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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Der einjährig Freiwillige in Preußen.

Schreiber dieses ist ein junger Justizbeamter und war einjähriger Frei¬
williger in der preußischen Armee. Er will es versuchen ein möglichst anschau¬
liches und vorurtheilfrcies Bild von dem zu geben, was die zahlreichen jungen
gebildeten Leute, die in den ncupreußischen Ländern jetzt zum Militärdienst
herangezogen werden, bei ihrem Eintritt erwartet. Er hofft ihnen damit
zugleich eine Beruhigung zu gewähren. Denn kaum irgendetwas wird in den
gebildeten Kreisen der neu erworbenen Landestheile als eine schwerere Last em¬
pfunden, als die Nothwendigkeit der persönlichen Ableistung des militärischen
Dienstes. Man wird diese Last um so mehr fürchten, als tausend Einzeln-
heiten über die schweren Anforderungen, die körperlichen Strapazen, die rück¬
sichtslose Behandlung, unter der die preußischen Freiwilligen zu leiden haben,
in die Welt gedrungen sind, selten aber sich eine Stimme erhebt, die die köst¬
lichen Früchte-des militärischen Dienstes, die daraus hervorgehende körperliche
und geistige Frische, das lebendige Vaterlandsgefühl mit beredten Worten preist.

Art. 34 der Preußischen Verfassungsurkunde sagt: "Alle Preußen sind wehr¬
pflichtig." Alle diejenigen jungen Leute, welche sich bis zu ihrem zwanzigsten
Lebensjahre eine gewisse wissenschaftliche Bildung angeeignet haben, welche durch¬
schnittlich der auf der Secunda eines deutschen Gymnasiums erworbenen ent¬
spricht, brauchen nicht drei, sondern nur ein Jahr beim stehenden Heer zu diene".
Sie heißen einjährig Freiwillige, haben als Abzeichen schwarz-weiße Schnüre
um die Achselklappen, erhalten im Frieden keine Löhnung und müssen sich die
Beklcidungsgegenstcinde selbst anschaffen. Die Waffen und Ausrüstungsgegen¬
stände (Gewehr, Seitengewehr, Tornister, Munition :c.) erhalten sie vom Staat
leihweise gegen eine geringe Vergütung.

Ausgenommen von dieser Pflicht sind selbstverständlich alle körperlich Un¬
tüchtigen -- ein sehr dehnbarer und ausschließlich in das Gewissen der unter¬
suchenden Aerzte gestellter Begriff -- außerdem nur die der Theologie Beflissenen,
wenn sie bis zu ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahre das erste theologische
Examen bestanden haben, und selbstverständlich die sich dem Militärstande Wid-
menden. Die Mediciner brauchen nicht mit der Waffe zu dienen, sondern
können nach Absolvirung des Doctorexamens ihrer Dienstpflicht genügen, indem
sie ein Jahr lang unentgeltlich als Militärärzte fungiren.

Andere Ausnahmen giebt es nicht. Wer sich die betreffenden Kenntnisse
angeeignet hat, muß sich in seinem zwanzigsten Lebensjahre stellen, er erhält
dann einen Berechtigungsschein als einjährig Freiwilliger zu dienen, und den


Der einjährig Freiwillige in Preußen.

Schreiber dieses ist ein junger Justizbeamter und war einjähriger Frei¬
williger in der preußischen Armee. Er will es versuchen ein möglichst anschau¬
liches und vorurtheilfrcies Bild von dem zu geben, was die zahlreichen jungen
gebildeten Leute, die in den ncupreußischen Ländern jetzt zum Militärdienst
herangezogen werden, bei ihrem Eintritt erwartet. Er hofft ihnen damit
zugleich eine Beruhigung zu gewähren. Denn kaum irgendetwas wird in den
gebildeten Kreisen der neu erworbenen Landestheile als eine schwerere Last em¬
pfunden, als die Nothwendigkeit der persönlichen Ableistung des militärischen
Dienstes. Man wird diese Last um so mehr fürchten, als tausend Einzeln-
heiten über die schweren Anforderungen, die körperlichen Strapazen, die rück¬
sichtslose Behandlung, unter der die preußischen Freiwilligen zu leiden haben,
in die Welt gedrungen sind, selten aber sich eine Stimme erhebt, die die köst¬
lichen Früchte-des militärischen Dienstes, die daraus hervorgehende körperliche
und geistige Frische, das lebendige Vaterlandsgefühl mit beredten Worten preist.

