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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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in einem Augenblicke, wo es sich nur um Sieg oder Fall handelte, durch Ent¬
lassung des zuverlässigsten Führers die Vertheidigungskraft völlig zu desorga"
nisiren. bedarf nicht erst des Beweises. Indem der König Guizot aufgab, gab
er sich selbst auf.

Die Schlußkatastrophe hat die Elemente der monarchisch-konstitutionellen
Partei, soweit sie sich nicht der neuen Ordnung der Dinge angeschlossen haben,
wieder in einem Lager vereinigt. Es bleibt ihnen für jetzt wenig zu thun
übrig, als den Parteihader zu beklagen, der den Untergang der Reformisten
wie der Konservativen zur Folge gehabt hat. Sie haben beide gefehlt, die
einen, indem sie aus Ungeduld mit den Feinden der konstitutionellen Monarchie
eine unnatürliche Verbindung eingegangen sind; die andern, indem sie den Zeit¬
punkt, wo sie stark genug waren, um den Vorwurf der Schwäche nicht zu
fürchten, nicht benutzt haben, um diese Alliance durch eine weise Concession in
ihrem Entstehen zu sprengen. Schwerlich werden die Parteien, deren Zwist die
konstitutionelle Freiheit vernichtet hat. berufen sein, sie wieder herzustellen. Und
ob die jüngere Generation unter dem Drucke der Gegenwart ein Verständniß
für die Bedingungen gewonnen hat, an die der Besitz der Freiheit geknüpft
ist. -- wir bezweifeln es. Unter der Herrschaft anspruchsvoller nationaler Eitel¬
keit vermag sich ein kräftiger Bürgersinn, in dem die Freiheit Wurzel schlagen
Z. könnte, nicht zu entwickeln.




Der erste Erzbischof bon Bjelokrinih.

(Vergl. Ur. 33 der Grenzboten: "Die russischen Emigranten in Oestreich und der
Türkei").

Das durch Czaykowski begründete altgläubige Erzbisthum von Bjelokrinitz,
dem, wie wir wissen, Ambrosius, der aus der griech. orth. Kirche ausgeschlossene
Exbischof der Bulgaren vorstand, entwickelte schon in den ersten Monaten seines
Bestehens eine lebhafte Thätigkeit. Durch Vermittlung des neben Metternich mäch¬
tigsten Ministers in Oestreich, des Grafen Kvlowrat und des den Altgläubigen
besonders geneigten Erzherzogs Ludwig wußten Paulus und Olympius, die
uns bekannten, als auswärtige Agenten besonders thätigen Mönche, ihrem neuen
Oberhaupte zunächst die Anerkennung des wiener Cabinets zu verschaffen, dann


in einem Augenblicke, wo es sich nur um Sieg oder Fall handelte, durch Ent¬
lassung des zuverlässigsten Führers die Vertheidigungskraft völlig zu desorga»
nisiren. bedarf nicht erst des Beweises. Indem der König Guizot aufgab, gab
er sich selbst auf.

Die Schlußkatastrophe hat die Elemente der monarchisch-konstitutionellen
Partei, soweit sie sich nicht der neuen Ordnung der Dinge angeschlossen haben,
wieder in einem Lager vereinigt. Es bleibt ihnen für jetzt wenig zu thun
übrig, als den Parteihader zu beklagen, der den Untergang der Reformisten
wie der Konservativen zur Folge gehabt hat. Sie haben beide gefehlt, die
einen, indem sie aus Ungeduld mit den Feinden der konstitutionellen Monarchie
eine unnatürliche Verbindung eingegangen sind; die andern, indem sie den Zeit¬
punkt, wo sie stark genug waren, um den Vorwurf der Schwäche nicht zu
fürchten, nicht benutzt haben, um diese Alliance durch eine weise Concession in
ihrem Entstehen zu sprengen. Schwerlich werden die Parteien, deren Zwist die
konstitutionelle Freiheit vernichtet hat. berufen sein, sie wieder herzustellen. Und
ob die jüngere Generation unter dem Drucke der Gegenwart ein Verständniß
für die Bedingungen gewonnen hat, an die der Besitz der Freiheit geknüpft
ist. — wir bezweifeln es. Unter der Herrschaft anspruchsvoller nationaler Eitel¬
keit vermag sich ein kräftiger Bürgersinn, in dem die Freiheit Wurzel schlagen
Z. könnte, nicht zu entwickeln.




