratur von
Dr. Ferdinand Seinecke. Hannover, schmort und v. Seefeld. 1866.

Der Verfasser ist Verehrer der hcrbartschcn Philosophie und hat gleichmäßig
die Mängel wie die Lichtseiten dieser Richtung auszuweisen. Während das Buch in
Bezug aus tiefere organische Durchdringung des Stoffes manches zu wünschen übrig
läßt, zeigt es andrerseits verständige Sichtung des Details, sowie geschickte und an¬
ziehende Aneinanderreihung desselben. Für Höhere Töchterschulen scheint es vermöge
seiner durchgängig faßlichen, nie mit beschwerlichem Notizcnkrcnn oder trockenem
Schematismus belasteten Darstellung, mit seinen eleganten und bündigen Inhalts¬
angaben wichtiger Schriften und der stets zarten und tactvollen Behandlung be¬
denklicher Materialien, ganz besonders geeignet. Die Mosaik fremder Urtheile,
die uns neuerlich kein Literarhistoriker mehr erspart, ist hier wenigstens mit Ge¬
schick zusammengesetzt und mit ihren Namen belegt; vorzüglich sind die Selbstbe¬
kenntnisse unserer großen Autoren über ihre Werke und die zeitgenössischen Urtheile
über deren Aufnahme, endlich die Ehrenzeugnisse aus dem Munde des Gegners (wie
das eines katholischen Literaturhistorikers über die Sprache der lutherischen Bibel¬
übersetzung) von guter Wirkung. Das eigene Urtheil des Verfassers ist fast durch¬
gängig besonnen und maßvoll; vereinzelte Schroffheiten ausgenommen, wie die
schlegelisirendc Ansicht über mehre Dramen Schillers und der bittre Ausfall wider
die""an Phrasen und Floskeln überreiche Impotenz" Hebbels. Sehr anerkennens-
wcrth ist noch, daß das Buch auch der neuesten Literatur eingehende Aufmerksamkeit
zuwendet; es wird in der That Zeit, daß unsere Jugend nicht mehr blos dem
Schatten vergangener Tage nachhängt, joudcrn auch die Signatur des gegenwär¬
tigen geistigen Lebens zu erkennen lernt. -- Die schwächste Partie ist die durchaus
flach und dürftig gehaltene Darstellung der Philosophie, namentlich werden die
Schriften Schillings in keiner Weise gewürdigt, die neuesten Geistesarbeiten, nament¬
lich zur Herstellung einer theistischer Philosophie, gänzlich ignorirt. Unter der Rubrik
"Geschichtsschreibung" tadeln wir die Uebergehung von Karl Adolph Menzels deutscher
Geschichte, ein Vorwurf, der auch den sonst so brauchbaren weberschcn Grundriß
der Literatur trifft. Je entschiedener unsere Richtung zu der des genannten Histo¬
rikers im Gegensatz steht, um so mehr erachten wir es für Ehrenpflicht, darauf zu
dringen, daß ein auf so soliden Studien beruhendes noch jetzt an tüchtigen Fer¬
menten reichhaltiges Wert nicht systematisch todtgeschwiegen werde.




Mit Ur. K beginnt diese Zeitschrift den sechsundzwanzigsten
Jahrgang, Bestellungen daraus nehmen alle Buchhandlungen
und Postämter an.
Leipzig, im December 1866.Die Vevlagshandlnng.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hiithel <K Legler in Leipzig.

sich etwas zu weit gehen läßt, hat doch das Büchelchen schon darum Anspruch auf
freundliche Aufnahme, daß es mit Geschmack und in lebendigem Tone geschrieben ist.


Lehrbuch der Geschichte der deutschen Nationalliteratur von
Dr. Ferdinand Seinecke. Hannover, schmort und v. Seefeld. 1866.

Der Verfasser ist Verehrer der hcrbartschcn Philosophie und hat gleichmäßig
die Mängel wie die Lichtseiten dieser Richtung auszuweisen. Während das Buch in
Bezug aus tiefere organische Durchdringung des Stoffes manches zu wünschen übrig
läßt, zeigt es andrerseits verständige Sichtung des Details, sowie geschickte und an¬
ziehende Aneinanderreihung desselben. Für Höhere Töchterschulen scheint es vermöge
seiner durchgängig faßlichen, nie mit beschwerlichem Notizcnkrcnn oder trockenem
Schematismus belasteten Darstellung, mit seinen eleganten und bündigen Inhalts¬
angaben wichtiger Schriften und der stets zarten und tactvollen Behandlung be¬
denklicher Materialien, ganz besonders geeignet. Die Mosaik fremder Urtheile,
die uns neuerlich kein Literarhistoriker mehr erspart, ist hier wenigstens mit Ge¬
schick zusammengesetzt und mit ihren Namen belegt; vorzüglich sind die Selbstbe¬
kenntnisse unserer großen Autoren über ihre Werke und die zeitgenössischen Urtheile
über deren Aufnahme, endlich die Ehrenzeugnisse aus dem Munde des Gegners (wie
das eines katholischen Literaturhistorikers über die Sprache der lutherischen Bibel¬
übersetzung) von guter Wirkung. Das eigene Urtheil des Verfassers ist fast durch¬
gängig besonnen und maßvoll; vereinzelte Schroffheiten ausgenommen, wie die
schlegelisirendc Ansicht über mehre Dramen Schillers und der bittre Ausfall wider
die"„an Phrasen und Floskeln überreiche Impotenz" Hebbels. Sehr anerkennens-
wcrth ist noch, daß das Buch auch der neuesten Literatur eingehende Aufmerksamkeit
zuwendet; es wird in der That Zeit, daß unsere Jugend nicht mehr blos dem
Schatten vergangener Tage nachhängt, joudcrn auch die Signatur des gegenwär¬
tigen geistigen Lebens zu erkennen lernt. — Die schwächste Partie ist die durchaus
flach und dürftig gehaltene Darstellung der Philosophie, namentlich werden die
Schriften Schillings in keiner Weise gewürdigt, die neuesten Geistesarbeiten, nament¬
lich zur Herstellung einer theistischer Philosophie, gänzlich ignorirt. Unter der Rubrik
„Geschichtsschreibung" tadeln wir die Uebergehung von Karl Adolph Menzels deutscher
Geschichte, ein Vorwurf, der auch den sonst so brauchbaren weberschcn Grundriß
der Literatur trifft. Je entschiedener unsere Richtung zu der des genannten Histo¬
rikers im Gegensatz steht, um so mehr erachten wir es für Ehrenpflicht, darauf zu
dringen, daß ein auf so soliden Studien beruhendes noch jetzt an tüchtigen Fer¬
menten reichhaltiges Wert nicht systematisch todtgeschwiegen werde.




Mit Ur. K beginnt diese Zeitschrift den sechsundzwanzigsten
Jahrgang, Bestellungen daraus nehmen alle Buchhandlungen
und Postämter an.
Leipzig, im December 1866.Die Vevlagshandlnng.




Verantwortlicher Redacteur: Gustav Freytag.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hiithel <K Legler in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/512>, abgerufen am 05.05.2024.