Art. 34 der Preußischen Verfassungsurkunde sagt: „Alle Preußen sind wehr¬
pflichtig." Alle diejenigen jungen Leute, welche sich bis zu ihrem zwanzigsten
Lebensjahre eine gewisse wissenschaftliche Bildung angeeignet haben, welche durch¬
schnittlich der auf der Secunda eines deutschen Gymnasiums erworbenen ent¬
spricht, brauchen nicht drei, sondern nur ein Jahr beim stehenden Heer zu diene».
Sie heißen einjährig Freiwillige, haben als Abzeichen schwarz-weiße Schnüre
um die Achselklappen, erhalten im Frieden keine Löhnung und müssen sich die
Beklcidungsgegenstcinde selbst anschaffen. Die Waffen und Ausrüstungsgegen¬
stände (Gewehr, Seitengewehr, Tornister, Munition :c.) erhalten sie vom Staat
leihweise gegen eine geringe Vergütung.

Ausgenommen von dieser Pflicht sind selbstverständlich alle körperlich Un¬
tüchtigen — ein sehr dehnbarer und ausschließlich in das Gewissen der unter¬
suchenden Aerzte gestellter Begriff — außerdem nur die der Theologie Beflissenen,
wenn sie bis zu ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahre das erste theologische
Examen bestanden haben, und selbstverständlich die sich dem Militärstande Wid-
menden. Die Mediciner brauchen nicht mit der Waffe zu dienen, sondern
können nach Absolvirung des Doctorexamens ihrer Dienstpflicht genügen, indem
sie ein Jahr lang unentgeltlich als Militärärzte fungiren.

Andere Ausnahmen giebt es nicht. Wer sich die betreffenden Kenntnisse
angeeignet hat, muß sich in seinem zwanzigsten Lebensjahre stellen, er erhält
dann einen Berechtigungsschein als einjährig Freiwilliger zu dienen, und den


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[0070] Der einjährig Freiwillige in Preußen. Schreiber dieses ist ein junger Justizbeamter und war einjähriger Frei¬ williger in der preußischen Armee. Er will es versuchen ein möglichst anschau¬ liches und vorurtheilfrcies Bild von dem zu geben, was die zahlreichen jungen gebildeten Leute, die in den ncupreußischen Ländern jetzt zum Militärdienst herangezogen werden, bei ihrem Eintritt erwartet. Er hofft ihnen damit zugleich eine Beruhigung zu gewähren. Denn kaum irgendetwas wird in den gebildeten Kreisen der neu erworbenen Landestheile als eine schwerere Last em¬ pfunden, als die Nothwendigkeit der persönlichen Ableistung des militärischen Dienstes. Man wird diese Last um so mehr fürchten, als tausend Einzeln- heiten über die schweren Anforderungen, die körperlichen Strapazen, die rück¬ sichtslose Behandlung, unter der die preußischen Freiwilligen zu leiden haben, in die Welt gedrungen sind, selten aber sich eine Stimme erhebt, die die köst¬ lichen Früchte-des militärischen Dienstes, die daraus hervorgehende körperliche und geistige Frische, das lebendige Vaterlandsgefühl mit beredten Worten preist. Art. 34 der Preußischen Verfassungsurkunde sagt: „Alle Preußen sind wehr¬ pflichtig." Alle diejenigen jungen Leute, welche sich bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahre eine gewisse wissenschaftliche Bildung angeeignet haben, welche durch¬ schnittlich der auf der Secunda eines deutschen Gymnasiums erworbenen ent¬ spricht, brauchen nicht drei, sondern nur ein Jahr beim stehenden Heer zu diene». Sie heißen einjährig Freiwillige, haben als Abzeichen schwarz-weiße Schnüre um die Achselklappen, erhalten im Frieden keine Löhnung und müssen sich die Beklcidungsgegenstcinde selbst anschaffen. Die Waffen und Ausrüstungsgegen¬ stände (Gewehr, Seitengewehr, Tornister, Munition :c.) erhalten sie vom Staat leihweise gegen eine geringe Vergütung. Ausgenommen von dieser Pflicht sind selbstverständlich alle körperlich Un¬ tüchtigen — ein sehr dehnbarer und ausschließlich in das Gewissen der unter¬ suchenden Aerzte gestellter Begriff — außerdem nur die der Theologie Beflissenen, wenn sie bis zu ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahre das erste theologische Examen bestanden haben, und selbstverständlich die sich dem Militärstande Wid- menden. Die Mediciner brauchen nicht mit der Waffe zu dienen, sondern können nach Absolvirung des Doctorexamens ihrer Dienstpflicht genügen, indem sie ein Jahr lang unentgeltlich als Militärärzte fungiren. Andere Ausnahmen giebt es nicht. Wer sich die betreffenden Kenntnisse angeeignet hat, muß sich in seinem zwanzigsten Lebensjahre stellen, er erhält dann einen Berechtigungsschein als einjährig Freiwilliger zu dienen, und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/70>, abgerufen am 04.05.2024.