Der erste Erzbischof bon Bjelokrinih.

(Vergl. Ur. 33 der Grenzboten: „Die russischen Emigranten in Oestreich und der
Türkei").

Das durch Czaykowski begründete altgläubige Erzbisthum von Bjelokrinitz,
dem, wie wir wissen, Ambrosius, der aus der griech. orth. Kirche ausgeschlossene
Exbischof der Bulgaren vorstand, entwickelte schon in den ersten Monaten seines
Bestehens eine lebhafte Thätigkeit. Durch Vermittlung des neben Metternich mäch¬
tigsten Ministers in Oestreich, des Grafen Kvlowrat und des den Altgläubigen
besonders geneigten Erzherzogs Ludwig wußten Paulus und Olympius, die
uns bekannten, als auswärtige Agenten besonders thätigen Mönche, ihrem neuen
Oberhaupte zunächst die Anerkennung des wiener Cabinets zu verschaffen, dann


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[0312] in einem Augenblicke, wo es sich nur um Sieg oder Fall handelte, durch Ent¬ lassung des zuverlässigsten Führers die Vertheidigungskraft völlig zu desorga» nisiren. bedarf nicht erst des Beweises. Indem der König Guizot aufgab, gab er sich selbst auf. Die Schlußkatastrophe hat die Elemente der monarchisch-konstitutionellen Partei, soweit sie sich nicht der neuen Ordnung der Dinge angeschlossen haben, wieder in einem Lager vereinigt. Es bleibt ihnen für jetzt wenig zu thun übrig, als den Parteihader zu beklagen, der den Untergang der Reformisten wie der Konservativen zur Folge gehabt hat. Sie haben beide gefehlt, die einen, indem sie aus Ungeduld mit den Feinden der konstitutionellen Monarchie eine unnatürliche Verbindung eingegangen sind; die andern, indem sie den Zeit¬ punkt, wo sie stark genug waren, um den Vorwurf der Schwäche nicht zu fürchten, nicht benutzt haben, um diese Alliance durch eine weise Concession in ihrem Entstehen zu sprengen. Schwerlich werden die Parteien, deren Zwist die konstitutionelle Freiheit vernichtet hat. berufen sein, sie wieder herzustellen. Und ob die jüngere Generation unter dem Drucke der Gegenwart ein Verständniß für die Bedingungen gewonnen hat, an die der Besitz der Freiheit geknüpft ist. — wir bezweifeln es. Unter der Herrschaft anspruchsvoller nationaler Eitel¬ keit vermag sich ein kräftiger Bürgersinn, in dem die Freiheit Wurzel schlagen Z. könnte, nicht zu entwickeln. Der erste Erzbischof bon Bjelokrinih. (Vergl. Ur. 33 der Grenzboten: „Die russischen Emigranten in Oestreich und der Türkei"). Das durch Czaykowski begründete altgläubige Erzbisthum von Bjelokrinitz, dem, wie wir wissen, Ambrosius, der aus der griech. orth. Kirche ausgeschlossene Exbischof der Bulgaren vorstand, entwickelte schon in den ersten Monaten seines Bestehens eine lebhafte Thätigkeit. Durch Vermittlung des neben Metternich mäch¬ tigsten Ministers in Oestreich, des Grafen Kvlowrat und des den Altgläubigen besonders geneigten Erzherzogs Ludwig wußten Paulus und Olympius, die uns bekannten, als auswärtige Agenten besonders thätigen Mönche, ihrem neuen Oberhaupte zunächst die Anerkennung des wiener Cabinets zu verschaffen, dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/312>, abgerufen am 08.05.2024.