Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorarbeit dazu gemacht, die Feststellung der Methode. Denn mit blos empiri¬
schem Tasten würde man hier nicht weit kommen, wo es sich um eine durchweg
der wissenschaftlichen Reflexion anheimgegebene Leistung handelt.




Die Grundrechte des Jahres 1849. >

Die Bewegungen der vierziger Jahre, die theils politisch-religiösen, theils
socialen, theils nationalen Charakters waren, entwickelten den durch die metter-
nichsche Represfionspolitik aufgesammelten Gährungsstoff und bereiteten die ge¬
waltsame Lösung des Jahres 1848 vor. Die Bestrebungen des tollen Jahres
erstreckten sich daher auch auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens: politische,
nationale, religiöse^ wirthschaftliche Probleme, oft mehr in ihrer Bedeutung
empfunden als wissenschaftlich erfaßt, sollten auf einmal bewältigt werden, als
ob die Versäumnisse von so viel Jahrzehnten in ebenso viel Monaten sich nach¬
holen ließen. Mit Fieberhast wollte das Volk sich selbst erneuern und in einer
großen Gesammtleisiung seine Mündigkeit und Reife bewähren. Das Werk
war bewundernswerth, aber auch so ungeheuer und so wenig vorbereitet, daß
es die Kräfte jeder Nation überstiegen hätte.

Die deutsche Nationalversammlung, das Organ, welches die Gedanken und
Wünsche der Zeit in Gesetz und Wirklichkeit verwandeln sollte, fand nur den
allgemeinen Auftrag vor, Deutschland eine Verfassung zu geben und alle schwe¬
benden Fragen zu lösen. Form und Modalität, überhaupt die Ausführung
dessen, was die Geister Jahre lang bewegt hatte und nun auf unerwartet
schnelle Weise der Erfüllung entgegenzugehen schien, war dem politischen Sinn
und Tact einer Versammlung überlassen, welche die Besten der Nation in ihrer
Mitte sah. Die Gefahren, welche aber jede/unbeschränkte Befugniß in sich
birgt, traten bald auch an das Parlament heran, dem das starke Gegengewicht
einer wohlgeleiteten festorganisirten Regierungsgewalt fehlte.

Die große Ausgabe des Verfassungswerks, das ein Codex der Einheit und
Freiheit des Volkes zu werden bestimmt war, bedürfte umfangreicher Vorberei¬
tungen. Eine Theilung der umfassenden Arbeit war geboten und es knüpfte
sich unwillkürlich eine Reihe wichtiger Konsequenzen an die Frage, welchem Ab¬
schnitt der Aufgabe der Vorzug vor den übrigen gegeben werden sollte. Die


Vorarbeit dazu gemacht, die Feststellung der Methode. Denn mit blos empiri¬
schem Tasten würde man hier nicht weit kommen, wo es sich um eine durchweg
der wissenschaftlichen Reflexion anheimgegebene Leistung handelt.




Die Grundrechte des Jahres 1849. >

Die Bewegungen der vierziger Jahre, die theils politisch-religiösen, theils
socialen, theils nationalen Charakters waren, entwickelten den durch die metter-
nichsche Represfionspolitik aufgesammelten Gährungsstoff und bereiteten die ge¬
waltsame Lösung des Jahres 1848 vor. Die Bestrebungen des tollen Jahres
erstreckten sich daher auch auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens: politische,
nationale, religiöse^ wirthschaftliche Probleme, oft mehr in ihrer Bedeutung
empfunden als wissenschaftlich erfaßt, sollten auf einmal bewältigt werden, als
ob die Versäumnisse von so viel Jahrzehnten in ebenso viel Monaten sich nach¬
holen ließen. Mit Fieberhast wollte das Volk sich selbst erneuern und in einer
großen Gesammtleisiung seine Mündigkeit und Reife bewähren. Das Werk
war bewundernswerth, aber auch so ungeheuer und so wenig vorbereitet, daß
es die Kräfte jeder Nation überstiegen hätte.

Die deutsche Nationalversammlung, das Organ, welches die Gedanken und
Wünsche der Zeit in Gesetz und Wirklichkeit verwandeln sollte, fand nur den
allgemeinen Auftrag vor, Deutschland eine Verfassung zu geben und alle schwe¬
benden Fragen zu lösen. Form und Modalität, überhaupt die Ausführung
dessen, was die Geister Jahre lang bewegt hatte und nun auf unerwartet
schnelle Weise der Erfüllung entgegenzugehen schien, war dem politischen Sinn
und Tact einer Versammlung überlassen, welche die Besten der Nation in ihrer
Mitte sah. Die Gefahren, welche aber jede/unbeschränkte Befugniß in sich
birgt, traten bald auch an das Parlament heran, dem das starke Gegengewicht
einer wohlgeleiteten festorganisirten Regierungsgewalt fehlte.

