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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Wickelung vorhanden, als Preußen ihnen gegenwärtig zu bieten vermag, und
Einzelnes, was sie verlieren, ist besser, als was sie erhalten. Im Ganzen ist
der Particularismus der Bevölkerung nur in einigen Landschaften der Nieder-
sachsen dem neuen Staat principiell feindlich, dagegen nicht in Sachsen und
Thüringen, nicht in Oldenburg und Braunschweig. Und dieser Particularismus
schwindet vor Belehrung und Erfahrung. Aber der stille Widerstand der Re¬
gierenden, der Fürsten oder ihres Adels, wird nicht schwinden. Nach dieser
Rücksicht wird stete Vorsicht nöthig sein, und der Reichstag wird hier mehrfach
Gelegenheit haben, dem Bundespräsidium die gehobenen Arme zu Stufen. Zu¬
meist dadurch, daß er dahin drängt, den deutschen Fürsten im neuen Staat eine
Stellung zu geben, welche ihnen einen höheren' und patriotischeren Ehrgei
möglich macht, als den, alte Rechte gegen eine stärkere Strömung zu ver¬
theidigen.

Auf die neue Bildung also, welche jetzt erstrebt wird, paßt im Givnbc weder
der Name Bundesstaat, wie er bisher in Deutschland galt, selbst nicht, wie er
seit 1848 in der Schweiz verstanden wird, noch der Name Einheitstaat. Was
unsere Abgeordneten durch ihre Kranzrcden weihen sollen, ist ein Ding für sich,
halb Einheit, halb souveraine Bieltheilrgkeit.

Uns bedünkt dies kein Unglück. Und es ist wohl schon jetzt erlaubt zu
vermuthen, daß ein großer innerer Fortschritt zu engerer Bereinigung in einer
Zeit erfolgen wird, wo in Preußen selbst die innere Verwaltung, Gcmeinde-
und Kreisverfassung, Schule und Lehre von dem Druck befreit sein werden, den
bis jetzt das System auf diese großen Gebiete gelegt hat. Bis dahin erachten
wir als besonderen Borzug des neuen Staats, daß er eine Uniformitcit nach
diesen Richtungen völlig abhält. Die Abgeordneten, welche jetzt gewählt werden,
sollen an einem großen Werke helfen. Aber während sie eifrig und pflicht¬
voll bauen, solle" sie auch denken, daß den Spätere" etwas zu thun übrig
bleiben muß.




Literatur.

Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen
und Worterklärungen. Hcransgegcven von Karl Gocdeke und Julius Titt-
mcnin. Erster Band: Liederbuch aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig,
Brockhaus.

Einzelne Ausgaben deutscher Autoren der früheren Jahrhunderte sind in den letz¬
ten Jahren mit solchem Geschmack ausgestattet erschienen, daß manche unserer mo¬
dernen Klassiker und solche, die es werden wollen, vergeblich in ähnlicher Ausstattung
"aufgelegt" zu werden wünschen. Auch das "Liederbuch aus dem sechzehnten Jahr¬
hundert", als erster Band einer größeren Sammlung "deutsche Dichter des sechzehn¬
ten Jahrhunderts" vor kurzem ausgegeben, schließt sich in seiner Ausstattung früher
Erschienenen würdig an; in seinem Plane aber der seit zwei Jahre" erscheinenden


Wickelung vorhanden, als Preußen ihnen gegenwärtig zu bieten vermag, und
Einzelnes, was sie verlieren, ist besser, als was sie erhalten. Im Ganzen ist
der Particularismus der Bevölkerung nur in einigen Landschaften der Nieder-
sachsen dem neuen Staat principiell feindlich, dagegen nicht in Sachsen und
Thüringen, nicht in Oldenburg und Braunschweig. Und dieser Particularismus
schwindet vor Belehrung und Erfahrung. Aber der stille Widerstand der Re¬
gierenden, der Fürsten oder ihres Adels, wird nicht schwinden. Nach dieser
Rücksicht wird stete Vorsicht nöthig sein, und der Reichstag wird hier mehrfach
Gelegenheit haben, dem Bundespräsidium die gehobenen Arme zu Stufen. Zu¬
meist dadurch, daß er dahin drängt, den deutschen Fürsten im neuen Staat eine
Stellung zu geben, welche ihnen einen höheren' und patriotischeren Ehrgei
möglich macht, als den, alte Rechte gegen eine stärkere Strömung zu ver¬
theidigen.

Auf die neue Bildung also, welche jetzt erstrebt wird, paßt im Givnbc weder
der Name Bundesstaat, wie er bisher in Deutschland galt, selbst nicht, wie er
seit 1848 in der Schweiz verstanden wird, noch der Name Einheitstaat. Was
unsere Abgeordneten durch ihre Kranzrcden weihen sollen, ist ein Ding für sich,
halb Einheit, halb souveraine Bieltheilrgkeit.

