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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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ganz aufgehört Hot, wird eine neue Bedeutung gewinnen durch ein gemein¬
sames deutsches Gesetzbuch, zu dessen Herbeiführung eine deutsche Proceßordnung
den ersten Schritt bildet. Im Processe zeigt sich oft der Charakter des ganzen
Staats. Der gemeinrechtliche Proceß, beruhend auf Satzungen des kanonischen
und römischen Rechts, Neichsgesetzen und einer oft nur aus Mißverständnissen
hervorgegangenen Praxis, hat dieselbe Schwerfälligkeit und Unbehilflichkeit. die
seit Jahrhunderten im Staatswesen des heiligen römischen Reichs deutscher
Nation herrschte. Die carmersche Prvccßordnung zeigt den kräftigen Willen,
rasch und rücksichtslos das Recht zu verwirklichen, zugleich aber auch denselben
absolutistischen und bureaukratischen Geist, der den preußischen Staat damals
charakterisirte.

Aufgabe unserer Zeit ist es nun, festzuhalten an dem energischen Streben
der Verwirklichung des Rechts, aber dabei der Selbstthätigkeit des Privat¬
manns größeren Spielraum zu gestatten, als dies im achtzehnten Jahrhundert
der Fall war.

Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Civilprocesses haben in
Deutschland vorzugsweise zwei Feinde zu bekämpfen, welche auch auf anderen
Gebieten unseres öffentlichen Lebens dem vernünftigen und besonnenen Fort¬
schritte entgegentreten, nämlich das Princip der zu weit getriebenen staatlichen
Bevormundung oder des Bureaukrat>sans und das Princip des Particularis-
mus. Zu den großen Resultaten des Jahics 1866 gehört, daß sie auch nach
d 8. dieser Seite den Anstoß zu neuen Reformen enthalten.




Die Agitation zur Förderung der Kunstindustrie in Preußen.

Dr. Schwabe: Die Förderung der Kunstindustrie in England und der Stand dieser
Frage in Deutschland für Staat und Industrie, Gemeinde, Schul- und Vereins-
wesen. Berlin, Guttentag. 18"",

Seit jener Druck, der während der Neactionsperiode auf Preußen und
speciell auf seiner Hauptstadt jede selbständige Regung des Volkslebens lähmend
und erstickend lastete, von der Bevölkerung gewichen ist>, nimmt das Vereins¬
wesen in derselben von Jahr zu Jahr immer kräftigeren Aufschwung. Man
gewöhnt sich mehr und mehr vom Staat nicht die Initiative zu verlangen, wo
es Verbesserung fühlbarer oder klar erkannter Mängel unserer bürgerlichen Zu¬
stände, oder Einführung neuer segensreicher Einrichtungen gilt, sondern bemüht


ganz aufgehört Hot, wird eine neue Bedeutung gewinnen durch ein gemein¬
sames deutsches Gesetzbuch, zu dessen Herbeiführung eine deutsche Proceßordnung
den ersten Schritt bildet. Im Processe zeigt sich oft der Charakter des ganzen
Staats. Der gemeinrechtliche Proceß, beruhend auf Satzungen des kanonischen
und römischen Rechts, Neichsgesetzen und einer oft nur aus Mißverständnissen
hervorgegangenen Praxis, hat dieselbe Schwerfälligkeit und Unbehilflichkeit. die
seit Jahrhunderten im Staatswesen des heiligen römischen Reichs deutscher
Nation herrschte. Die carmersche Prvccßordnung zeigt den kräftigen Willen,
rasch und rücksichtslos das Recht zu verwirklichen, zugleich aber auch denselben
absolutistischen und bureaukratischen Geist, der den preußischen Staat damals
charakterisirte.

Aufgabe unserer Zeit ist es nun, festzuhalten an dem energischen Streben
der Verwirklichung des Rechts, aber dabei der Selbstthätigkeit des Privat¬
manns größeren Spielraum zu gestatten, als dies im achtzehnten Jahrhundert
der Fall war.

Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Civilprocesses haben in
Deutschland vorzugsweise zwei Feinde zu bekämpfen, welche auch auf anderen
Gebieten unseres öffentlichen Lebens dem vernünftigen und besonnenen Fort¬
schritte entgegentreten, nämlich das Princip der zu weit getriebenen staatlichen
Bevormundung oder des Bureaukrat>sans und das Princip des Particularis-
mus. Zu den großen Resultaten des Jahics 1866 gehört, daß sie auch nach
d 8. dieser Seite den Anstoß zu neuen Reformen enthalten.




Die Agitation zur Förderung der Kunstindustrie in Preußen.

Dr. Schwabe: Die Förderung der Kunstindustrie in England und der Stand dieser
Frage in Deutschland für Staat und Industrie, Gemeinde, Schul- und Vereins-
wesen. Berlin, Guttentag. 18»«,

Seit jener Druck, der während der Neactionsperiode auf Preußen und
speciell auf seiner Hauptstadt jede selbständige Regung des Volkslebens lähmend
und erstickend lastete, von der Bevölkerung gewichen ist>, nimmt das Vereins¬
wesen in derselben von Jahr zu Jahr immer kräftigeren Aufschwung. Man
gewöhnt sich mehr und mehr vom Staat nicht die Initiative zu verlangen, wo
es Verbesserung fühlbarer oder klar erkannter Mängel unserer bürgerlichen Zu¬
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[0232] ganz aufgehört Hot, wird eine neue Bedeutung gewinnen durch ein gemein¬ sames deutsches Gesetzbuch, zu dessen Herbeiführung eine deutsche Proceßordnung den ersten Schritt bildet. Im Processe zeigt sich oft der Charakter des ganzen Staats. Der gemeinrechtliche Proceß, beruhend auf Satzungen des kanonischen und römischen Rechts, Neichsgesetzen und einer oft nur aus Mißverständnissen hervorgegangenen Praxis, hat dieselbe Schwerfälligkeit und Unbehilflichkeit. die seit Jahrhunderten im Staatswesen des heiligen römischen Reichs deutscher Nation herrschte. Die carmersche Prvccßordnung zeigt den kräftigen Willen, rasch und rücksichtslos das Recht zu verwirklichen, zugleich aber auch denselben absolutistischen und bureaukratischen Geist, der den preußischen Staat damals charakterisirte. Aufgabe unserer Zeit ist es nun, festzuhalten an dem energischen Streben der Verwirklichung des Rechts, aber dabei der Selbstthätigkeit des Privat¬ manns größeren Spielraum zu gestatten, als dies im achtzehnten Jahrhundert der Fall war. Die Reformbestrebungen auf dem Gebiete des Civilprocesses haben in Deutschland vorzugsweise zwei Feinde zu bekämpfen, welche auch auf anderen Gebieten unseres öffentlichen Lebens dem vernünftigen und besonnenen Fort¬ schritte entgegentreten, nämlich das Princip der zu weit getriebenen staatlichen Bevormundung oder des Bureaukrat>sans und das Princip des Particularis- mus. Zu den großen Resultaten des Jahics 1866 gehört, daß sie auch nach d 8. dieser Seite den Anstoß zu neuen Reformen enthalten. Die Agitation zur Förderung der Kunstindustrie in Preußen. Dr. Schwabe: Die Förderung der Kunstindustrie in England und der Stand dieser Frage in Deutschland für Staat und Industrie, Gemeinde, Schul- und Vereins- wesen. Berlin, Guttentag. 18»«, Seit jener Druck, der während der Neactionsperiode auf Preußen und speciell auf seiner Hauptstadt jede selbständige Regung des Volkslebens lähmend und erstickend lastete, von der Bevölkerung gewichen ist>, nimmt das Vereins¬ wesen in derselben von Jahr zu Jahr immer kräftigeren Aufschwung. Man gewöhnt sich mehr und mehr vom Staat nicht die Initiative zu verlangen, wo es Verbesserung fühlbarer oder klar erkannter Mängel unserer bürgerlichen Zu¬ stände, oder Einführung neuer segensreicher Einrichtungen gilt, sondern bemüht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/232>, abgerufen am 04.05.2024.