Die große Ausgabe des Verfassungswerks, das ein Codex der Einheit und
Freiheit des Volkes zu werden bestimmt war, bedürfte umfangreicher Vorberei¬
tungen. Eine Theilung der umfassenden Arbeit war geboten und es knüpfte
sich unwillkürlich eine Reihe wichtiger Konsequenzen an die Frage, welchem Ab¬
schnitt der Aufgabe der Vorzug vor den übrigen gegeben werden sollte. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0080" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286228"/>
          <p xml:id="ID_191" prev="#ID_190"> Vorarbeit dazu gemacht, die Feststellung der Methode. Denn mit blos empiri¬<lb/>
schem Tasten würde man hier nicht weit kommen, wo es sich um eine durchweg<lb/>
der wissenschaftlichen Reflexion anheimgegebene Leistung handelt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Grundrechte des Jahres 1849. &gt;</head><lb/>
          <p xml:id="ID_192"> Die Bewegungen der vierziger Jahre, die theils politisch-religiösen, theils<lb/>
socialen, theils nationalen Charakters waren, entwickelten den durch die metter-<lb/>
nichsche Represfionspolitik aufgesammelten Gährungsstoff und bereiteten die ge¬<lb/>
waltsame Lösung des Jahres 1848 vor. Die Bestrebungen des tollen Jahres<lb/>
erstreckten sich daher auch auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens: politische,<lb/>
nationale, religiöse^ wirthschaftliche Probleme, oft mehr in ihrer Bedeutung<lb/>
empfunden als wissenschaftlich erfaßt, sollten auf einmal bewältigt werden, als<lb/>
ob die Versäumnisse von so viel Jahrzehnten in ebenso viel Monaten sich nach¬<lb/>
holen ließen. Mit Fieberhast wollte das Volk sich selbst erneuern und in einer<lb/>
großen Gesammtleisiung seine Mündigkeit und Reife bewähren. Das Werk<lb/>
war bewundernswerth, aber auch so ungeheuer und so wenig vorbereitet, daß<lb/>
es die Kräfte jeder Nation überstiegen hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193"> Die deutsche Nationalversammlung, das Organ, welches die Gedanken und<lb/>
Wünsche der Zeit in Gesetz und Wirklichkeit verwandeln sollte, fand nur den<lb/>
allgemeinen Auftrag vor, Deutschland eine Verfassung zu geben und alle schwe¬<lb/>
benden Fragen zu lösen. Form und Modalität, überhaupt die Ausführung<lb/>
dessen, was die Geister Jahre lang bewegt hatte und nun auf unerwartet<lb/>
schnelle Weise der Erfüllung entgegenzugehen schien, war dem politischen Sinn<lb/>
und Tact einer Versammlung überlassen, welche die Besten der Nation in ihrer<lb/>
Mitte sah. Die Gefahren, welche aber jede/unbeschränkte Befugniß in sich<lb/>
birgt, traten bald auch an das Parlament heran, dem das starke Gegengewicht<lb/>
einer wohlgeleiteten festorganisirten Regierungsgewalt fehlte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Die große Ausgabe des Verfassungswerks, das ein Codex der Einheit und<lb/>
Freiheit des Volkes zu werden bestimmt war, bedürfte umfangreicher Vorberei¬<lb/>
tungen. Eine Theilung der umfassenden Arbeit war geboten und es knüpfte<lb/>
sich unwillkürlich eine Reihe wichtiger Konsequenzen an die Frage, welchem Ab¬<lb/>
schnitt der Aufgabe der Vorzug vor den übrigen gegeben werden sollte. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0080] Vorarbeit dazu gemacht, die Feststellung der Methode. Denn mit blos empiri¬ schem Tasten würde man hier nicht weit kommen, wo es sich um eine durchweg der wissenschaftlichen Reflexion anheimgegebene Leistung handelt. Die Grundrechte des Jahres 1849. > Die Bewegungen der vierziger Jahre, die theils politisch-religiösen, theils socialen, theils nationalen Charakters waren, entwickelten den durch die metter- nichsche Represfionspolitik aufgesammelten Gährungsstoff und bereiteten die ge¬ waltsame Lösung des Jahres 1848 vor. Die Bestrebungen des tollen Jahres erstreckten sich daher auch auf alle Gebiete des öffentlichen Lebens: politische, nationale, religiöse^ wirthschaftliche Probleme, oft mehr in ihrer Bedeutung empfunden als wissenschaftlich erfaßt, sollten auf einmal bewältigt werden, als ob die Versäumnisse von so viel Jahrzehnten in ebenso viel Monaten sich nach¬ holen ließen. Mit Fieberhast wollte das Volk sich selbst erneuern und in einer großen Gesammtleisiung seine Mündigkeit und Reife bewähren. Das Werk war bewundernswerth, aber auch so ungeheuer und so wenig vorbereitet, daß es die Kräfte jeder Nation überstiegen hätte. Die deutsche Nationalversammlung, das Organ, welches die Gedanken und Wünsche der Zeit in Gesetz und Wirklichkeit verwandeln sollte, fand nur den allgemeinen Auftrag vor, Deutschland eine Verfassung zu geben und alle schwe¬ benden Fragen zu lösen. Form und Modalität, überhaupt die Ausführung dessen, was die Geister Jahre lang bewegt hatte und nun auf unerwartet schnelle Weise der Erfüllung entgegenzugehen schien, war dem politischen Sinn und Tact einer Versammlung überlassen, welche die Besten der Nation in ihrer Mitte sah. Die Gefahren, welche aber jede/unbeschränkte Befugniß in sich birgt, traten bald auch an das Parlament heran, dem das starke Gegengewicht einer wohlgeleiteten festorganisirten Regierungsgewalt fehlte. Die große Ausgabe des Verfassungswerks, das ein Codex der Einheit und Freiheit des Volkes zu werden bestimmt war, bedürfte umfangreicher Vorberei¬ tungen. Eine Theilung der umfassenden Arbeit war geboten und es knüpfte sich unwillkürlich eine Reihe wichtiger Konsequenzen an die Frage, welchem Ab¬ schnitt der Aufgabe der Vorzug vor den übrigen gegeben werden sollte. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/80
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/80>, abgerufen am 04.05.2024.