Uns bedünkt dies kein Unglück. Und es ist wohl schon jetzt erlaubt zu
vermuthen, daß ein großer innerer Fortschritt zu engerer Bereinigung in einer
Zeit erfolgen wird, wo in Preußen selbst die innere Verwaltung, Gcmeinde-
und Kreisverfassung, Schule und Lehre von dem Druck befreit sein werden, den
bis jetzt das System auf diese großen Gebiete gelegt hat. Bis dahin erachten
wir als besonderen Borzug des neuen Staats, daß er eine Uniformitcit nach
diesen Richtungen völlig abhält. Die Abgeordneten, welche jetzt gewählt werden,
sollen an einem großen Werke helfen. Aber während sie eifrig und pflicht¬
voll bauen, solle» sie auch denken, daß den Spätere» etwas zu thun übrig
bleiben muß.




Literatur.

Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen
und Worterklärungen. Hcransgegcven von Karl Gocdeke und Julius Titt-
mcnin. Erster Band: Liederbuch aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig,
Brockhaus.

Einzelne Ausgaben deutscher Autoren der früheren Jahrhunderte sind in den letz¬
ten Jahren mit solchem Geschmack ausgestattet erschienen, daß manche unserer mo¬
dernen Klassiker und solche, die es werden wollen, vergeblich in ähnlicher Ausstattung
„aufgelegt" zu werden wünschen. Auch das „Liederbuch aus dem sechzehnten Jahr¬
hundert", als erster Band einer größeren Sammlung „deutsche Dichter des sechzehn¬
ten Jahrhunderts" vor kurzem ausgegeben, schließt sich in seiner Ausstattung früher
Erschienenen würdig an; in seinem Plane aber der seit zwei Jahre» erscheinenden


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[0249] Wickelung vorhanden, als Preußen ihnen gegenwärtig zu bieten vermag, und Einzelnes, was sie verlieren, ist besser, als was sie erhalten. Im Ganzen ist der Particularismus der Bevölkerung nur in einigen Landschaften der Nieder- sachsen dem neuen Staat principiell feindlich, dagegen nicht in Sachsen und Thüringen, nicht in Oldenburg und Braunschweig. Und dieser Particularismus schwindet vor Belehrung und Erfahrung. Aber der stille Widerstand der Re¬ gierenden, der Fürsten oder ihres Adels, wird nicht schwinden. Nach dieser Rücksicht wird stete Vorsicht nöthig sein, und der Reichstag wird hier mehrfach Gelegenheit haben, dem Bundespräsidium die gehobenen Arme zu Stufen. Zu¬ meist dadurch, daß er dahin drängt, den deutschen Fürsten im neuen Staat eine Stellung zu geben, welche ihnen einen höheren' und patriotischeren Ehrgei möglich macht, als den, alte Rechte gegen eine stärkere Strömung zu ver¬ theidigen. Auf die neue Bildung also, welche jetzt erstrebt wird, paßt im Givnbc weder der Name Bundesstaat, wie er bisher in Deutschland galt, selbst nicht, wie er seit 1848 in der Schweiz verstanden wird, noch der Name Einheitstaat. Was unsere Abgeordneten durch ihre Kranzrcden weihen sollen, ist ein Ding für sich, halb Einheit, halb souveraine Bieltheilrgkeit. Uns bedünkt dies kein Unglück. Und es ist wohl schon jetzt erlaubt zu vermuthen, daß ein großer innerer Fortschritt zu engerer Bereinigung in einer Zeit erfolgen wird, wo in Preußen selbst die innere Verwaltung, Gcmeinde- und Kreisverfassung, Schule und Lehre von dem Druck befreit sein werden, den bis jetzt das System auf diese großen Gebiete gelegt hat. Bis dahin erachten wir als besonderen Borzug des neuen Staats, daß er eine Uniformitcit nach diesen Richtungen völlig abhält. Die Abgeordneten, welche jetzt gewählt werden, sollen an einem großen Werke helfen. Aber während sie eifrig und pflicht¬ voll bauen, solle» sie auch denken, daß den Spätere» etwas zu thun übrig bleiben muß. Literatur. Deutsche Dichter des sechzehnten Jahrhunderts. Mit Einleitungen und Worterklärungen. Hcransgegcven von Karl Gocdeke und Julius Titt- mcnin. Erster Band: Liederbuch aus dem sechzehnten Jahrhundert. Leipzig, Brockhaus. Einzelne Ausgaben deutscher Autoren der früheren Jahrhunderte sind in den letz¬ ten Jahren mit solchem Geschmack ausgestattet erschienen, daß manche unserer mo¬ dernen Klassiker und solche, die es werden wollen, vergeblich in ähnlicher Ausstattung „aufgelegt" zu werden wünschen. Auch das „Liederbuch aus dem sechzehnten Jahr¬ hundert", als erster Band einer größeren Sammlung „deutsche Dichter des sechzehn¬ ten Jahrhunderts" vor kurzem ausgegeben, schließt sich in seiner Ausstattung früher Erschienenen würdig an; in seinem Plane aber der seit zwei Jahre» erscheinenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/249>, abgerufen am 04.05.2024.